Schutt

Heute Nacht stürzte ich von einem Berghang in die Tiefe. Nicht, ohne mich von meiner Familie zu verabschieden: sie standen an der Kante, während ich fiel. Nein, gewunken haben sie nicht. Ich fiel mit Bedacht, erwartete den Aufschlag, schlug auf. Sterben üben. So macht mein Hirn das. Es sterben grad so viele, da lässt man sich in seiner Hilflosigkeit nachts etwas einfallen. Wie Gift aus einer fremden Wunde saugen und selbst daran eingehen. Später kommt mir eine kleine alte Frau entgegen, immer noch adrett wie ein Veilchen. Sie legt sich hin. Meine Magengeige spielt, sagt sie noch. Als ich wieder hinsehe, lächelt sie.
Auch mixe ich Menschen, die aus schwer versehrten Stadtlandschaften fliehen, mit Rudeln, die auf Müllhalden leben: Kinder. Ratten. Vögel. Schutthalden schlucken Geräusche, sie riechen aber. Mir ist vom Sterben noch übel. Ich höre den Klang leerer Wasserkanister, die auf Kies gestellt werden, und ferne Baggermotoren. Ich denke: Atom. Ein Männername. Atom Egoyan, guter Filmemacher. Selbst, während ich nur atme, denke ich: Atem. Alles ist Scherenschnitt in diesen Tagen, harte Konturen, im Inneren schwarz. Die Narzissen auf meinem Schreibtisch sind riesengroß. Wie Mutanten, denke ich. Sie riechen schwül, als sei schon Sommer.

Ent-erdet. Sonntag, 13. März 2011

Manchmal ist das Außen so übermächtig, dass das tägliche Apfelbäumchen die Wurzeln einrollt und sich weigert, gepflanzt zu werden. Seit Tagen geht mir das so. Ich schreibe drei Sätze und lösche zehn, die sieben noch unformulierten gleich mit. Von den nächsten drei lösche ich zwanzig – wenn ich so weiter mache, werde ich unsichtbar. Nun, es ist nicht das erste Mal, dass ich derart ins Schlingern gerate: immer dann, wenn mir die Außenperspektive zu massiv ins Gemüt drängt, die Membran zu durchlässig wird.
Ich weiß, wie ich da wieder herauskomme. Und bitte um etwas Geduld, geschätzte Leser:innen.

19:20
Ich lese hier und da: immer wieder unterbrochen von Überlegungen, warum jetzt dieses und kein anderes katastrophales Ereignis mir so die Gleise zerschmettert.
Vielleicht, weil meine Familie schon immer eine Anti-AkW Familie war, auch meine Großmutter mischte da kräftig mit, die bei uns im Hause lebte. Als Teenager war ich’s dann leid und zog mich aus der Farbe Grün zurück. Und erinnere mich noch gut, mit welch schlechtem Gewissen ich als Studentin meine erste Rolle Küchenpapier kaufte – so etwas umweltschädigendes hatte es im Elternhaus nicht gegeben. Auch laufendes Wasser war verpönt. Und Verpackungen. Heutzutage ist das ganze vermeintliche Biozeug in Plastik verpackt – meine Oma, würde sie noch leben, sie würde es den Supermarktsleitern vor die Füße werfen.

Tag des Schlupflids. Mittwoch, 9. März 2011

Manchmal, nicht selten sogar, sind Eingebungen begrüßenswert, im Falle des Schlupflids indes bin ich etwas ratlos. Ich meine, wozu braucht es einen eigenen Tag? Und wird man, es derart herausstellend, ihm überhaupt gerecht, seinen Eigen- und Besonderheiten? Sollte nicht eigentlich jeder Tag ein Schlupflidtag sein, oder zumindest jeder zweite? Wo findet man Orientierung, was Form und Maße anbelangt, und wie, zum Henker, verhindert man, dabei dem Diktat der Norm anheim zu fallen?
Ah! Viele Fragen und keine Zeit, mich drum zu kümmern, zwei Artikel für die Stiftung sind zu schreiben, die Aufgaben für das nächste Schreibseminar warten auf Überarbeitung, abends muss das Denktier dann auch mal Sport machen, sonst –
Mein Spieltrieb wird heute schmählich zu kurz kommen.
Also, los.

20:21
Keine Sorge, geschätzte Leser:innen – ich werde nicht wie eine alte Platte auf diesen Namenstagen hängen bleiben. War auch tatsächlich die einzige Portion Unfug, die heute drin war. Fertig jetze. Bevor ich morgen die Ateliertür aufschließe, nein, noch während ich die Treppen hoch steige, werde ich alles Angewandte, das ich heute andernorts geschrieben habe, in meinen inneren Pappkarton stopfen. Free the bees.

Zum Weltfrauentag. Dienstag, 8. März 2011

“Der schlimmste Fehler von Frauen ist ihr Mangel an Größenwahn.”

(Irmtraud Morgner)

18:58
Eben, drüben bei Dr. Schein stöbernd, noch jener Kuriosität begegnet…

Falls Ihnen aber nun das Lachen allzu gefällige Larven gebiert, empfehle ich einen Besuch bei der Weberin. Sie ist ganz neu, zumindest als diese. Online seit sechs Tagen. Und wer immer die ist, die dieses Netz spinnt: sie ist speziell. Die seltsamen Einträge dort. Jedenfalls webt sie nicht am Himmel oder im Wald. Irgendwo anders. Kann sogar sein, die Dinger sind nachtaktiv. Und man darf sie nicht zu nah an sich ranlassen, sonst bleibt man drin hängen.

Krass. Montag, 7. März 2011.

Gestern, ich hatte meine Mutter vom Flughafen geholt, auf dem Land abgeliefert, bekocht und bejubelt (sie hatte sich in der algerischen Wüste rumgetrieben, da jubelt man schon mal als Tochter, wenn das Elternteil heil wieder anlandet), gestern also, auf der Fahrt zurück, ereilte mich fast die Zerquetschung. Autobahn, mittlere Spur, hundertdreißig kmh. Vor mir parkte jemand. Ich meine, wirklich. Mitten auf der Autobahn. Keine Bremslichter, keine Warnblinkanlage, der Wagen stand einfach da, während rechts und links die Autos vorbeirauschten. Nein, Leserinnen, da war kein Stau oder stockender Verkehr, nur dieser eine Wahnwitzige, der auf meiner Spur nicht langsam fuhr, sondern schlichtweg stand. Ich bemerkte das spät, aber noch rechtzeitig, konnte aber nicht mehr auf eine andere Spur ausweichen, also bremste ich, schrie, hieb auf Hupe und Warnblinkanlage, kam ein paar Zentimeter vor der Stoßstange des Wahnsinnigen zum Stehen und wartete darauf, dass mir der Wagen, der hinter mir fuhr, den Garaus machen würde. So also entsteht eine Massenkarambolage, dachte ich und fragte mich, ob meine Halswirbel…
Im Ernst. Ich fahre einen Smart. Die Knautschzone ist dürftig, um’s milde auszudrücken.
Der Typ hinter mir fuhr mich nicht zu Brei. Er schlitterte in den Stand, ich konnte fast seinen Atem spüren und hupte nun ebenfalls, als ginge es um sein Leben. Ging’s ja auch. Ich schrie immer noch. Da setzte sich der Stehende vor mir in Bewegung. Ich sah noch ein weißes Gesicht, das sich nach mir umdrehte, dann flitzte er seitlich weg.
So. Ich war so im Schock, als ich die Wohnung betrat, dass ich auf’s Lager sank und eben erst wieder zu Bewusstsein kam.

Ich sollte was philosophisches sagen jetzt.
Stattdessen geh ich Eisen stemmen.

10:32
So viel Gewicht wie eben ging, geht selten. Wütend trainieren: dieser Hunger nach Leben und Selbstbehauptung. Titten, Arsch und Schritt trainieren da mit.
(Das bleibt aber unter uns jetzt)