Mehr als zehn neue Erlaubnisse, numéro 2

Was ich heute auch tun werde.
Bin mit einem Schmerz aufgewacht an genau der Stelle unten im Rückgrad, an die bereits zweimal von Chirurgen Hand angelegt wurde. Wissen Sie, was mein erster Gedanke war? Ob es da irgendwo draußen (oder in mir selbst, was wahrscheinlicher ist) eine geheimnisvolle Instanz gibt, die sich einschaltet, wenn es mir zu gut geht, wenn ich zu freischwebend bin, zu übermütig, zu unbefangen, und mich auf den Teppich zurück holt. Es gibt kaum etwas wirksameres als Schmerz, um das zu gewährleisten, Angst zu machen. Die Idee einer Schwachstelle ins Gehirn zu bohren. Ah, das Körpergedächtnis.

Atmen, Phyllis.

Ich hab’ kurz überlegt, ob ich überhaupt davon sprechen soll, doch auslassen will ich’s auch nicht. Als könnten Sie, Leser:innen, keine Einbrüche aushalten! Unfug. Dies ist ein Tagebuch. Wir kämpfen gehen alle mit Beschädigungen um; sie wirken sich aus, beschleunigen oder behindern unsere Prozesse, alle Prozesse. Diese Stelle in meinem Rückgrad: Seitdem es sie gibt, hat mein Krafttraining nichts mehr mit Eitelkeit zu tun.
Manchmal konzentriere ich mich auf sie. Die Stelle. Sage ihr, schau, ich bau’ dir von vorne und von hinten schöne Muskeln als Wächter, damit du nicht alles alleine tragen musst. Das Unheimliche ist, der Schmerz kommt nie, wenn ich mich anstrenge, sondern in Phasen, wenn der Körper locker lässt: nachts, wenn die Wächter schlafen.

So. Ich gehe eine Stunde Laufen. Nicht rennen, nur einfach Laufen und Atmen. Es ist so warm draußen, so dicht, die Luft ist wie Eingeweide.

Haben Sie einen schönen Tag.

Phyllis