(Mit diesem Satz im Hirn erwachte Madame heute Morgen.
Hm. Ist Regression im Anzug? Kinderwunsch? Weltverdrängung?
Spielt keine Rolle: Es ist Montagvormittag, also los.)
Archiv des Autors: phyllis
Weltpolitik verstehen lernen [beta version]
Samstagsfarben (nicht zur Nachahmung empfohlen)
True love
Verursachen
Kein charmantes Wort, schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass wir es nicht und niemals nie loswerden können: Wir sind Verursacher. Unablässig. Wir erschaffen eine Ur-Sache nach der anderen, meistens ohne es überhaupt zu merken. Es gibt so viele Ur-Sachen, dass niemand mehr in der Lage ist, sich wenigstens mal die eigenen zu merken, geschweige denn ordentlich aufzubewahren, sodass auch andere dort mal stöbern könnten.
Was für ein Schlamassel. Wollte das nur mal erwähnt haben ; )
Verdrehte Leute
Guten Morgen!
Was für ein seltsames Gefühl, gestern: dass die letzten Zeilen, die ich an diesem Tag schrieb, darin bestanden, hier auf TT jemandem den Mund zu verbieten. (Gibt’s diese Version überhaupt? Oder kann man jemandem nur das Maul verbieten, nicht aber den Mund?) Ob nun in der höflichen oder groben Version, es gefiel mir nicht. I c h gefiel mir nicht in dieser Rolle. (Ein Machtwort sprechen. Manchmal muss tu’ ich das auch in meinen Kursen. Und bin immer wieder erstaunt, wie erleichtert die meisten der jungen Leute sind, die es von mir hören: es wirkt auf mich oft, als wären sie durchaus nicht unzufrieden damit, dass ich sie aus einer Verhaltensrille schubse, damit etwas Neues passieren kann. Let the music play on, play on.)
Der Mensch, der sich Lobster (und vieles mehr) nennt, begleitet mich – und damit auch Sie, Leser:in – auf diesem Blog, seitdem ich es begonnen habe. Er hat mich oft beschimpft, manchmal bejubelt, nie einfach mal so gelassen, wie ich nun einmal bin. Er sieht etwas in mir und ärgert sich seit Jahren, dass ich seinen Projektionen nicht entspreche. Er schreibt immer nur nachts. Wenn der Alkohol ihn richtig am Wickel hat, steigert er sich auch gerne in einen Zorn auf andere hinein; er hat ein paar Lieblingsfeinde. Irgendwann einmal habe ich ihm geschrieben, dass er ein Tainted Talent sei. Wenn nicht er, wer dann? Ich mag verdrehte Leute. Schade, wenn sie so verdreht sind, dass ich sie nicht mehr verstehe, aber Kommunikation ist nu’ mal keine Rutschbahn ins Warmwasserbecken.
Momentan schreibe ich an einem Text, der in einer Publikation des Weltkulturen Museum erscheinen wird – eine Anthologie. Alle, die im Bereich “Bildung und Vermittlung” des Museums arbeiten, wirken daran mit. Und uns allen, während wir schreiben, stellt sich (vermute ich) die grundlegende Frage nach der eigenen Rolle und Verantwortung in diesem seltsamen, uralten, verflixt unzuverlässigen Energiefeld von Anziehung und Abstoßung, innerhalb dessen sich ein Voneinander-Lernen abspielt – ob nun zuhause, im Museum oder an irgendeinem anderen Ort.
Ich hab’ viel gelesen, bevor ich eine Idee für meinen eigenen Text bekam. Ich las (natürlich, und immer wieder) alles von Barry Stevens, der Gestalttherapeutin, die keine sein wollte. Ich las mehrere Essays der Kunstvermittlerin und Kuratorin Nora Sternfeld, dazu Jaques Rancières “Der unwissende Lehrmeister”, ich las das “Freedom writers diary” von Erin Gruwell und Jiddu Krishnamurtis “Einbruch in die Freiheit”. Ich las ein Interview mit der Neurologin Tania Singer, die sich mit dem Künstler Olafur Eliasson über den Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl unterhielt und einen Aufsatz von Wolf Singer mit neurobiologischen Anmerkungen zur Willensfreiheit. Ich las eine Festrede des Philosophen Peter Bieri, “Wie wäre es, gebildet zu sein?” und ein Handbuch zu den Grundlagen der Gestalttherapie. (Zugegeben nur halb.) Ich las “Schreiben als Weg” von Anna Platsch und den “Roman in Fragen” von Padgett Powell. Und – noch einmal – Daniel Pennacs Essay “Wie ein Roman”, in dem er die zehn unantastbaren Rechte des Lesers formuliert, auf die sich die Literaturwissenschaftlerin Karin Heyl in einer Rede zu “Kulturelle Bildungsangebote zwischen Emanzipation, Sozialarbeit und Kunstvermittlung” bezog und die ich, ihrem Gedankengang folgend, als Grundlage für meinen Text “Zehn Rechte eines Workshopteilnehmers” verwandte. Dann las ich noch einmal alles, was hier auf TT in meiner Rubrik “Mme TT’s Schreibworkshops und Seminare” versammelt ist, inklusive aller Kommentare. Jetzt bin ich bereit. Bisher ist ein Text-Wolpertinger entstanden – auf die gleiche unangestrengte, neugierige Weise, in der auch die Bilder an den Wänden meines Ateliers sich im Laufe der Zeit zu Kollagen fügen. Das Gute ist, ich habe freie Hand. Dieses Buch, die Anthologie, mein Mitwirken daran – niemand macht mir Vor-schriften für meinen Beitrag, niemand verbietet mir den Mund. Dabei -zumindest sieht es momentan so aus- wird das ein ziemlich eigenartiges Stück Text zum Thema. Dennoch hab’ ich den Anspruch, verstanden werden zu wollen und das, glaube ich, macht salopp gesagt den Unterschied zwischen verdreht und abgedreht aus.
So, genug. Dass heute ein verdammt unfreundlicher, viel zu dunkler Augusttag ist, bedarf keiner Erwähnung, Madame hat jedenfalls kalte Pfoten; die werden auch vom Tippen nicht warm. Zeit für einen Tee. Ich hoffe ja, Sie sind im Urlaub, irgendwo in der Sonne, lesen ein magisches Buch und wackeln mit den Zehen. Vielleicht bringt Ihnen in fünf Minuten jemand, der Sie liebt, einen Latte Macchiato, küsst Sie und lässt Sie dann wieder leise weiter vor sich hin träumen? Das jedenfalls wäre m e i n Wunschbild des Tages. Falls Sie ihn aber mit kühlen Fingerspitzen an irgendeiner Tastatur verbringen müssen: hiermit ein Lächeln von Schreibtisch zu Schreibtisch! Eben, kaum zu fassen, kam die Sonne raus. (Für ungefähr eine Minute. Seufz.)
Alles Gute Ihnen! Und küssen Sie jemanden, wenn Sie können!
Herzlich,
Mme TT
Die Sprache der Anderen, 59
Die Schnur
Es war einmal ein indischer König namens Akbar.
Eines Tages spannte er eine Schnur und forderte seine Minister auf: Schneidet diese Schnur nicht ab, verknotet sie nicht, doch verkürzt sie auf eine andere Art und Weise. Die Minister dachten lange nach, kamen aber zu keinem Ergebnis. Schließlich stand einer der weisesten Männer auf und spannte eine längere Schnur daneben. Durch diese zweite, längere Schnur wurde die erste automatisch verkürzt, ohne jedoch verknotet oder abgeschnitten zu werden.
Da sagte König Akbar:
So sollten auch wir die Meinung eines anderen weder umbiegen noch beschneiden, sondern nur unsere eigene Schnur daneben spannen. Dann mögen die anderen selbst entscheiden, was länger oder kürzer – was besser oder schlechter ist.
Spuren hinterlassen, 27
Anti-evolutinär
Die Sache ist im Grunde ganz einfach: klappt es mal nicht mit der gloriosen Metamorphose, besteht also der berechtigte Verdacht, ein weiteres Ausharren im Kokon könne die Flugtauglichkeit eher mindern als begünstigen, bietet sich jederzeit die Möglichkeit, wieder zum Fressstadium überzugehen.
Ha!
Schon besser.
Farah Days Tagebuch, 24
Donnerstag, 21. August 2014
Schall und Rauch
Die Hinterlassenschaften von Ereignissen: wie sie dröhnen und dicken Rauch spucken. Außerhalb der Verdrängung zu leben! Doch was gäbe es sonst? Künstliches Koma.
Heut’ Nacht träumte mir, ein kirschgroßer Parasit habe sich in meine Wange gebohrt. Ich riss an ihm, wohl wissend, dass die Widerhaken an seinen langen, sehr dünnen Bohrwerkzeugen mir ein Loch ins Gesicht würden reißen. Je wilder ich zerrte, desto mehr Gift, wie einen heißen Strom, fühlte ich in meine Wange fließen, doch ich ließ nicht ab, bis du starbst. Metamorphosen, wie es scheint, sind nicht die ruhigen Wochen im Kokon, Metamorphosen sind geifernde Ungeheuer; im Kokon ist die Hölle los. Ah, mein Leitlicht, immerzu führst Du mich zurück ins Niemandsland, warum darf ich nicht wandeln auf sicherem Pfad, warum muss ich so viele sein. Lieber ein weiser Weg als ein solcher Wegweiser! Runter von meinem Pfad, Du Trampel.
So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier.
Wie sehr sie ist, die Selbstentfremdung, wie scheinbar dieses kleine Ich, dem, nach allem, was ich lese, eh die Existenz abgesprochen wird: Nicht nur, dass es keine Seele gebe, heißt es, nein, auch ein freier Wille ließe sich nicht finden in unserem Dickicht von Eindrücken. Allein das Wort! Ein-drücke. Einmal eingedrückt, wird das doch nie wieder prall.
Was rede ich nur.
So, also hierher kommen die Leute.
Wie kann ein schlichter Satz nur so unheimlich sein?
„Ich kann mich nicht abgrenzen“, erzählt meine Freundin, „ich spüre die Kriege, jede Minute, ich spüre die Zusammenrottungen, die Ungerechtigkeiten, die blanken Gefühle, jeden Tag dringen sie erneut in mich ein und so viel ich auch tu’, und kämpfe, mich hinzu werfe, um ein bisschen das meinige zu tun, es lässt niemals nach.“
Sie ist blass. Sie trägt die Schauplätze der Gewalt, Verwerfungen, erschöpft, im Gesicht. Sich das Gift der Ereignisse aus der Wange zu reißen: da bleiben Krater zurück.
Sehr nah von mir stirbt derweil jemand, den ich lang’ schon kenne, ganz real. Das ist keine Nachricht aus dem TV. Der Körper will nicht mehr, ist alt, doch die mörderisch gewissenhaften Maschinen halten ihn hier fest. (Anderswo werden Körper einfach so hingeschmissen, als wären sie nichts, gälten nichts. Sie fallen. Keine Zeit zu siechen, drüben in den Bergen.)
Alles ist gleichzeitig: wie oft schon wusste ich das. Und alles ist bereits da.
(Schau, eine Meise! Sie pickt, wenige Meter nur entfernt, an einem Baum. Was hat sie da nur gefunden? In die Kastanie wird sie doch nicht hineinpicken wollen.)
Immer noch Sommer: die letzten warmen Tage. Oder die vorletzten. Vorvorletzten. Vorvorvorletzten. Es gibt kein Ende, für gar nichts. Nur Bewegungen. Im Schall. Im Rauch.
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