Im Rahmen des Schreib-Projekts Grüne Decke gelang es den Kandidaten mühelos, sich in die städtische Kulturlandschaft zu integrieren.
Archiv des Autors: phyllis
Spuren hinterlassen, 53
Farah Days Tagebuch, 43
Samstag, 16. Juli 2016
Hey Jude
Überall Namen.
Einige, die man liebt, ein paar, die man hasst, dazu die Riesenzahl derer, die man minütlich via News(flash) eingebleut bekommt, weil sie ein großes Rädchen gedreht,
geputscht,
gemordet oder gesiegt haben und wir das dringlich zur Kenntnis nehmen sollen müssen. Nur selten merk’ ich mir freiwillig welche der dritten Kategorie, doch die endlosen loops lassen einem ja kaum eine Wahl.
Schade nur, dass vor lauter Alarmnamen täglich so viele andere vorbeidriften, die genannt werden sollten.
Hey Jude,
don’t make it bad
Vielleicht fange ich an, alle Judes zu rufen, deren Namen zu selten gehört werden. Sie sind leicht zu erkennen; man muss ihnen nur bei Sonne ins Gesicht gucken. Dann sieht man in ihren Mundwinkeln die Spitzen der Häkchen, an denen das Lächeln aufgehängt ist.
Sitzen zwei Fischer am Ufer des Mainstream und betrachten die Wasseroberfläche. Sagt der eine zum anderen:
„Bereit?“
„Auf drei“, sagt der zweite. „Aber gut zielen diesmal, sonst wird’s wieder schief.“
Sie werfen gleichzeitig die Angeln aus, bis Zug auf den Leinen ist: Ein Namenloser hat angebissen. Als die beiden ihn rauskurbeln, grinst er bereits.
„Saubere Arbeit!“
Die beiden klatschen sich ab. Sie schneiden dem Jude rechts und links die Schnüre direkt an den Mundwinkeln ab, fixieren das andere Ende der Haken innen in seinen Wangen und stellen ihn zum Trocknen hin. Dann schicken sie ihn weiter zur Herde der anderen, die sie mit der Zeit rausgefischt haben.
Take a sad song
and make it better
Therapeutische Settings, 1
Einmal geübt, schon gekonnt XLVIV
Farah Days Tagebuch, 42
Samstag, 9. Juli 2016
Tagesverdacht
Jon Kabat-Zinn Vortrag (thanx to Speed) auf dem Laptop gehört. Mindfulness revisited:
Eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit.
absichtsvoll
sich auf den gegenwärtigen Moment beziehend
nicht wertend
(Das Bewusstsein auf Weitwinkel einstellen)
Wer über sich hinaus wächst, darf seine Ich-Illusion behalten.
Ich versiege vor deinen Augen. Darüber ließe sich fast vergessen, wie viel länger du schon leckst als ich: auf deinem langen Lauf nach Utopia. Der Krug ist noch nicht zerbrochen, aber sein Riss spricht Bände.
Mein Tagesverdacht:
Nichts hält länger durch als das Kind in uns.
Wenn die Ich-Konstruktion mit den Jahren Risse bekommt, muss man sich am Kind vollsaufen, bevor man austrocknet.
Passiert oft auf der Mittelstrecke, so zwischen fünfzig und sechzig. Und klingt schöner, als es ist.
(Eben bricht die Sonne durch! Endlich!)
Hurtig reisst der Rosenstrauch
seine pinken Blüten auf.
Frankfurt Life Juli 2016
Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste,
ich werde immer wieder gefragt – von Fremden, die nicht dabei waren … – wie das eigentlich geht mit dem Schreiben bei uns im Frankfurt Life-Projekt. Wie sollen denn junge Leute, von denen viele im Deutschen noch sehr unsicher sind, kreative Texte schreiben? Oder Geschichten, die von ihrem Leben erzählen? Müssten diese jungen Leute nicht erst einmal Vokabeln, Grammatik und Rechtschreibung büffeln, bevor sie Freude am Schreiben entwickeln können? Bevor sie gute Sätze schreiben können?
(…)
Tja.
Müssen sie nicht.
Wer nämlich sofort alles richtig machen will beim Schreiben, ist auch von Anfang an gestresst. Deswegen gibt es viele Leute, die gar nicht erst loslegen damit – vor lauter Angst, Fehler zu machen.
Dabei sind Fehler ganz toll.
Jedenfalls, wenn später jemand kommt und einem freundlich erklärt, wie es richtig geht. Wenn jemand da ist, der Zeit hat zum Reden. Wenn man das Gefühl hat, dass man ernst genommen wird, obwohl man noch gar nicht so viel in der deutschen Sprache sagen kann, wie man möchte.
Oder schreiben…
Schreiben ist ja noch schwieriger als Sprechen.
Aber für eine gute Sprache bekommt man immer Respekt von anderen. Auch, wenn diese anderen merken, dass man sich Mühe gibt, obwohl man noch nicht so gut ist.
Jemand, der zeigt, dass er gerne lernt, wird immer Hilfe von anderen bekommen.
Wir alle vom Projekt hatten viel Spaß mit Euch! Es ist toll, mit jungen Menschen zu arbeiten, die Fragen stellen.
Es macht Spaß, wenn man als Schreibtrainerin merkt, dass eine Gruppe zusammenhält. Dass eine Gruppe sich konzentrieren kann. Auch wenn es schrecklich mühsam ist, so viele Wörter im Handy suchen und übersetzen zu müssen, bevor man ein paar vollständige deutsche Sätze schreiben kann.
Aber in den Momenten, wenn wir uns im Museum unsere Sätze und Texte vorlesen, sind die anderen immer ganz still.
(((Na ja, f a s t immer… ; )))
Es ist still, weil jeder weiß, was das für ein Gefühl ist, vor einem leeren Blatt zu sitzen und nach deutschen Wörtern zu suchen.
Was das für ein Gefühl ist, Dinge aus dem eigenen Leben zu erzählen.
Was das für ein Gefühl ist, die eigene Persönlichkeit zeigen zu wollen, obwohl einem noch so viele deutsche Wörter dafür fehlen.
Aber so wird es nicht bleiben!
Ihr seid alle jung. Und neugierig. Vor allem aber seid Ihr mutig. Und von diesem Mut können wir Älteren alle noch etwas lernen.
—– Aber jetzt wollen wir endlich anfangen zu lesen!
Ladybirds Garten, ff
In Ladybirds Garten wird derzeit ein Häschen gesund. Sein Name ist Gucci. Eigentlich hab’ ich das Bild nur für Speed und seinen Hasen Dr. Schmitt gemacht, aber die anderen dürfen es natürlich auch sehen.
*lächelt*
Bin auf dem Weg ins historische Museum, wo nachher zwanzig sehr junge Männer und Frauen, größtenteils aus Afghanistan, aus den Texten lesen werden, die sie bei mir geschrieben haben.
Die Gruppe ist eine so genannte “InteA”-Klasse.
Ich hab’ gestern eine kleine Rede geschrieben. Wie immer vor diesen öffentlichen Veranstaltungen. Ich hab’ sie geschrieben, nachdem ich bei Ladybird Energie getankt hatte. Bei den Malven.
Direkt hinter Gucci und seiner coolen Betreuerin hab’ ich gesessen. Am liebsten würde ich die ganze InteA-Klasse dort mal hinbringen.
Kleines Lebenszeichen
The Happy Show
.
Sind wir erwachsen? Tatsächlich?
„Dein Argument ist gut, aber meins fühlt sich besser an“ – Erinnern Sie sich, Leser:in? So beendete der Sohn meiner Freundin vor Jahren eine Auseinandersetzung mit ihr. Er war damals fünfzehn – ein Heranwachsender.
Seinen Satz hab’ ich seitdem nicht nur hier auf TT immer wieder zitiert. Er bringt noch immer alle zum Lachen. Spontanidentifikation. Wie befreiend, den Weg einzuschlagen, der sich besser anfühlt. Die Realität zu wählen, die sich besser anfühlt, die Entscheidungen zu treffen, die sich besser anfühlen.
Mache ich ständig. Niemand hindert mich daran, das zu tun, im Gegenteil: Es soll mir doch gut gehen in meiner kleinen Dimension, in der kleine Regelungen zu kleinen Glückserlebnissen führen. Und glücklich ist nicht jener, der bekommt, was er sich wünscht, sondern jener, der sich wünscht, was er hat. Las ich kürzlich irgendwo.
Hm. Glaub’ ich ja nicht.
Hier in Frankfurt läuft gerade eine Ausstellung „The Happy Show“: Der Werber-Superstar Stefan Sagmeister war auf der Suche nach dem Glück. Als Besucher:in darf man es jetzt interaktiv auch selbst mal suchen.
Die Show – klar – ist ein großer Erfolg. Hab’ den Mann eben gegoogelt – es gibt kein einziges Foto von ihm im Netz, auf dem er mal lächelt. Schon seltsam, dabei scheint er so schön verspielt zu sein. Aber wahrscheinlich zu klug. Die Klugen sind nie glücklich, jedenfalls nicht die mir persönlich bekannten.
„Wofür würdest du kämpfen?“
Ich hab’ eine Kiste mit Fragenkärtchen, die ich gelegentlich in Schreibseminaren einsetze. Beantwortet haben sie immer nur die Jugendlichen, ich selbst war zu beschäftigt. Diese eine allerdings sollte ich so langsam mal beantworten können. Denn viele Selbstverständlichkeiten brechen gerade zusammen, im großen, politischen, wie im kleinen Maßstab – und ab einer gewissen Dimension von Krise ist die private Wohlfühllethargie einfach kein Schutzraum mehr.
Also. Wofür würde, nein w e r d e ich kämpfen?
„Wenn ich mich einem grundlegenden Dissens ausgesetzt sehe, reagiere ich nicht mit Wut, sondern mit Abwendung“, erzählte ich gestern einem langjährigen Freund und Weggefährten am Telefon. „Sobald ich feststelle, dass mein Gegenüber und ich in z u verschiedenen Welten leben, sodass aus meiner Sicht keine Empathie möglich ist und damit auch kein Miteinander, ziehe ich mich zurück. Ich verlasse den Schauplatz.“
„Sie sind Künstlerin. Sie stehen für bestimmte Themen, Werte und Einsichten. Die sollten Sie offensiv nach vorne tragen, finde ich. Sie wirken verhaltener als früher; ich beobachte das auf TT. Die Frequenz der Texte hat nachgelassen. Auch Zeichnungen sind selten geworden.“
„Mir fehlt Zeit. Und zunehmend auch die Energie dazu.“
„Sie sind überlastet…“
„Ich erledige sehr viel auf Autopilot, hinterfrage meine Entscheidungen nicht mehr genug. Kann sein, dass dieser Energiesparmodus eine Auswirkung von Überlastung ist. Vielleicht bin ich aber auch, ohne es zu korrigieren, in eine Teenager-Grundverfasstheit zurückgefallen. Falls ich die überhaupt je verlassen habe…“
K e i n Teenie zu sein ist einfach so anstrengend. Mit dieser Erkenntnis bin ich anscheinend auch nicht allein – anders sind die vielen Jugendlichenfilme, die zu erwachsenen Sendezeiten im TV gezeigt werden, eigentlich nicht zu erklären: Zauberer, Fantasy, Abenteuer und all die anderen Eskapismus-Drogen. Vom Kino mal ganz zu schweigen. Wir lassen eben gerne andere kämpfen. Stellvertretend.
Das ist alles noch sehr harmlos, was ich hier formuliere. Immerhin: Ein Prozess hat eingesetzt. Ich kreise meine Themen ein, schreibend.
Überlege mir, was a n s t e h t. Für mich. Wird noch ein Weilchen dauern, aber dieser träge Sommer wird ja noch ein paar lichtdurchflutete Tage hervorbringen. (Wirst du wohl, du Biest!)
Im Licht, jedenfalls, denkt sich’s immer am besten.