Aufladungen

Den Daten, die man auf der Welt erzeugt, Bedeutung verleihen: Ohne das bin ich nur ein Wesen unter vielen, das im Laufe seines Lebens einen Wust mehr oder weniger irrelevanter Informationsspuren produziert. Gesprochene Worte, Handlungen, Körperliches, Re-aktionen in anderen, Manifestationen in Systemen: Ich mache Daten. Mehr ist Handeln nicht. Ob diese „wichtig“ oder „unwichtig“ sind, liegt allein daran, welchen Wert ich ihnen beimesse. Oder andere. Doch vor allem ich. Wenn ich selbst den Wert der Daten, die ich erzeuge, nicht erkenne, hilft es erfahrungsgemäß auch nicht, wenn andere das tun.
Und damit beginnt mein Problem. Oder sagen wir, meine Situation.
Denn während ich mich mit der Welt um mich herum auseinandersetze, vermische, erzeuge ich zwar heftige Informationsspuren, doch so sehr ich sie auch mit Bedeutung auflade zum Zeitpunkt ihres Entstehens, eine Kontinuität von „Wert“ kann ich oft nicht nicht herstellen.

Am Anfang ist „Wert“ immer mit dabei, als selbst bewusster Zwillingsbruder von „Bedeutung“. Doch nach der ersten euphorischen Phase zieht sich die Bedeutung sehr oft aus den Blutbahnen meiner Handlungskörper zurück, sickert aus irgendwelchen kleinen Lecks in die Atmosphäre und verschwindet.
Ihr verdammter Bruder Wert gleich mit.
Dann kann ich wieder von vorne anfangen.

Vielleicht wollte ich keine Kontinuität? Vielleicht gefallen mir Neuanfänge? Das wäre die wohlwollende Interpretation. Die andere ist jene, die mich dazu brachte, dieses Journal „Tainted Talents“ zu nennen.
Falls ihr glaubt, Leser, ich kokettiere mit einer Idee von Beschädigung, liegt ihr richtig. Was aber nicht heißt, dass sie nicht da wäre.

Doch zurück. Aufladungen: Ich mache das die ganze Zeit. Mit einfachen, fast kindlichen Ritualen komme ich am besten zurecht; die halten täglicher Beanspruchung am besten stand.
Zum Schreiben brauche ich ein bestimmtes Setting, ebenso zum Zeichnen; ich muss An-ordnungen herstellen. Ein bestimmtes Kissen, ein Stift, ein Cocon immer gleicher Gegenstände um mich herum, die mich vor dem Impuls abschirmen. Vor der Unruhe. Vor dem verdammten Drang, aufzuspringen und „etwas anderes“ zu tun, das mir zufällig in den Kopf geschossen ist. Argh!! Ich sollte mich festschnallen.

Das einfache Ritual: Wenn ich nach links sehe, wie perfekt die alte französische Milchkaffeeschale mit den blauen Jugendstilmotiven, die ich kürzlich in Paris in einem Antiquitätenladen gekauft habe, der Ton des viel benutzten Steinguts in seiner Materialität zur schrabbeligen, cremefarbenen Oberfläche meines Nachttisches passt: Da habe ich zwei Objekte zusammengebracht, die dazu bestimmt waren, kombiniert zu werden.
Als ich die Schale kaufte, wusste ich bereits, dass ich sie aufladen würde; es war kein spontaner Kauf, im Gegenteil, ich ging mehrere Male zu dem Laden, betrachtete ausgiebig alle Schalen, dazu alles andere, das dort zu kaufen war und entschied mich erst nach mehreren Aufenthalten in dem kleinen, völlig zugestellten Geschäftchen für diese eine, blau-weiße. Sie hatte von Anfang an mit den anderen im Regal gestanden. Sie war teuer. Ich hatte mehrere Anläufe gebraucht, um zu erspüren, dass sie die einzig geeignete für meine Projektion sein würde.
Ich nahm sie mit ins Atelier, später zurück nach Deutschland, nun steht sie also auf dem Tisch neben meinem Bett. Hätte ich nicht die Idee gehabt und als Ereigniskette in Gang gesetzt, einen bestimmten Gegenstand zum Ausgangspunkt eines Arbeitsrituals machen zu wollen, diesen Gegenstand in Paris aufzuspüren, in einem ganz bestimmten Laden, der nur wenigen bekannt ist, hätte ich nicht beschlossen, dass die Schale ein Symbol für meine schöpferische Arbeit werden soll, dass sie sie nur benutze, wenn ich zeichne oder schreibe – sie wäre nichts weiter als ein Ding in einem Regal, das seine besten Tage hinter sich hat. Niemand weiß, was dieses alte Ding darstellt, wenn ich ihm keine Bedeutung zuweise und weitergebe. Sobald ich das getan habe, vervielfacht sich der Wert des Objekts.
Jetzt.
Schon, indem ich das hier schreibe, hat es stattgefunden.
Und, ja, das funktioniert auch bei “wirklich wichtigen” Dingen ; )

Neuroschub

Gestern war ich zum ersten Mal seit Paris wieder in der Agentur, für die ich seit über zehn Jahren als freie Texterin und Akquisiteurin arbeite.
Kaum sitze ich zwei Stunden, überfällt mich die Neurodermitis mit den vertrauten Symptomen: Augenbrennen, Lider fangen an zu nässen, Lippenkonturen entzünden sich, die Haut an Hals und Armbeugen wirft sich gerötet auf, juckt wie verrückt.
Damn.
Und dabei sind das Freunde inzwischen, meine Agenturkollegen, die Chefs, ich fühle mich dort wohl. Die Arbeit dort überfordert mich nicht. Trotzdem bin ich gestresst, trotzdem rebelliert die Haut auch heute wieder. Musste gerade meinen Arbeitsbeginn um eine Stunde verschieben, weil ich mich erstmal rundumeincremen und Antihistamine schlucken muss.
Bin ich allergisch gegen Lohnarbeit?

Gibt’s eigentlich

schon jemanden, der öffentlich auf Leserbriefe antwortet?
Zum Beispiel auf die im SPIEGEL? Ich glaub’ nicht.
Dabei wär’s wirklich lohnend, da gelegentlich mal den Faden aufzunehmen.

Habt ihr gelesen, wie frigide manche unserer Landsleute im neuen SPIEGEL auf den Auftritt von Barak Obama in Berlin reagieren?
Echt traurig. Hendrik Tongers zum Beispiel schreibt: “Die Sucht nach einem charismatischen Führer ist wohl unausrottbar” und Peter Müller fragt: “Ob der Kandidat wirklich über den Zulauf der deutschen Massen glücklich war? Jubelnde Deutsche dürften weltweit nicht als Empfehlung gelten.”
Ja, Herr Müller, jubelnde Deutsche sind echt grässlich.
Gut, dass Sie uns daran erinnert haben.

Disziplinierung

Ist der Mangel an Inspiration auch immer ein Mangel an Disziplin, wie Alban Nikolai Herbst heute in seinem Arbeitsjournal schreibt?
Und heißt das im Umkehrschluss, dass mit genügender Disziplin die Inspiration schon eintreffen wird?
Ich denke immer wieder darüber nach, was es ist, das diese Durchlässigkeit in der Wahrnehmung bewirkt, die ich brauche, um eigene Gedanken zu entwickeln, eigene Bilder. Entsteht selbstständiges, originäres Denken aus „zusammenreissen“? Braucht es ein Setting? Kontinuität? Wenn ja, wie viel davon?

Ich glaube, Disziplin ist nicht Voraussetzung, sondern Verwaltung der schöpferischen Impulse. Wie die entstehen, hat nur bedingt damit zu tun, dass man sich „im Griff hat“ – was Disziplin ja immer auch heißt.
Bei mir selbst mache ich immer wieder die Erfahrung, dass sie zum Selbstzweck wird. Ganz banal, um Existenzangst zu kontrollieren, sich das Schlittern vom Leib zu halten. Um überhaupt zu kontrollieren… aus Angst vor Entgrenzung. Wer seine eigene Struktur aufzubauen, sein eigener Maßstab zu sein versucht, begibt sich in eine diffuse Zone, die gestaltet werden will. Eine Heidenarbeit, ohne Disziplin nicht zu schaffen. Trotzdem kommt mir oft der Verdacht, dass ich in meiner Bemühung um Kontrolle eine Unfähigkeit zu überdecken versuche: Die, mich zu vergegenwärtigen. In der Zeit zu sein. Ein Empfinden für mein JETZT zu entwickeln, aus dem heraus die interessantesten Ideen entspringen. Meine Befürchtung ist, dass mir die eigene Disziplin, die ja immer auch eine Projektion in die Zukunft darstellt, das Gespür für die Nadelspitze der Gegenwart verwischt.
Lust auf Jetzt habe ich schon. Aushalten kann ich es oft nicht. Weil man sich dabei isoliert von den anderen, die immer irgendwelchen Vorhaben nachgehen, ob eigenen oder fremdbestimmten.
Ich glaube, es geht um Durchlässigkeit. Wie schaffe ich eine rezeptive Situation? Wie ist das eigene Verhalten zu formalisieren, um sie herzustellen? Ergebnisse, die man erzielt, weil man sich geplagt hat, nimmt man ja in der Regel ernster als Ideen, die so angehupft kommen und gleich fertig sind…
Warum eigentlich?