Arnos Beeren

„Am Anfang zerstörte sein Arsch die erste Zelle.“

Das war der Satz, mit dem mich der Kurator, von der gegenüberliegenden Straßenseite aus auf meine wechselnd, begrüßte. Er wies mit der Hand auf den Vorplatz, wie um ihn zu segnen.
Wir standen am Eingang; auch ich war eben erst eingetroffen. Eine Messingplatte, rechts von uns in Augenhöhe an den schmiedeeisernen Vierkantstäben befestigt, die die Einfassung des Geländes bildeten, zeichnete den Ort als Gedenk- und Begegnungsstätte Arno Schmidt aus. Die Platte war seit längerem nicht poliert worden.
Ich sah zum Gebäude.
„- Die erste Zelle?“
„Ja.“
Gesprächig war er nicht.
„Man kommt kaum hinein, ohne sie zu zerstören“, bemerkte ich. „Die Instandhaltung muss aufwändig sein.“
Er nickte. Noch immer hatten wir keinen Schritt getan.
Die Witterung mehrerer Jahrzehnte hatte auf dem großen Vorplatz ihre Spuren hinterlassen, unzählige tiefe Risse durchzogen die von der Sonne gebleichte Asphaltdecke. Weder Pflanzen noch Tröge, Skulpturen oder Springbrunnen lenkten den Blick des Besuchers vom Boden ab, der Platz war komplett leer. So musste jeder Gast bereits vom Eingangstor aus das Ausmaß der Aufgabe zur Kenntnis nehmen, der sich die Hüter der Institution täglich gegenübersahen.

In jeden Riss, jede Spalte der Asphaltdecke waren reife Erdbeeren gesteckt. Mit der Spitze nach oben.
Nicht gedrückt, dachte ich. Gesteckt. Jede einzeln. Große Erdbeeren für große Spalten, kleine für kleine, säuberlich nebeneinander, bis der Spalt gefüllt ist. Bis jeder Spalt gefüllt ist.
Der Kurator räusperte sich.
Ich wandte den Blick von den Früchten und sah ihn an.
„Es kommen zu viele Stipendiaten in letzter Zeit. Vor allem männliche“, sagte er.
„Das erhöht den Aufwand sehr, nicht wahr?“
„Ungemein“, bestätigte er. „Wollen wir gehen?“
Ich mochte aber nicht.
„Hat er sich draufgesetzt? Auf eine Erdbeere?“, fragte ich. „Schmidt?“
Der Mann nickte.
„Bei der Einweihung?“
Erneutes Nicken.
„Oje. Und seitdem – ?“
„Wir tun, was getan werden muss.“
Der Kurator nahm Haltung an, wie um der Bürde gewachsen zu sein und hob bedächtig den rechten Fuß.
„Kommen sie!“
Ich rührte mich nicht vom Fleck.
„Wo oft am Tag müssen sie die auswechseln?“ beharrte ich.
„Wir tun, was getan werden muss“, wiederholte er. Er sah mich an, sein Blick schwamm ein wenig.
„Sie weinen!“, rief ich. „Sie verklären ihn!“
„Sie sind Stipendiat“, erwiderte der Kurator mit Würde. Er nahm meinen Arm: „Lassen sie uns gehen, ich zeige ihnen ihre Zimmer.“

Jahre ist das her.
Meine Arbeit vor Ort ist längst getan und veröffentlicht, doch gelegentlich erinnere ich mich an diesen ersten Gang, die aufbrechenden Früchte unter meinen Schuhsohlen.
Zerquetschte Zellen.
Man gewöhnt sich daran.

Yup, Vernissage! : )

NOVELLE

Freitag, 19.08.2016, ab 19:00 Uhr
Eine Ausstellung mit 8 erzählerischen Positionen

Galerie Nord, Kunstverein am Tiergarten, Berlin

Martina Altschäfer, Matthias Beckmann, Phyllis Kiehl, Klaus Mellenthin, Sebastian Rogler, Uwe Schäfer, Caro Suerkemper, Majla Zeneli

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Einladung zur Novelle

Novelle
Eine Ausstellung mit 8 erzählerischen Positionen

Galerie Nord, Kunstverein am Tiergarten, Berlin
19.08.2016 – 24.09.2016

Martina Altschäfer, Matthias Beckmann, Phyllis Kiehl, Klaus Mellenthin, Sebastian Rogler, Uwe Schäfer, Caro Suerkemper, Majla Zeneli

“Mit der Ausstellung Novelle stellt der Kunstverein Tiergarten acht erzählerische Positionen der zeitgenössischen Kunst in beeindruckender medialer Breite vor. Die aus Frankfurt a. M., Rüsselsheim, Stuttgart und Berlin kommenden Künstlerinnen und Künstler verbindet das Interesse an Geschichten. Es sind Geschichten, die einmal stringent vorgetragen, ein anderes Mal fragmentarisch, brüchig und assoziationsoffen bildliche Gestalt annehmen. Nicht theoretische Konzepte, thematische Fokussierungen oder formalästhetische Untersuchungen bilden dafür die Grundlage, sondern vielmehr subjektive Beobachtungen, erinnerte Ereignisse, persönliche Obsessionen und historische Stoffe. Die Künstlerinnen und Künstler widmen sich mithin dem Feld des Fabulierens, das lange Zeit im Schatten künstlerischer Interessen stand, und unterziehen es einer produktiven Neubewertung.

Bruchstücke und Erzählfragmente sind es, die neben Martina Altschäfers großformatigen Zeichnungen mit ihren traumartigen Szenerien und Landschaften, ebenso Majla Zenelis Mezzotintoradierungen und Collagen zum Thema Portrait oder auch Uwe Schäfers – aus motivischen Überlagerungen und Montagen aufgebauten – Aquarelle bestimmen.
Ihre Arbeiten rufen Erinnerungen auf, feiern das Fragmentarische und vertiefen sich gleichermaßen in das Unbekannte und Unklare.
Die Lust am fabulierenden Erzählen verbindet sich dabei nicht selten mit einer vagen Ahnung von Bedrohung. Klar und bisweilen lakonisch hingegen sind die Zeichnungen von Matthias Beckmann. Als scheinbar neutraler Beobachter dokumentiert er an ausgewählten Orten mit wenigen, ebenso subjektiven wie pointierten und einprägsamen Strichen, was er sieht, während die fotografischen Arbeiten von Klaus Mellenthin in hohem Maße von einer beinahe karikierenden Inszenierung leben. Seine Berliner Dandys werden nicht selten zu Zeugen absurder Szenerien und zu Protagonisten der Konspiration.
Caro Suerkempers plastische und malerische Arbeiten wiederum konfrontieren Provokantes mit Dekorativem. Ihre bisweilen skurrilen Frauenfiguren bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Sehnsucht und Maskerade und sind in diesem Raum gefangen, ähnlich wie Phyllis Kiehl ihre obsessiv aufgeladenen Zeichnungen aus pornographischem Material entwickelt und dabei souverän mit Geschlechterzuweisungen und Rollenklischees spielt.
Solche surrealen Momente bestimmen letztlich denn auch zahlreiche der Fotoarbeiten von Sebastian Rogler, die zwischen Stillleben und narrativer Inszenierung changieren. Auch er ist – wie gewissermaßen alle Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung – ein brillanter Grenzgänger zwischen Bild und Text. Zur Ausstellung erscheint im Mirabilis-Verlag ein Künstlerbuch, das Texte und Bilder der beteiligten Künstlerinnen und Künstler zusammenführt.”
Claudia Beelitz

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(*freu mich*)