Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 18

“Ghost Bike”

In London gibt’s eine Menge Leichen. Nein, ich meine nicht die im Keller der Finanzwelt, sondern wirkliche Körper. Die Rede ist von Radlern. Eine signifikant wachsende Zahl davon wird in London jährlich umgefahren. Und fertig ist die Leiche. Damit da nicht einfach weitergefahren und weitergekillt wird, hat sich (wie meine Schwester, die dort lebt, berichtete) ein neues Ritual etabliert: Die Ghostbikes.
Wo immer ein Radler zu Tode kommt in London, steht einige Zeit später ein Ghostbike an der Unfallstelle. Um – ja, was? Zu mahnen. Klar. Aber vielleicht auch, um etwas zu bannen, das im Stadtbild sonst keinen Ausdruck findet. Den gerade vergangenen Moment. Den im Niemandsland zwischen Gegenwart und Statistik.
Die ersten Ghostbikes sind nun auch außerhalb Londons aufgetaucht.

Das Tainted Talents Kreuz zum Sonntag 17

wurde heute anderswo gemacht.
Gut, dass der Tag so freundlich gestimmt ist; das bringt mehr Bürger auf die Straßen und in die Wahllokale. Nachher – aus den Hinterteilen des Wahlvolks zu schließen, das eben vor mir her dackelte – gibt’s wahrscheinlich gedeckten Apfelkuchen mit Sahne. Viel Sahne.

Nachtrag:
Nun, es waren wohl die Genossen, die den guten Apfelkuchen aßen. Und zwar vor dem Gang an die Wahlurne.
Später, wen wundert’s, war der Popo so schwer und die Laune so trüb, da streckten sie alle Viere von sich & ließen andere über den Kurs ihres Sofas entscheiden.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag 16

“Sein Mütchen kühlen”.

Tja.
Fragen wir doch mal die Bibel, zur Abwechslung.
Da steht: “Der Feind gedachte: Ich will nachjagen und ergreifen und den Raub austeilen und meinen Mut an ihnen kühlen. Ich will mein Schwert ausziehen, und meine Hand soll sie verderben.” (2. Mose 15,9)

Typisch altes Testament; da wird der Feind gleich scharf ran genommen.
Das Mütchen war früher eher was für Pennäler, die ihren Lehrer mal aus der Fasson bringen wollen. In unseren Amok laufenden Zeiten wünscht man sich glatt das Mütchen wieder zurück. Und die Kühlung desselben.

Danke, Wanderer, für die Anregung.

Knock out

Heute Vormittag sehr gute Lesung von Alban Nikolai Herbst aus seinem Roman “Meere” im Hauptbahnhof, danach lief ich zurück in mein Viertel, verschlang dort ein wirklich ungeheuer großes Steak – seitdem bin ich matt gesetzt.
Will das “Wort zum Sonntag”, auch zur Lesung was schreiben, schaff’s aber nicht. Gehirntätigkeit gleich null. Da bekommt das Wort “eingefleischt” eine ganz neue Bedeutung.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag 15

Der “Rosstäuscher”.

Das Wort bezeichnete Händler, die mit betrügerischen Tricks versuchten, Gesundheitszustand, Alter und Wert eines Pferdes besser dastehen zu lassen, als er eigentlich war.
Zunächst mit Farbe. Mähne, Hufe und Fell schön dunkel nachlackieren, schon sieht das Objekt wieder zehn Jahre jünger aus. Auch am Gebiss der Tiere machten sich die Rosstäuscher zu schaffen: Der potentielle Käufer neigte dazu, dem Pferd “auf den Zahn fühlen” zu wollen. Der gravierendste Eingriff allerdings war eine Prozedur, die sich “Ohren aufsetzen” nannte: Man nahm die Haut der Tiere am Oberkopf zwischen die Finger, schnitt ein Stück heraus und vernähte das Ganze dann schön eng, um eine gefälligere, straffere Ohrenstellung des Pferdes zu erreichen.
Und dazu gab’s noch “Pfeffer im Arsch”; ein müder, antriebsloser Gaul verkauft sich nun mal schlecht. Streute man ihm allerdings vor dem Zurschaustellen eine schöne Prise Pfeffer hinten rein, sah die Sache schon ganz anders aus. Plötzlich kriegte sich das Tier vor lauter “Temperament” gar nicht mehr ein.
Tja.
All diese Methoden sind ja irgendwie heute noch in Gebrauch. Wenn auch nicht bei Pferden.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 12

Die “Schrulle”

kommt vom niederdeutschen Schrul, womit vor dem 18. Jh. ein Anfall von Unsinn oder übler Laune, auch dauernde Verstimmung oder ein heimlicher Groll bezeichnet wurde.
Im Grimmschen Wörterbuch finde ich zur neueren Verwendung folgendes Zitat:
“Denn er bemerkte, dasz der Schulmeister über jeden Gegenstand so verständig dachte und redete, wie der gesetzteste Alltagsmensch, und dasz auch seine spartanischen Vorstellungen sich zu einer sogenannten unschädlichen Schrolle, oder zu dem, was man den Wurm bei einem Menschen nennt, gemildert hatten.”
Lässt man diesen Wurm indes in Gesellschaft zu sehr raushängen, gilt man als schrullig, ja “wunderlich”, und das ist heutzutage nicht nur bei Schulmeistern ziemlich verpönt. Wehe dem, der seine Benutzeroberfläche nicht sauber entwurmt!
Ich selbst pflege ja meine Schrullen. Sie danken es mir mit großer Anhänglichkeit.
Hm.
Unversehends wird man dann zur alten Schrulle.

Doch das dauert noch ein bisschen.

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 11

“Potztausend!”

ein Schrei meist freudigen Erschreckens, ohne Ausrufezeichen schwer vorstellbar. Mittelalterlich, der Ausdruck, daher deftig.
Potzblitz! ist auch nicht schlecht. Ich frag’ mich grad’, welcher Ausruf im heutigen Sprachgebrauch die gleiche Wucht entfalten könnte: Heilige Scheiße!?
So um 1500 jedenfalls mochten es die Leute, das Wort “Gott” zu entstellen, um besser damit herumfluchen zu können. Potzblitz! hieß demnach Gottes Blitz.
Potz war ziemlich beliebt. Und Potztausend! meinte nicht, wie man annehmen könnte, “tausend Götter”, sondern ist eine Steigerung von …. potz-sieben-schlapperment!, was “Gottes sieben Sakramente” bedeutete.
Schlapperment!!
(Bin ich eigentlich die Einzige, die sich über solche Geschichten amüsiert ?)

Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 10

“tummeln”

“Sich tummeln” heißt entweder, sich in großer Zahl irgendwo lebhaft bewegen, am Strand zum Beispiel (seufz), oder auf der Wiese. Im Norddeutschen hat tummeln eine zweite Bedeutung, da heißt es “beeilen”.
“Nun muss ich mich aber tummeln”, sagte mein Vater gerne. Er fehlt mir. Immer wieder schickt er mir Worte aus dem Off, für meine Sonntags-Rubrik.
Sitze hier am Schreibtisch, offenes Fenster, der Vorhang, gelb und halb durchsichtig, bläht sich nach draußen. Meine Freunde tummeln sich im Vordertaunus, ich nicht, will zeichnen.
Hab einen neuen, äußerst dünnen Stift:

Dann und wann das charakteristische Geräusch, wenn ein Auto unten auf der Straße durch eine Pfütze fährt.