Wie ist die Weltlage, hat schon jemand nachgesehen? Ich selbst hab’s ja nicht so mit dem großen Maßstab. Der Prozess der Meinungsbildung, mein eigener wohlgemerkt, wird mir immer unheimlicher, je weiter ich den Rahmen aufzuziehen versuche. Versteh’ ich was von der Welt?
Wahrscheinlich nicht, aber von Menschen versteh’ ich was, das sollte gelegentlich helfen.
Am Wochenende hab’ ich wieder mit den Stipendiatinnen des SABA-Programms der Crespo Foundation gearbeitet, im Weltkulturen Museum. Kreatives Schreiben mit einer Gruppe von zweiundzwanzig ziemlich erwachsenen Frauen mit Kindern und (teilweise verlustig gegangenen) Ehemännern, zwölf unterschiedliche Muttersprachen haben wir gezählt (oder waren es mehr?), jedenfalls viele. Das sind die Situationen, aus denen ich lerne; wenn ich aus solchen Begegnungen abends mit einer Meinung rausgehe, glaub’ ich sie mir.
Hab’ übrigens gefragt, in die Runde, ob sie wüssten, was der Unterschied zwischen „Meinung“ und „Haltung“ sei. Kopfschütteln.
– Aber Meinung, das Wort verwendet ihr, sagte ich. Kopfnicken.
– Erzählt mal, wie ihr euch eine Meinung bildet.
Taten sie, konnten sie. Klar. Anschließend versuchte ich zu beschreiben, was „Haltung“ für mich ist. Sprach ein Weilchen. Sie hörten zu.
– Sag’ doch mal ein Beispiel für eine Haltung, animierte ich dann die Frau zu meiner Rechten.
– Dass ich mehr aus meinem Leben machen will?, schlug sie vor.
– Nicht schlecht, sagte ich, aber vielleicht mehr ein Lebensziel? Hat wer noch eine? Haltung?
Schweigen.
– Okay, sagte ich, eigentlich ist es ganz einfach. Eure Haltung, das ist euer inneres Gedankenhaus. Das, in dem die Werte wohnen, an die ihr glaubt, die Menschen und Prinzipien, für die ihr kämpfen würdet und die Schlüsse, die ihr aus euren Lebenserfahrungen gezogen habt. Und eure Meinungen? Das sind Spatzen, die über das Dach dieses Hauses fliegen.
Da lachten die Frauen.
Danach kamen wir ins Gespräch: erst nach diesem Bild. Spielten auch mit Synonymen; die Frauen sind heiß auf Wortschatz. „Gesinnung“ hat ihnen besonders gefallen.
Diese Begeisterung lässt mich immer an meine wunderbare iranische Freundin denken, der wir in ihren ersten Deutschlandjahren Wörter mitbrachten, besondere, aus dem Gebrauch gefallene, exzentrische, erfundene. Wir schrieben sie an die Wand ihrer Küche, wann immer wir uns dort zum Saufen Diskutieren einfanden.
Ah, sie fehlt mir gerade, diese Zeit. Obwohl es verdammt viele Spatzen gab und noch gar kein Haus.