das gehirn

Ah, mein Gehirn. Wenn ich nur ein bisschen mehr Einfluss darauf hätte, was es so treibt. Konzentration ist ein geheimnisvoller Vorgang. Alle tun immer so, als sei es ganz selbstverständlich, sich zu fokussieren. Blödsinn! Das, was ich als Konzentration betrachte, ist ein geheimnisumwittertes Dorf, das immer im Nebel liegt: Ich wandere täglich über weite Flächen der halb-Bedingtheit, bis ich (wenn es ein guter Tag ist), auf die ersten Niederlassungen des Unbedingten treffe. Ich kann da nicht einfach stracks hinmarschieren. Es hat etwas mit sich-öffnen zu tun. T., der mich oft beim schreiben beobachtete, hat mal behauptet, es sei doch alles schon da. Was, fragte ich. Na, das, alles, was zu schreiben du in der Lage bist, sagte er. Alle Geschichten. Alle Ideen. Sie sind alle schon in dir drin. Du musst nur einen Weg finden, sie raus zu lassen. Die Idee hat mir in ihrer Einfachheit gefallen. Denn ich bin nicht frei von der Vorstellung, ich müsse eventuell erst noch viele Jahre lang meine Schätze und Errungenschaften auf einem inneren Haufen zusammentragen, mühsam, bis irgendwann genug WERT angesammelt ist, um daraus gültige Aussagen zu formen.
Gerade kommt die Sonne raus. Und es ist klar, dass man sich WERT nicht verdienen muss, so läuft das nicht. Er ist jederzeit verfügbar. Man muss ihn bezeichnen. Man muss ihn erkennen, benennen und die innere Landschaft damit durchtränken. WERT, verschwenderisch eingesetzt, wirkt wie ein Katalysator. Er macht die Spuren sichtbar, die zu Konzentration führen, dem geheimnisvollen Dorf mitten im Impulschaos des Gehirns. Obwohl ich seit Jahren dorthin marschiere und die Pfade so ausgetrampelt sein müssten, dass ich sie noch im Koma erkenne – ich muss sie jeden verdammten Tag aufs Neue suchen. Wenn mir die Überzeugung fehlt, mich üppig mit WERT auszustatten, bevor ich mich auf den Weg mache, komme ich dort nicht an.
An solchen Tagen geht alles schief. Mein Werk bleibt diffus. Meine Absichten verschwinden im Nebel, mir ist dann, als gäbe es gar kein Dorf. Als gäbe es nur Handlungen, die jeder andere an meiner Stelle ebenso gut hätte verrichten können. Wozu die Mühe, frage ich mich? Das sind die Phasen, in denen ich mich mit Nudeln, Keksen und ein paar hundert Seiten Fiktion ins Bett zurückziehe. Scheiß doch drauf, denke ich in solchen Momenten, es lebe die Unsichtbarkeit, die Welt hat genug andere, sollen die doch die Arbeit machen.
Heute indes ist keiner dieser Tage. Schon als der erste Sonnenstrahl durchs Fenster drang, kroch WERT zu mir unter die Decke. Schnell, schnell, drängte es (es ist ein „es“, aus welchem Grund auch immer), steh auf, es wird Zeit, in die Gänge zu kommen.
Also, wer auch immer da draußen unterwegs ist: Ich komme jetzt auch.

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