“ZEIT FÜR DEN NÄCHSTEN GROSSEN WURF!!”
“Och nö, nich’ schon wieder.”
“ZEIT FÜR DEN NÄCHSTEN GROSSEN WURF!!”
“Och nö, nich’ schon wieder.”
Ich scanne die Weißrussin vom Gang aus. Ihre Mokassins hat sie achtlos angestreift, Lasche mit Emblem obenauf, Collegeschuhe nannte man die früher. Enge, verwaschene Jeans, unten vom Schneider gekürzt: groß ist sie nicht. Sie trägt graues Kaschmir und einen BH mit gepolsterten Schalen. Gewelltes Blondhaar. Helle Augen, kaum geschminkt.
Als ich die Abteiltür öffne, sieht sie von ihrem Buch auf. „Keine Sorge, ich möchte ebenso meine Ruhe haben wie Sie“ sage ich. Sie lächelt, nickt, zieht die bestrumpften Füßchen vom gegenüberliegenden Fensterplatz, will nach ihren Schuhen greifen. „Lassen Sie doch“, wehre ich ab. „Das stört mich nicht.“
Ich schlafe ein.
Als ich später aufwache, ruht ihr Blick auf mir. Wir haben noch drei Stunden zusammen; wenn ich jetzt ein Gespräch anfange, bin ich schon vor Berlin leergeredet, also schweige ich, vertiefe mich in die Zeitung. Dann und wann zupfen wir an unseren Schultertüchern, sehen uns an, draußen rasende Felder: Zwei Frauen fahren Zug.
Abends eindrucksvolle Premiere des >>> Traumschiff im Literarischen Colloquium Berlin. Ich wollte schon gestern darüber schreiben, doch die Tage sind prall derzeit – kaum Muße.
Auf der Rückfahrt gab’s keine Weißrussin. Mit der ich übrigens dann doch noch recht lang und persönlich sprach, die ich sogar küsste, bevor ich ausstieg, so schnell war sie mir nahgerückt; am liebsten hätte ich sie mit zur Lesung genommen. Manche von uns haben Temperaturen, da reicht ein Augenzwinkern, während man sich grad’ die Lippen nachzieht und schon geht’s los. (Ich frag’ mich, ob Männer so etwas aneinander auch so schnell merken und falls ja, bei welchen Ritualen.)
Über das Traumschiff später mehr. Andererseits – ein Schriftsteller, der ebenfalls zur Premiere kam, Benjamin Stein, hat seine Eindrücke gestern >>> in seiner Rezension bereits so elegant und intensiv geschildert, dass ich nicht weiß, was dem noch hinzuzufügen wäre. Himmel hilf, d e r ist definitiv im Vollbesitz seiner Kräfte.
Ich formuliere fahrlässig dieser Tage, mag mich nicht für die Arbeitswelt, die bevorstehende Seminarsaison schärfen, bin wild romantisch und verträumt, am liebsten schliefe ich den halben Tag. Vielleicht muss ich erst einmal aus dem Tuschemodus zurück in den Wörtermodus finden, sodass die sich wieder wie meine anfühlen … nicht wie müde Kürzel, die schon über zu viele Tastaturen gelaufen sind.
Madame wird eine Runde schlafen jetzt. Und morgen, vielleicht –
(Ein Tag mit so viel Jetzt, da war an Schreiben einfach nicht zu denken.)
Allen, die sich vielleicht eines heimlichen Neids nicht erwehren konnten, während Madame in Paris weilte: Nach sechs Wochen Abwesenheit schlägt der Alltag umso brutaler zu. Auch wenn – und das bekommt wohl niemand von uns gerade aus dem Kopf – ein Schreibtisch immer noch verdammt beruhigend ist, solange man nicht mit zweidrei Plastiktüten davorstehen muss, um sich als Flüchtiger registrieren zu lassen.
Und jetzt kommt auch noch der Herbst. Also stark und warm bleiben und über die eigenen vermeintlichen Grenzen hinauswachsen.
Geschätzte Leser:innen,
wir tun es wahrscheinlich alle, bereuen es und tun es wieder: So ein kleiner grippaler Infekt, den kann man doch übergehen. Oder? Madame jedenfalls did it again und muss das nun büßen.
Ich meine, nichts gegen open mind. Mit Grippe allerdings fühlt sich das open so an, als würde ständig unten was wegkippen.
Also Geduld und Tee und die schweren Anliegen noch ein paar Tage schieben. Auf die Gefahr hin, dass sie das krumm nehmen. So ein Anliegen liegt ja nicht gern allein.