Runter von meinem Pferd

Wird Zeit, dass Madame in ihr Pariser Atelier abtaucht.
Weil die Träume in letzter Zeit immer wilder werden und die Tage immer wortkarger.
Denn das war kein Teenager-ich-hab-mein-Pferd-lieb Traum heute Nacht, sondern ein Wutschrei.
Und an Wut, das weiß ich zufällig, kommt Madame nur ran, wenn sie sich gehen lässt.
Sich gehen lassen.
Was für ein Versprechen.

Wolpertingerlesen, ff

“Kein Baum braucht eine Aussage, um zu wachsen.”
Dr. Lipom

Ich hatte angekündigt, vom Fortschritt der Lektüre berichten zu wollen. Doch jetzt hat sie mich erst einmal so verstrickt, dass kein roter Faden herauszuziehen ist, an dem ich beginnen könnte. Klar ist, das ist eine verdammt ungewöhnliche, besessene, aus der Fülle von Imagination und Weltverstrickung herausgärende, gigantische Ideenfrucht, für die zwei Buchdeckel viel, im Grunde, zu klein sind. Selbst wenn dazwischen über tausend Seiten liegen. Himmelhilf. Doch er wird’s nicht tun.
Meine Lesegewohnheiten sind für sowas nicht gerüstet; ich hab’ sie in die Tonne getreten und mach’ mir neue. Weil – und das ist wirklich die Entdeckung – sobald man mal angefangen hat, sich auf das wolpertingersche Wesen einzulassen, kommt einem die vertraute Vorstellung, ein Roman müsse aus einem Guss sein, ziemlich bescheiden vor. Ein bisschen wie Fast-Food.

So. Nu’ erst einmal laufen gehen. Ich weiß, ich erzähl’ so wenig. Was bringt es, Ihnen zu sagen, geschätzte Leser:innen, dass ich’s im Kopf tu’, ständig? Und weiß doch auch, dass ich ohne Manifestationen (ach, diese krausen kleinen Dingerchen, die sich Buchstaben nennen) bald nur noch zu einem imaginären Publikum sprechen werde. Tja. Dabei –
Aber ich mach’ jetzt keine Ansagen. Ich wär’ lieber der Baum.

“Wolpertinger oder Das Blau”, Alban Nikolai Herbst, Axel Dielmann Verlag 1993

Farah Days Tagebuch, 33

Dienstag, 23. Juni 2015

Alle Argumente sind gleich gut. Mit diesem Satz schlief ich ein gestern Nacht. Doch was passiert, wenn alle Kräfte, die in einem wirken, genau gleich stark sind? Über längere Zeit?
Genau in der Mitte des imaginären Magnetfelds herrscht – Regungslosigkeit.

So viele angefangene Texte wie in den vergangenen Wochen hatte ich lange nicht mehr.

Jedenfalls sind die Flugträume wieder da – mein innerer Teenager schickt mir Botschaften. Dazu passt der Traum, den ich heute Nacht hatte: Ich rannte unter einem Band durch. Wir befanden uns in einer Art Universität; alle um mich herum waren jünger als ich. Wir hatten alle bereits die unsäglichen Aufnahmeprüfungen bestanden, nun mussten wir nur noch unter dem Band durch – es trennte die zum Weitermachen entschlossenen von jenen, die für den nächsten Schritt (worin dieser bestehen würde wusste keiner von uns) nicht bereit waren. Ich war es. Das war das Bild, mit dem ich erwachte: wie ich mich, rennend, bücke und zu der Gruppe derer laufe, die bereits auf der anderen Seite sind.
Menschen, die einen inneren Teenager haben, brauchen keine Argumente.

Leider muss ich immer aufwachen und die erwachsene Frau ist in letzter Zeit nicht so furios wie die die andere. Sie baut auf ihre Vernunft. Sie denkt viel zu viel, anstatt einfach zu machen; sie braucht immer Gründe, g u t e Gründe. Argumente. Sie lagert ihre schöpferische Irrationalität aus, delegiert sie an die Jugendlichen, mit denen sie arbeitet. Pflanzt ihre wilden Keime in fremde Gehirnzellen, aber auch in die Vertrauten, die allernächsten Menschen: Hauptsache, in ihrem eigenen Gehirn herrscht Stabilität.
Doch die vermeintliche Stabilität macht mich still. Wahnsinnig still. So still wollte ich nie werden, wollte immer phänomenal sein. (Wie lang ich d a s Wort nicht mehr geschrieben habe!)

Also ist es mal wieder soweit. Warum muss ich diesen Kampf eigentlich immer wieder führen, warum fühlt sich das Friedlichwerden immer noch so falsch an, dass ich’s nicht feiern kann? Das Sicheinfinden in die Umstände, die eben so sind, wie sie sind?
Schlicht, weil zu wenig Bewegung in ihnen ist. Und kaum versieht man sich’s, ist man im Magnetfeld und die Stasis regiert. Manche nennen sie Vernunft. Ich nicht. Vernunft war schon immer meine leichteste Übung.
Und weil die leichtesten Übungen immer am wenigsten wiegen, weil niemand so wirklich den tanzenden Stern vergessen kann, weil das Innere immer größer ist als das Äußere und rauswill: deswegen.
Jetzt hab’ ich schon wieder einen guten Grund gefunden. Aber den krieg’ ich auch noch klein. Ich setz’ ihn unter Drogen, walk ihn durch bis er ganz silbrig und geschmeidig ist und dann schmeiss’ ich ihn raus und geh’ durch ihn hindurch.

Farah Days Tagebuch, 32

Samstag, 20. Juni 2015

Meine Wahrnehmung ist eine überfüllte Registrierkasse. Jedes Mal, wenn ihre Schublade aufspringt, quillt mir der ganze Schlamassel entgegen.
Ich seh’ nur kurz hin und schiebe das verdammte Ding wieder zu: Ich kann nicht mehr alles nehmen, nur weil es wahr ist.
Schon gar nicht in bar.