– Ist das nicht ein denkwürdiger Satz? : )
Einer von vielen, die an diesem Wochenende geschrieben wurden.
Ich werd’ Euch vermissen!!!
Die Jungstipendiat:innen der START-Stiftung plaudern inzwischen im Speiseraum, ihre Seminarleiterin hält noch ein Momentchen inne und lässt die Eindrücke des gemeinsamen Schreib-Tages Revue passieren. Diese Gruppe junger Menschen, allesamt mit unterschiedlichsten kulturellen Wurzeln, hat heute frische, leidenschaftliche Texte verfasst. Resignation ist nichts für uns, wir fangen gerade erst an, wir produzieren gute Nachrichten, nein, wir sind gute Nachrichten!
Vallah, wir haben’s echt drauf.
*grinst*
Heute Morgen nahm ich das rote, samtige Schmeichelkleid vom Bügel. Gegen den von der Nacht noch durchweichten Morgen und als Rebellion gegen die Melancholie. Ein Wort, das ich letzte Woche den beiden jungen Somaliern beigebracht habe, die in meiner neuen Schreibgruppe waren. Auch die Afghanen mochten es. Alle Jugendlichen, die erst seit ein, zwei Jahren im Land sind, lassen sich von meinen Synonym-Trainingseinheiten begeistern.
Wörter, sage ich immer, sind eine Art Schmuck für eure Persönlichkeit, der euch nichts kostet. Lernt jeden Tag ein paar besondere und die Leute, denen ihr begegnet, werden mehr Geduld mit euch haben. Man wird auch neugieriger auf euch werden. Ihr könnt noch nicht gut genug Deutsch, um eure Persönlichkeit richtig zeigen zu können. Umso wichtiger sind die Wörter, die ihr verwendet, die Auswahl, die ihr trefft: Überrascht die Menschen, mit denen ihr sprecht.
Es gab, neben der Melancholie, noch ein anderes Wort, das die Gruppe mochte:
Charmant.
Grell mochten sie auch.
Dafür hab’ ich nun endlich kapiert, wie man Vallah verwendet. Es heißt so viel wie: ich schwör’s.
Zumindest haben es mir die Jungs so erklärt. Sie veräppeln mich ja auch manchmal. Ich werd’ das bei meiner nächsten Gruppe noch einmal überprüfen mit dem Vallah…
Die einzige Frau, von der ich in diesem ersten Monat des Jahres etwas hatte lernen wollen, hat auf meinen Brief bereits am darauffolgenden Tag geantwortet. Ich lernte sie vor drei Jahren kennen. Sie war der Ankerpunkt einer Gruppe, die sich an meinem bevorzugten Meditationsort zusammengefunden hatte, um gemeinsam in ein großes Inneres hineinzuhorchen, meist schreibend. Gelegentlich lasen wir einander vor. Reaktionen auf diese Lesungen fanden im Schweigen statt. Blicke, minimale Handbewegungen, fast unmerkliche Veränderungen in der Körperspannung der Zuhörenden. Das war die Absprache: nicht zu sprechen.
“Ich hätte zu gerne weiter geschwiegen, hatte eine besondere Intimität während dieser Tage empfunden. Sie ging verloren, als der Kurs endete und alle anfingen, Erfahrungen und Eindrücke auszutauschen. Zu früh, zu drängend, wie um etwas nachzuholen.
Ich hatte nichts nachzuholen.
Sprechen ist immer Verblendung, selbst wenn man sich viel gute Mühe dabei gibt.
Ich schreibe lieber. Ist natürlich auch Verblendung, aber wenigstens grätscht mir niemand dazwischen.“
Das, unter anderem, hatte ich ihr geschrieben. Und sie um etwas gebeten, das ich in ihr, der älteren, sah und mir aneignen wollte.
Sie lehnte ab.
Ich respektiere das. Sie hat eine Form des Teilens entwickelt, die ihr entspricht, eine Form des Lehrens. Eine andere mag sie mir nicht anbieten.
Vielleicht hätte ich an ihrer Stelle genauso entschieden.
Ich bin gerne mit Menschen zusammen. Ich finde nur, es wird meistens zu viel gesprochen. Während dieser Verbalisierungen geht es fast andauernd um Macht. Um die unsichtbare Hackordung. Darum, die eigene Wahrnehmung im anderen unterzubringen, möglichst schnell, möglichst effektiv.
Das muss gar nicht so brutal sein, wie man es im dialogischen Schnellfeuer der Alphatiere oft beobachten kann. Das Ganze funktioniert subtil genauso – und genauso gut, wenn nicht sogar besser. Sprechen ist, aus meiner Erfahrung, ein andauerndes Kräftemessen.
Von dem ich mich keineswegs ausnehme. Doch es strengt mich – außerhalb meiner pädagogischen Arbeit – immer mehr an. Ich spüre den Wirkungen nach, die von bestimmten Sätzen und verbalen Gesten ausgehen und bin verstimmt wie eine nasse Geige.
Meine private Kommunikationsregel rettet mich vor dem Gröbsten: Nach spätestens drei Stunden ziehe ich mich aus jeglichem Gespräch zurück, sei es persönlich oder beruflich.
Ich klinke mich aus. Lasse erst einmal wirken, was im Austausch geschehen ist.
Das Wirken lassen und Nachspüren könnte auch bereits innerhalb von Gesprächen stattfinden. Tut es aber nicht. Weil die meisten Menschen meiner Erfahrung nach keine Pausen aushalten. Kein Schweigen. Empfinden sie Schweigen wie einen Sog, der ihnen alles unter den Füßen wegzieht, was sie zuvor mühsam mit ihren Worten etabliert haben?
Für mich ist es das Gegenteil. Ich liebe die pure Gegenwart, die Menschen ausströmen können, wenn sie endlich einmal den Mund halten und einfach nur d a sind.
(((Das rote Kleid wirkt bereits. Eben wird der Tag licht.)))
“Dieser Trump ist schlimmer als Rumpelstilzchen.”
Ladybird, Januar 2017
Manche loben es als Resilienz, andere berümpfen es als Leugnung der Tatsachen, wenn jemand sich vom scheinbar Offenkundigen nicht die eigene Wahrnehmung und Wirklichkeit vorschreiben lassen will.
Denn es gibt keine Realität. Immer nur eine Deutung als Realität,
als Gerechtigkeit
als Wahrheit
oder Erfolg
Unter unseren subjektiven Deutungen befindet sich keine feste Ist-Ebene, nur Wahrnehmung, Instinkt und Gefühl.
Es braucht Schöpfer:innenkraft, daraus Substanz zu spinnen, vielleicht sogar ein Gewebe, das andere eine Weile mit tragen kann, so sie es denn wollen.
Ein schönes Wort, Kraft. Vollkommen kontraproduktiv übrigens, bei Kraft und Freude sofort an Nazis zu denken. Tun wir aber. Diese Arschlöcher haben uns viele Wörter und deren jubilierenden Pathos vergiftet.
Sie nicht mehr zu verwenden fühlt sich aber an, als zöge man der Sprache ihr Rückgrad heraus, um es den Neo-Arschlöchern zu überlassen.
Nicht weniger Vokabular brauchen wir, sondern mehr, verdammt. Mehr Wörter und mehr Menschen, die sie sich zutrauen. Und ein Geschichtsbewusstsein, das nicht dort anfängt und endet, wo wir unsere bisher grausamste Seite gezeigt haben.
Bin aggressiv.
Was bleibt als mein freier, originärer Wille übrig, wenn ich die Routinen des Autopiloten abziehe, den Energiesparimpuls meines Gehirns, das laut Neurologenmeinung den Weg des geringsten Widerstands bevorzugt, wenn ich die Vereinbarungen mit meinen Lieben und die Nächstenliebe ganz allgemein, dazu Abhängigkeiten und Co-Abhängigkeiten abziehe, politisch korrekte Kommunikation, mental eintrainierte Stützkorsetts, gesundheitliche Erwägungen und berufliche Kompromisse, von den Prägungen des Elternhauses MAL GANZ ZU SCHWEIGEN? Wie viele meiner Entscheidungen der vergangenen Jahre sind welche gewesen, die tatsächlich ich treffen wollte?
(—– Hier stand mal ein ganzer Absatz, der nicht überlebt hat. Macht nichts, weiter —–)
Was ist mein Grundgefühl, was treibt mich an, wie schaffe ich Bewegung. Wie teile, vermische und formuliere ich, wie grenze ich mich ab,
vor allem aber: Wie bringe ich mein rotzfaules Gehirn dazu, mich nicht immer wieder mit Banalitäten einzulullen.
(Erst einmal durchatmen.)
Im Grunde bin ich nur wütend, weil ausgerechnet LeBlanc heute Morgen im Gespräch wieder das E-Wort fallen ließ:
Egal
Manche empfinden Egal als befreiend, doch ich hasse das Ding. Es ist eine verbale Geste des Wegwerfens und bietet keine einzige Assoziation, die ins Licht führt. Nur in die Wertlosigkeit, in die Resignation oder in ein schieres Verbrauchtsein. Das Schlimmste aber ist, das Wort ist ansteckend wie ein verdammter Virus.
Wer also denkt, sein Leben sei egal, soll sich doch einfach mal ein paar Minuten lang eine Plastiktüte über den Kopf ziehen.
Ohne Klebeband, nicht die harte Tour. Einfach nur die Tüte.
Liebe Leser:innen, derzeit liegt etwas im Argen bei twoday.net. – jedenfalls zählt der Counter keine Aufrufe der Beiträge mehr und lässt auch keine Kommentare zu.
Hm.
Anscheinend Wartungsarbeiten, wie mein Programmierzauberer schreibt, der’s vorhin überprüft hat…
17:49
So. Kommentarfunktion ist wiederhergestellt! Aber der Zähler zeigt weiterhin null Zugriffe. Grrrrhmpf.