Eigentlich. Samstag, 12. Februar 2011.

Ich denke darüber nach, wie sich eine unvoreingenommene Diskussion führen ließe. Wie wäre es, wenn sich alle Beteiligten erst einmal neue Namen zulegten? Ein Pseudonym, das nur innerhalb dieser Diskussion verwendet würde.
Das wäre ein bißchen so, wie eine saubere Tischdecke aufzulegen, oder?

Gehe aber erstmal offline.

*tschilp*

Beste Grüße!

TT

18:49
Ich bin heute, seh’n Sie’s mir nach, geschätzte Leser:innen, etwas träg’ an den Synapsen!
(Im Gegensatz zu Ihnen ; )

01:04
Schluss mit dem nächtlichen Rumgeschwafel hier! Ich bin keine Löschliese, verdammt.
Wie entsetzlich öde, das immer wieder sagen zu müssen.

Mittig sitzen, ff

Ich bin traurig. Das ist oft meine Reaktion, wenn ich eigentlich wütend sein sollte; an Wut komme ich selten ran.
Ich versuch’s trotzdem mal. Da hat sich eine Auseinandersetzung hochgefiebert in den letzten Tagen. Auf verschiedenen Weblogs. Wer nicht weiß, wovon ich spreche, sollte vielleicht froh sein, ich verlinke hier jedenfalls nicht mehr! Jedenfalls blinkten dabei anfangs zwei Köder, an denen ich nicht vorbeischwimmen konnte: die Auseinandersetzung mit weiblichen Rollenklischees zum einen. Interessiert mich immer, klar. Und die Frage, wie viel Übersetzung/Verhüllung es braucht, um Privatpersonen beziehungsweise reale Begebenheiten als Material für das eigene literarische weblog verwenden zu können. Interessiert mich auch sehr. Denn – wie irgendwo jemand kommentierte – wenn der Text, der den Stein ins Rollen brachte, erst ein Jahr später innerhalb eines Romans erschienen wäre, hätte sich wohl niemand in diesem Maße darüber aufgeregt. Es geht also –auch- um Unmittelbarkeit. Weblogtexte unterliegen anderen Regeln als Manuskripte, die irgendwann in Buchform erscheinen.
Das dritte, was mich irritiert, ist kein Köder, sondern ein sehr persönliches Ding: die diesen Disput tragenden Personen kennen sich. Persönlich. Es ist also kein Sturm im Wasserglas, wie man von Ferne gerne denken möchte, sondern eine handfeste Auseinandersetzung zwischen realen Menschen, die sich mit Namen kennen. Die Sache hätte hinter den Kulissen bereinigt werden können. Das wurde auch versucht; trotzdem scheint kein Schlußstrich in Sicht. Da werden Freundschaften aufs Spiel gesetzt! Eine ist ganz offensichtlich schon ruiniert. Was soll man dazu sagen? Ich spüre, das Ding geht sehr weit über Selbstdarstellungsmodi und Stürme in Wassergläsern hinaus – und es macht mich sehr, sehr nachdenklich. Auch befangen. Ich möchte Schlüsse daraus ziehen. Ich möchte aber nicht den Schluss daraus ziehen, mich nie wieder einzumischen in Angelegenheiten, die ich nicht wirklich beurteilen kann. Das „Halt Dich da besser raus“ – Prinzip ist mir nämlich suspekt.
Schon klar, man riskiert, eins auf die Fresse zu kriegen, wenn man sich in eine Prügelei einmischt. Wir sind aber nicht in der Kneipe.
Wir sind ernsthafte Leute. Verletzbare Leute. Fehlbare Leute. Und manchmal sich ineinander verrennende Leute. Dennoch Leute mit Humor. Doch das rettende Federchen, das sich Ironie nennt, verwandelt sich manchmal (die Hitze des Gefechts) in eine Stahlbürste – was man eventuell erst merkt, wenn dem anderen die Nase blutet.
Worauf ich hinaus will, ist dies: hinter unseren öffentlichen Präsenzen stehen reale Menschen. Wer das deutlich machen will – mit allem, was es impliziert – hat die Möglichkeit, das eigene Weblog unter seinem/ihren realen Namen laufen zu lassen. Ich zum Beispiel mache das so: wer sich hier auf TT kommentierend äußert, spricht mit mir, wer mich würdigen oder angreifen will, trifft auf mich. Das will ich so; ich will als Autorin von TT kenntlich sein, ich will mich real freuen und real ärgern.
Eine Möglichkeit von vielen, schon klar. Ich mag Pseudonyme und lese auch gerne in formalisierten oder Kunstfigurenweblogs, nur für mich ist das eben nichts. Weil ich durcheinander käme. Ich will meine Themen auch nicht relativieren oder ironisieren (müssen), wenn mir gerade nach 1:1 zumute ist. Und wenn ein Streit ausbricht? Umso besser; wir müssen uns hier nicht alle ständig den Bauch pinseln. Nur mit Hauen und Stechen kann ich persönlich nicht umgehen.
Der Streit anderenorts ist aus dem Ruder gelaufen. Da geht’s nicht mehr um feurig aufeinander prallende Gegensätze, sondern um ungebändigte Wut, die real verletzt, und zwar hallo. Ich verfolge das.
Welche Schlüsse ich daraus ziehe?
Welche ziehen Sie denn daraus, geschätzte Leser:innen?

Mager. Donnerstag, 10 Februar 2011.

Dieses Mädchen ist, Himmel sei Dank, nicht mehr mager. Doch sie war’s. Sie war, deutete sie schreibend an und erzählte auch später, mit fünfzehn so ausgezehrt, dass nichts mehr ging. Ich sehe dem Mädchen in die Augen. Einen Wahnsinnsblick hat sie, hell, klug, eine Sprache sprechend, von der andere Siebzehnjährige nicht mal was ahnen. Wer den Dämon der Magersucht überlebt – und das hat sie, sonst säße sie nicht an meinem Tisch – hat meine volle Bewunderung. Mir egal, wie aufgeladen ich klinge – es erschüttert mich einfach immer wieder, wie früh dieser Kampf, “richtig” auszusehen, schon losgeht. Und bis man in der Lage ist, diesem Druck mittels eigener Intelligenz, Vorstellungskraft und Lebenserfahrung ein “Ich bin!” entgegenzusetzen, kann die Selbstwahrnehmung schon schwer beschädigt sein. Aus eigener Erfahrung weiß ich, diese Marker kriegt man nicht mehr los, die einzige Möglichkeit, scheint mir, ist, mit ihnen zu arbeiten.
Jedenfalls ging mir dieses Mädchen nicht aus dem Kopf gestern Abend, während die Diskussion der Ausgewachsenen (Sie wissen schon, wo) um offensiv Weibliches kreiste. Ich spürte, was für ein Riesenbrocken das ist. Und dass ich ein Gespräch dazu gerne noch weiter führen würde.

So. Pause zuende. Weiter geht’s.

19:13
Eben muss ich an Stieg Larssons “Verdammnis” denken, ich sah die Verfilmung kürzlich im Fernsehen. Diese Frau, die Hackerin. Klein, tätowiert, misstrauisch, geschunden und wehrhaft bis zum Äußersten, eine Phoenixin, aus der Asche ihrer Jugend gestiegen, bei gleichzeitigem Verlust all dessen, was man heutzutage soziale Kompetenz nennt.
Die Trilogie von Larson ist, vermute ich, nur wegen dieser unkonventionellen Frauenfigur so erfolgreich geworden.
(Die Bücher sind übrigens schlecht geschrieben, finde ich; ich versuchte mich letztes Jahr mal daran und legte den Band nach dreißig Seiten weg)

Stig Larsson / Die Autisten

“Das Eigelb wird mit Zucker und gekochten, geschälten, geraspelten Mandeln schaumig gerührt, und die weiche, plastische Masse verrät keinerlei Ähnlichkeit mehr mit den gelben, eingesponnenen Bällchen und ihrer durchsichtigen Brudermasse, die mit den Schalen zwischen Papier und Weinkorken im Müllbeutel liegt.”

“Die Autisten”, Zürich: Amman. 1989. (Orig.: Autisterna. Stockholm: Bokförlaget ALBA. 1979/1988.)

(Zugetragen von brsma: “Fantastisches Buch mit einer geradezu magischen Sprache, die der beständigen Bewegung zwischen Alltag und Obsession, Ruhe und Gewalt mit faszinierender poetischer Präzision eine wunderbar eigenständige Form verleiht. Mit etwas Glück bekommt man’s manchmal noch antiquarisch… 🙁
P.S.: Es handelt sich nicht um den fast gleichnamigen Bestsellerautor (mit -ie-)”

Michel Leiris / Die Spielregel, Band 1: Streichungen

«Auf den unerbittlichen Boden des Zimmers (Salon? Eßzimmer? Mit einem angenagelten Teppich mit welkem Rankenmuster oder einem losen Teppich mit faden Ornamenten, in die ich Paläste, Landschaften und Erdteile zeichnete, ein wahres Kaleidoskop, womit ich als Kind spielte und zauberhafte Bauten schuf, ein Kanevas für Tausendundeine Nacht, die mir damals die Seiten keines Buches erschloß? Oder ein nackter Fußboden, gewachstes Holz mit dunkleren Lineamenten, sauber geschnitten von der strengen Schwärze der Rillen, aus denen ich zuweilen, um mich zu zerstreuen, Staubflocken stocherte, wenn ich unverhofft eine Nadel gefunden hatte, die den Händen der im Taglohn stehenden Schneiderin entfallen war?), auf den makellosen und unbeseelten Boden des Zimmers (samtweich oder holzig, im Sonntagsstaat oder kahl, den Ausflügen der Einbildung oder mechanischeren Spiele hold), im Salon oder Eßzimmer, Halbschatten oder Tageslicht (je nachdem ob es sich um jenen Teil des Hauses handelte, wo die Möbel gewöhnlich durch Überzüge und all die bescheidenen, meist versprengten Reichtümer durch die Sperre der Fensterläden vor der Sonne geschützt sind, oder nicht), in diesem kaum den Erwachsenen zugänglichen Gehege – und stille Grotte für die Schlafsucht des Klaviers – oder in jenem mehr gemeinsamen Raum, der den großen Ausziehtisch umgab, um den die ganze oder ein Teil der Familie sich zum Ritus der täglichen Mahlzeiten einfand, war der Soldat gefallen.»

“Die Spielregel, Band 1: Streichungen”, Matthes und Seitz, 1993

(Zugetragen von brsma)