Kompetent, aber künstlich

Miss TT denkt nach. Nicht vor allem, aber auch nicht zuletzt über den Dschinn und Undschinn dieses Weblogs. Das ihr am Herzen liegt, weiterhin. Klaro! Sie kam nur so oft in den letzten Wochen, ja Monaten, ins Grübeln. Ihr ging’s nicht gut. Sie fühlte sich wie ein Alias ihrer selbst: Kompetent, aber künstlich. Was wirklich von Belang, was weh und real war, fand im inneren Situation Room seinen Ausdruck. Nicht hier. Denn in der Publikation – so der (grrrimmige) Selbstanspruch – sollten Gefühle zu Themen werden und Themen eine Form haben. Miss TT will doch das innere Eigene nicht einfach undigestiert raushauen, vor allem nicht, wenn es düster ist, und wieder düster am nächsten Tag, und im Übermorgen immer noch.
Jauchzen ist einfach zu kommunizieren, Jaulen nicht. Wer will schon mit Fremdjaulen konfrontiert werden ständig.
Also.
Schrieb sie mehr Tagebuch. Le journal intime. Da lässt sich’s wüten, ohne andere mit nach unten zu ziehen, die schließlich auch ihr Päckchen zu tragen haben. Und versuchte sich hier auf TT hauptsächlich in durchaus zärtlich bebilderten Ablenkungsmanövern. Geschnitzte Deckelchen für die Wucht des Tatsächlichen. Sie wissen schon. Ungefährliche Gesten.
Tatsache ist, eine Weile geht so etwas gut. Aber irgendwann wird diese fehlende Übereinstimmung zwischen Selbstwahrnehmung und Außendarstellung zur Streckbank. Oder (für die zarten Gemüter unter Ihnen) zur Relativierungsfalle.
Darüber denkt sie jetzt nach. TT als gemeinsame Expedition. In letzter Zeit fühlte es sich für die Verfasserin eher wie eine wattierte Box an.
Miss TT wünscht sich, diese Watte herunterzureißen. Vielleicht erkennt sie dann auch, wo sie einen Konstruktionsfehler hat, ihre Box, und wird das Ding zusammentreten. Für Expeditionen braucht man einen Horizont.

Wildwuchs

“Bei Dir war ja mal wieder ganz schön was los; ich neide Dir das ein wenig. Wie Du dafür nur ein paar Sätze brauchst, eine Schnecke, eine kleine Zeichnung.”
Ich sage nicht, was ich erwidert habe. Ich schreibe aber, dass es noch nie fair war. Nichts. Nichts war je fair, wo Leute impulsiv reagieren, Zuneigung verschenken, sich mit deiner Arbeit identifizieren, über kleine oder größere Gesten.
Künstlerische Arbeit ist nie das, was belohnt wird. Nur ihre Auswirkung. Wenn sie nicht wirkt, gibt’s keine Belohnung, ganz unabhängig davon, wie brilliant sie ist, wie viel Lebenssaft in sie geflossen ist, Kraft und Überzeugung und Verzicht. Schließlich handeln wir ohne Auftrag, oder? Denn falls es doch einen gesellschaftlichen Auftrag geben sollte, falls es tatsächlich eine Mehrheit dafür gäbe, dass Künstlerinnen und Künstler gebraucht werden, und zwar nicht nur die genialen, er wäre das Papier nicht wert, auf dem er stünde.
Wir wollen alle dazugehören, selbst jene wollen es, die lieber ihre Zunge verschlucken würden, bevor sie das zugäben. Wir wünschen uns, dass unser Einsatz messbar wäre: wer viel einspeist, bekommt viel zurück, wer Geniales einspeist, bekommt geniale Reaktionen. Die Dinge aber, die ich bekommen habe für meine Taten, habe ich mir nie verdient. So fühlte es sich nie an. Ich habe mir, als Künstlerin, noch nie ein Recht erworben. Ich habe noch nie in Kategorien von Rechte erwerben gedacht. Ich habe immer etwas ausgesetzt, das eigen war und ging davon aus, jemand würde sich daneben legen, Haut an Haut.

„Ich bin auf dem Weg in den größeren Maßstab“ erzähle ich. „Das ist mein nächstes Ziel. Ich möchte Biographien begleiten, ich möchte einen Ort haben, an den sie zurückkehren können, auch nach langer Zeit. Die jungen Menschen, mit denen ich arbeite. Ich möchte säen und nachspüren, ob die Saat aufgeht und welche Früchte sie trägt und jenen, die brach liegen, einen Ort geben, an dem auch Brachland einen besonderen Wert hat. Nicht nur Leistung, nicht nur Bereitschaft. Sie haben Angst vor Lücken, sagen sie. Lücken im Lebenslauf. Man redet ihnen ein, es dürfte keine Lücken geben. Ich bin anderer Meinung.“
„Aber Du hast nicht viele Möglichkeiten, darauf Einfluss zu nehmen.“
„Noch nicht. Um die zu haben, muss ich eine Adresse werden. Eine Referenz. Ein Ort, an dem Dinge mit großer Selbstverständlichkeit möglich sind, ein Ort, der Wachstum und Vermischung in Gang setzt. Ich weiß nur aus Erzählungen, wie es ist, wenn allein der eigene Nachname, den man am Telefon ausspricht, am anderen Ende eine Tür verschließt.“

Ich will nicht die nächsten zwanzig Jahre Workshops geben. Es geht mir nicht wirklich um das Schreiben, es ist nur eines von vielen Mitteln zur Ingangsetzung. Es muss einfach Menschen geben, die jüngeren Menschen glaubhaft klar machen können, dass ihre Leistungsbereitschaft keine Garantie dafür darstellt, dass sie geachtet und geliebt werden. Ich kenne so viele, die sind achzehn und haben keinen blassen Schimmer davon, was in ihnen steckt. Fragt man sie, was ihre Stärken sind, sagen sie, ich bin hilfsbereit und ich kann gut zuhören. Ich lasse meine Freunde nicht im Stich. Ich bringe Andere zum Lachen. Alles schöne Eigenschaften. Alles welche, die darauf abzielen, angenommen zu werden.
Noch fast nie hat mich jemand gefragt, ich will mein eigenes Ding machen und damit die Gesellschaft verändern, wie geht das.
Was alle wissen wollen, auch wenn sie die Frage nicht stellen: Was muss ich tun, damit andere mich respektieren, lieben und brauchen, und wie kriege ich das hin, ohne mich übermäßig dafür anstrengen oder verbiegen zu müssen.

„Warum hast Du die Operation an Deiner Gebärmutter eigentlich Schönheits-OP genannt?“
„Weil manche Zellen schön sind und andere nicht. Die hässlichen wollte ich nicht mehr haben.“
„Du hast es runtergespielt.“
„Ich kann nun mal nicht schreiben, während ich nackt auf einem Gyn-Stuhl einen Angriff reite. Und diese Position, dieses gespreizte Ausgesetztsein, bleibt auch danach noch im Kopf, eine Weile.“
„Klingt eher hilflos als angriffslustig.“
„Das widerspricht sich keineswegs…“
„Die Waffe hat aber doch jemand anderes geführt.“
„Nicht wirklich.“
„Die waren nicht nur hässlich, sondern auch gefährlich, diese Zellen.“
„Es geht um Wildwuchs. Unberechenbarkeit. Wie viel davon kann ein Organismus verkraften, ohne dass seine Routinen zusammenbrechen. Überleben ist schön. Sterben nicht.“

Wildwuchs. Was für ein verdammt ambivalentes Wort.
So könnte ich den Ort nennen.

17:08
Aus dem Schreibtraining

Liebe Miezekatze,
als ich im Museum ankam, war ich sehr neugierig, was es hier für Ausstellungen gibt. Da Du auch extrem neugierig bist, wie ich Dich kenne, würdest Du als erstes auf eine Vitrine hochspringen und die interessanten Steinwerkzeuge angucken, auch diskret mit dem Steinball herumspielen, oder auf dem stockförmigen Stein da herumbeißen. Aber pass’ auf! Die sind mit zwei Millionen Euro versichert.
Was sehr bizarr war, waren die Messer, weil sie zum Beispiel drei scharfe Spitzen hatten oder eher blattförmig waren. Und der Schmuck war sehr groß und schwer.
So klein, wie Du bist, könntest Du da reinkrabbeln.
Die reichen afrikanischen Frauen trugen sehr viel Schmuck, um den Leuten zu zeigen, dass sie reich sind. Aber wenn der Mann starb, mussten sie Holz-Accessoires tragen.

Deine verrückte Freundin
Y.

Die Blumen des Bösen: Relativiert

Als schwierigste Übung von allen: die Verbindung zu sich selbst nicht verlieren. Wer sich nicht regelmäßig ins Alleinsein begibt, ist gefährdet. Ah, die inneren Welten, ma chere! Wir müssen etwas suchen. Uns selbst. Oder wenigstens Gott. Wer weder das eine noch das andere sucht, wird Opfer von Information. Die ernten wir als Gefühle ab, bis die Speicher überquellen. Auch eine Sucht: Vorräte an Gefühltem anhäufen für entfremdete Zeiten.

[„Man will um seiner selbst willen geliebt werden, aber man wird nicht um seiner selbst willen gefickt“ sagtest Du kürzlich. Ich stand nur dabei. Verzeihung: Ich schreibe dies Wort nicht gerne hin. Doch so hast Du es nun mal gesagt, ma Sanssourir. Ich mag Dich nicht falsch zitieren.]

Überhaupt mag ich nicht falsch sein. Das macht den Blick ins Außen so kompliziert, denn der, zweifellos, ist immer gefärbt, unvollständig, niemals fair. Das Einzige, worüber ich frei verfüge, ohne Anderen Unrecht zu tun, ist mein Subjektives.
Niemand kreidet mir das so an wie ich selbst.
Da sterben Kinder. Da versickern Geldströme. Da wird Raubbau betrieben an Mensch und Moral.
Halt’ die verdammten Augen offen, sage ich mir. Verwende Dich für das Gute. Sei dankbar für F o r m, wo andernorts Chaos ist.

„Stell’ Dich nicht so an.“
Der Satz meiner Kindheit. Demut, Demut. Immer waren es die Umstände, zu denen das Empfinden in Relation gesetzt wurde. Ein eigenes, Umstandsloses, gab es nicht.
Wappne es sich vor Unverhältnismäßigkeiten, das Kind! An Deinem Hecheln wird man Dich erkennen.
Atme durch die Haut.
Sei relativ.

Heute Nacht träumte ich von einer Dame. Sie trug ein Hündchen am Busen. Es war welpig, einfach sehr klein und weich, mit zartesten schwarzen Locken. Und so lebhaft, es quirlte in ihren Armen. Ich versuchte, seine Augen zu erspähen, doch die waren nicht zu seh’n unter dem Fell. Stattdessen entdeckte ich ein nacktes, rosafarbenes Mal an des Hündchens Kehle, ein perfekt vernarbtes, kreisrundes Stück Haut, etwa so groß wie mein Daumennagel. Ich konnte den Blick nicht davon wenden.
„Ist das eine Gemme“, fragte ich die Dame.
„Oh ja“ erwiderte sie. „Es ist das Logo der Modelinie meines Mannes.“
Ich stellte mir vor, wie die Dame es jeden Morgen mit ihren manikürten Fingerspitzen einölte, damit es so glänzte tagsüber. Das Hündchen, ich hätte es gerne zu mir genommen.
Als Erstes hätte ich nachgesehen, ob es Augen hat.

Ich bin da.

Ich pass’ auf Dein Zimmer auf. Und auf sie.
Du hast gespürt, dass ich Deine bin. Und nie was verlangt. Leider. Ich könnte, zum Beispiel, die drei Pullover stopfen, an denen die Motten waren. Ich meine, massiv: mehr Loch als Pulli. Sagt sie. Sie will sie nicht mehr im Haus haben. Wegen der Larven.
Doch ich hab’ Dinge: die von Hand beschrifteten. Ein Kaviargefäß, beklebt mit einem Kreppstreifen.

„Glaubersalz“

In der coolen Handschrift, die Du hattest.
Ich hab’ exakt die gleichen Hände wie Du.
Manchmal denke ich, ob ich mich wohl endlich erinnere, wenn ich alt bin: daran, wie jung Du mal warst. Nicht wie jetzt. Hier stehen Fotos, auf denen Dein Übermut schon nach innen geklappt ist, ein gefaltetes Tempelchen. Mit Blattgold. In Deinem Blick, meine ich! Es ist alles in den Augen, das Kämpfen, das Abfinden. Kapitulation: das ist, wenn die Spitze gekappt wird.
Ich möchte Deinen Körper. Schlafe in Deinem Bett. Ich stehe in Deinem Zimmer und überlege, was ich noch mitnehmen könnte, ein Messer, eine Uhr, doch es ist der Duft in den Schreibtischschubladen, den ich will. Den kann ich nicht mitnehmen. Vielleicht ist er auch im Stuhl.
Vielleicht kann ich den Stuhl mitnehmen.
Den Klang Deiner Schritte vom Zimmer bis zum Bad.

Er trägt Deinen Bademantel, übrigens.
Du bist nicht weg, bist in meinen Händen, allen vieren. Diese kräftigen Hände mit prallen Adern. Vor einiger Zeit sagte jemand: „Sie sehen alt aus und gleichzeitig jung. Du hast existenzielle Hände. Ich möchte sie malen.“
Und ich dachte, dass sie doppelte Masse haben.

Ich will Deinen ganzen, Deinen Bisonkörper. Ich will meinen mächtigen Kopf ins Wasser kippen und hochkommen, ihn nach hinten werfen, das Prasseln der Wassertropfen auf meinem breiten Rücken spüren, als wärst Du es. Mein Doppel-Tier. Mein Zwilling.
Wie wonniglich ich Dich immer überschätzt habe. Liebe reicht, wusste ich. Selbst, als sie anfing zu trösten, mich offen auszulegen, als sei ich Nahrung. Kein anderer Mensch hat das wieder geschafft.
Wollte auch niemand.

Ich lache Dein Lachen, das, dem Du hinterherweintest, als es sich entfernt hatte. Ich bin so lüstern, wie Du es warst. Du Nimmersatt. Die Menschen wollen uns, hm?
Es braucht keinerlei Anstrengung, meinen Kopf in Deinen Brustkorb zu schieben, hinter die Rippen, und dort einzuschlafen.
Dann, wenn ich aufwache, kann ich immer weit hinaus sehen.

Paarungsaufruf Number One

Also, die Lebensgier. Und was ihr auf dem Weg von der Identitätszelle in den Bedeutungshof so alles zustoßen kann. Irgendeiner kommt ja immer und behauptet, das bringt doch nix schalt’ doch mal einen Gang runter ich mach’ mir Sorgen um Dich mach’ Yoga komm’ Tatort gucken willste was essen.
Kennen Sie das? Vielleicht machen Sie ja andere Erfahrungen. Falls ja, speak up, honey. You’ve got an audience.

Die geile Gier. Die Gier nach der Gier, einhergehend mit der Ablehnung der Ungier. Manche können ja auch mit Lust was anfangen. Meinetwegen. Aber Hunger und Gier sind die besseren Erfüllungsgehilfen (manchmal auch Geh-Hilfen, hihi), weil die Lust, ach, die ist so ein schnäkiges Helferlein. Schnappt nur nach dem, was verzehrfertig aufpoliert ist und später beschwert sie sich, es wär’ immer das Gleiche. Menno, ich langweil’ mich… Jaja. Die Lust ist ein bisschen wie Schnick-Schnack-Schnuck spielen. Wenn man erst einmal raushat, wie schlicht die Manöver im Grunde sind, verliert sie an Biss. Flauschi ahoi. Da hülfe nur noch Gier, doch dazu müsste man die beschwichtigenden Stimmen aus dem Inneren der Identitätszelle ignorieren. Können.
Sieben Türen trennen uns vom Hof.
Die Vorsicht.
Die Abnutzungserscheinung.
Der Verzicht.
Die Bescheidenheit.
Das Gemeinwesen.
Die Trägheit.
Der Umkehrschluss.
(Nummer Sieben ist die übelste Tür von allen.)
(Denken Sie mal darüber nach.)

Es muss doch einen Grund haben, dass wir ermüden. Die Lust verlieren. Oder? Ich meine, wir ermüden, das ist nicht zu übersehen, wir verlieren an Verve. Das tut doch niemand freiwillig?! Wir gewöhnen uns so schnell an die Lust, ein Jammer ist das. Liegt an der Bewahrungsmentalität. Lock ’nd Lock. So heißen diese Sicherheits-Küchenbehälter, aus denen nichts ausläuft. Lebenslange Garantie. Wenn aber nix mehr rausläuft, läuft auch nichts mehr rein.
Verzeihen Sie, dass ich Sie so in einen Topf werfe heute, aber mich hier alleine hinzustellen und das zuzugeben wär’ echt viel verlangt. So viel verlange ich nicht von mir. (Iwo.)

Dabei fängt alles so gut an. Wir sind begeisterungsfähig. Kein Wunder, wir schnüffeln doch ständig. Wir denken, ja, das lässt sich gut an, hier setz’ ich meine Duftmarke ran, Trüffel, Moschus, Ponyhof, was auch immer. Wir sind markierungsbereit. Und die Anderen, wenn man’s genau nimmt, riechen auch nicht so übel. Lässt sich doch was draus machen. Alles, was wir brauchen, ist ein bisschen Schlüsselrasseln im Gang draußen, schon schnuppern wir Morgenluft. Das olle Ich wird ja schwer überschätzt. Das Ich kommt nie in die Brunst, so sieht’s nämlich aus. Und die Brunst ist das, worauf Verlass wäre: Nix mit Lock ’nd Lock. Die lässt sich nicht versiegeln.
Sagen wir also, der Aufbruch aus der Identität wäre geil. Man weiß noch nicht, ob man alle sieben Türen zum Hof aufkriegen wird, aber man ist schon mal gemeinsam im Gang. Dicke-Hosen-Treffen. Yo! Schluss mit Bescheidenheit – jeder zeigt, was er hat. Geist. Pläne. Schwellkörper. Glitsch. (Ohne Glitsch können Sie’s vergessen.) Halten Sie ungeniert nach jenen Mitinsassen Ausschau, die ihre Hände nicht in den Taschen behalten. Interaktionen im Gang sind erwünscht: Seid willens und erigiert, was Ihr habt. Und wenn Ihr’s nicht bis raus in den Hof schafft (sieben Türen sind ’ne Menge Holz, und ich hab’ wahrscheinlich ein paar vergessen) – der Gang tut’s auch.

Vom Zauber der Doppelflat

Z-Intro:
Zu müde, um zu wachen, zu verstimmt, um zu stimmen. Zu beleidigt, um zu leiden und zu zögerlich, um zu zögern. Zu gut erzogen, um andere zu erziehen und zu zickig, um einfach mitzuziehen.

Was wäre, wenn wir wirklich denken könnten. Ich meine, außerhalb der Fäden. Manchmal kommt mir das Denken vor, als wäre man nicht mehr als eine Spinne, die was gefangen hat und nun stundenlang ihre Beute umwickelt, obwohl wahrscheinlich die Hälfte der Fäden, oder ein Viertel, schon reichen würde, um die Beute unschädlich zu machen. Will man sie unschädlich machen? Vielleicht sollten wir die Beute nicht unschädlich machen wollen. Geschweige denn verdauen. [Ich verabscheue den Anblick von Spinnen und ihrer Netze. Die einzige Weberin, die mir nicht die Haare zu Berge stehen lässt, ist die – Sie wissen schon. Die Weberin eben. Man liebt sie, weil sie nichts rafft, sich nicht brüstet, weil sie behutsam ist und fair tradet. Und poetisch ist, natürlich. Man darf einen Moment lang sie sein, sie ist zart, man wird dort nicht verhauen.]

Es gibt Andere. Es gibt immer Andere – so merkwürdig das auch ist. So merkwürdig Grenzen ziehen auch ist, denn, wir wohnen doch ebenso in den Köpfen der Anderen wie in unseren eigenen. Wir haben unsere Schlappen unter ihren Betten stehen, wir heften unsere Memos an ihre Wände und schrauben unsere Spiegel direkt hinter ihre Netzhäute. Von wegen getrennt: Blödsinn. Wir stecken alle ineinander. Fragen Sie mal einen Säugling. Wenn Sie einen Säugling fragen, wie viele er ist, er versteht die Frage gar nicht. Weil er alle ist und niemand. Vor dem alle-und-niemand-zugleich-sein fangen wir dann ganz schnell an, uns zu schützen. Ich behaupte, wir hätten vom Säugling viel zu erfahren. Nur, dass er halt, Sie wissen schon, ein Brabbler und Gurgler ist. Vielleicht steht uns sein Wissen auch einfach nicht zu.

Wie viel Wissen steht uns zu? Alles? Wie viel nehmen wir davon? Wie viel Wissen saugt der Gurgler schon mit der Muttermilch ein – und schlägt es ihm auf den Magen? Mir bekommt mein Wissen oft nicht, deswegen vergesse ich so viel.
Weil ich für das, was für mich schöpferisch ist, mit meinem Gehirn allein sein muss. Für das, was meinem Herzen kostbar ist, nicht – da gehörst Du hin, o Freundin. Ins Herz. Lass mir doch meine Kunst. Lass mir das seltsam ungezügelte Denken, steck Dein Bügeleisen wieder ein, mit dem Du mich glattstreichen willst. Wir sind alle und niemand zugleich, Du hast das nur vergessen.
Und ich habe mich schon immer als erstes danach gesehnt, arbeiten zu können. Geliebt zu werden kommt später. Arbeiten können, das heißt ja nicht, das zu tun, was jemand anderes von einem erwartet. Sondern das, was man selbst nie von sich erwartet hätte: das Überraschende. Es geht um Zugang. Immer, beim Denken, geht es um Zugang. Vielleicht ist sogar die Idee der persönlichen Reservoirs ein Irrtum, und es geht nur darum, an das, was hinter dem alles und niemand liegt, ranzukommen. Ein gemeinsamer Speicher. Die Kraftsuppe. Die Glorifizierung des Individuums ist nicht weltweit verbreitet.
Mein neues Laptop ist so flach, dass ich ständig befürchte, mit meinen gewaltbereiten Fingerspitzen Löcher reinzuschlagen und plötzlich auf meinen Oberschenkeln zu tippen.
Ich würde vieles tun, meine intellektuelle Kraft zu mehren, aber nicht alles, um geliebt zu werden. Ich wünsche mir Flatrates – so weit ist es gekommen. Ich will eine Flatrate für Gehirnleistung. Die Liebe hingegen, die Liebe ist das, was auf roher Haut lebt, ohne Schorf zu machen: Liebe bleibt immer ungeheilt.

Bedenken Sie mal, was es genau ist, was Sie von Ihrem Leben wollen. Vielleicht werden Sie feststellen, Sie wollen im Grunde nichts als das: eine Flatrate. Kontinuität. Manche brauchen mehr Arbeitskontinuität, manche mehr Liebeskontinuität; am teuersten ist die Doppelflat.
Und möglichst immer genau wissen, wann der Preis gezahlt werden muss. Sind sie nicht zum Wahnsinnigwerden, die unvorhergesehenen Rechnungen? Die kommen echt durch alle Ritzen, nur im Briefkasten liegen sie nicht.
Jede Ihrer Falten ist eine Rechnung, die Sie bezahlt haben. Ich frag’ ich wirklich, warum Falten ein so schlechtes Ansehen haben.

Das Unvorhergesehene macht uns mürb. Den Säugling auch, übrigens – er braucht eine Flat in Sachen Milchversorgung, sonst dreht er am Rad. Erwachsenwerden ist nichts anderes als die Erkenntnis, dass es sich auch ohne Nippel im Mund überleben lässt. Wenn auch schlechter als mit.

Leistungsbreit oder: die sieben Köpfe der Hydra

Die Enten sind nicht eingefettet und sinken. Die schönste unter ihnen versucht noch eine Warnung zu schnattern: Heraus kommt ein leises Quiquib, dann geht sie als Letzte unter. Sie hat dem fremden Rezept vertraut und Doktor Druck hat sie gekillt. (Kein Wunder – er ist ein Profi)
Fragen Sie mich, was mein Fetisch ist. Fragen Sie mich, ob Leistung und Wettbewerb mein Fetisch sind. Fragen Sie mich, ob ich noch schreiben kann, ohne mir bewusst zu sein, dass meine Sätze gewogen werden. Dr. Druck sagt, ich solle mich nicht so anstellen. (Wie alt diese Aufforderung ist! Wann hörte ich sie zum ersten Mal? Mit vier? Oder fünf?)
Meine Sprecher, die alles zur Challenge erklären, regieren über Nerven, die lange schon eingeklemmt sind: Kleine elektrische Entladungen fegen die Bahnen entlang, bis irgendwann alles taub ist und nichts mehr schmerzt und niemand mehr etwas fühlt. Hauptsache, wir kommen über die Ziellinie.
Noch fühle ich. Doch es gibt Kompression, und die ersten Ermüdungserscheinungen. “Nie unter Druck, da immer unter Druck.” Tatsächlich? Man gewöhnt sich an die Ausnahmezustände. Und Doktor Druck stellt immer neue Rezepte aus, ein rasender Einpeitscher, ein unnachgiebiger Beobachter, ein schlanker Geselle. Er ist high vom Gelingen: Ich nenn’ es leistungsbreit. Trauen Sie seinen Methoden – sonst müssten Sie ja eigene erfinden.
Reden wir mal nicht um den heißen Brie. Jetzt. (Brei, for gods sake)
Erster Sprecher: “Sie soll es jetzt sagen oder für immer schweigen.”
Chor: “Wer von uns?”
Erster Sprecher: “Sanssourir. Die lügt nie. C’est elle qui embrasse la douleur.”
Ich: “- Bist du da, Sanssourir?”
Sie: “Geh zu Farah, ich kann gerade nicht.”
Doch die schläft. (Erster Sprecher: “Farah schläft viel zu gerne!”) Ich muss mir eine ausdauernde und unerschrockene Kämpferin erfinden: Eine eingefettete Ente. Sanssourir ist ungeeignet, weil schwermütig, Farah zieht ihren Käfig der Arena vor und ich bin alleweil zu beschäftigt mit Kartographie: pflanze die Grenzsteine, die hinter meinem Rücken wieder im Treibsand verschwinden. Doch ins Paradies kommt nur, wer sich reckt. Davor: die Parade der Heldentaten. (Oder sind es doch die Bescheidenen, die belohnt werden?
Lieber Gott, mach mich krumm, dass ich in den Himmel kumm.)
Eine Kämpferin zu erfinden. Eine, der im Eiswasser nicht kalt wird. Die nicht kapituliert. Eine ohne Achphyllisferse. Eine, die die Künstlerin beschützt, weil keine der anderen die Künstlerin beschützt. (Im Gegenteil) Eine, die ihre eigenen Rezepte ausstellt und zum Teufel mit Dr. Druck – eine mit Rückgrad. Die immun gegen die siebenköpfige Scheißdepression ist, und falls sie ihr doch wieder mal anheim fällt, ignoriert sie die Konsequenzen. Die anderen versuchen ja immer nur, ihr die Köpfe abzuschlagen.
Erster Sprecher: “Wo bleibt die Kohärenz? Und das Identifikationspotential für die Leser?”
Zweiter Sprecher: “Leser:innen! Sie hat’s noch nicht ganz im Griff. Abwarten.”
Erster Sprecher: “Sie soll Pillen nehmen, sie hält dem Druck nicht stand; sie wird sich auflösen. Sollen wir dabei zusehen?”
Zweiter Sprecher: “Sie wird sich nicht auflösen. Nur ihre Kunst.”
Erster Sprecher: ” Können wir auf die verzichten?”
Zweiter Sprecher: “Wenn’s dem Überleben dient…”
Erster Sprecher: “Überleben ist nicht alles: Wirken ist alles.”
Die Kämpferin schweigt dazu. Sie ist längst da, alle sind längst da, aber manche noch nicht geboren, weil namenlos.
Ich seh’ den Fingern beim Schreiben zu. Bestandsaufnahme: Meine einzige verlässliche Qualität ist das Abtauchen und dort überleben können. Ich lausche einem einzelnen Wort, dann einem zweiten – fernes Kieksen über den Wassern. Ich bin für’s Einfetten nicht vorgesehen, meine Haut ist blank, meine Haut ist Kunst: Porös. Ich saufe regelmäßig ab und schreibe unten weiter. Sieben Bojen markieren die Stelle, unter der ich zu finden bin.

Inzpiration

Im Allgemeinen beginnt sie mit Anzeichen leichter Orientierungslosigkeit.
Später verändert sie sich, wird akut, wird bestimmend, schlüpft heraus, nur, um noch Schlimmeres anzurichten, fragt nach mehr, erst fragt, dann fordert sie, schreit herum, setzt sich ständig hin.

Sitzt überall, flappt über den Rand, grüßt mit unerträglicher Selbstverständlichkeit, ist mit allen bekannt, zeigt sich allen. Gerät nur noch selten aus der Fassung, windet sich um alles, spielt damit, völlig normal zu sein, ist überhaupt nicht normal. Flieht nicht, ist schrecklich hungrig, hat einen Plan, viele Pläne, Ansinnen, Tricks, rennt mit heraushängender Zunge neben einem her, langatmig, trickreich, offensichtlich.

“Hierher!!”, schreit sie, “hierher schnell, seht ihr es nicht, ich zeige es euch, seht euch das an, na, wie findet ihr das, ich warte!!!”
Und dann steckt sie ihre lange, glitschige Zunge heraus und leckt allen damit über das Gesicht.

Sie ist ein Gefühl, das sich für ein Bedürfnis hält, ist nicht einsichtig, weiß wohl, daß Bedürfnis kleiner dasteht als Gefühl, kümmert sich nicht darum, reißt riesige Fetzen aus dem sorgfältig angelegten Dekor ihres Opfers, lagert sich brünstig über jeden Anschein.
Saugt.
Leckt.
Fragt.
Fleht.
Verleugnet Respekt zugunsten schneller Durchführung, Durchführung schnell!

Sie jammert, verlangt nach eindeutigen Angeboten, setzt sich direkt aufs Gesicht, lässt Gerüche frei, bettelt und schreit,

“hierher!!”, schreit sie, ihr schlotterndes Opfer nur noch ein Schatten seiner selbst, in Peinlichkeit erstarrt, sieht weg, ohne Erfolg, ausgeliefert,

“Ich bin das nicht”,
hört man das Opfer gelegentlich ächzen, doch was hilft’s, angesichts dieser Gefährtin, deren Schmatzen niemand überhören kann, vertuschen kann,

sie frißt sich sowieso durch, zieht, zieht, zieht an, aber viel lieber aus,
zielgerichtet, schrecklich, infam.
Geizt mit nichts.
Ist dankbar für alles und zeigt es auch.

Ist ein Gefühl mit Rang und Namen. Selbstbewußt und geil.

Stagnation

Die Nagstation ist kaum mehr als eine Bretterbude mit einer windschiefen Tür. Trotzdem harrt sie darin aus, bis der Knochen blitzeblank ist.
Da ihre Lässigkeit manchmal in Fahrlässigkeit umschlägt, dauert das seine Zeit.
Niemand klopft. [Der Wind manchmal, auf seine Art.]
Als sie fertig ist, blickt sie auf. Und stellt fest, es braucht nur einen Schubs, um die Tür einzutreten. Die Bretter sind ja sowas von morsch.
Merkwürdig. Das hatte sie ganz vergessen.
Sorgfältig legt sie den Knochen hin. Erhebt sich. Drückt die Tür mit der Schulter ein und tritt ins Freie.

Da draußen ist Strand.
Oder Wüste.
Wer kann das schon auf den ersten Blick sagen.

(Für die Weberin.)

Burn your snout (Let’s du it)

Nichts bietet sich an dieser Tage, das der wohltemperierten Klaviatur Paroli bieten könnte, fast nichts (wehret den Ausnahmen), alles gefügige Abwägung und Kultur. Pendler kennen nur zwei Stationen, schwingen vom Funktionieren zum Kompensieren und wieder zurück. Auf der Mitte anhalten? Never! Gibt Knöllchen von der Sittenpolizey. Sie darf nicht verrutschen, die Temperatur. Die Haltung. Das Biest bleibt gebändigt. Flow my tears, the policeman said.
Lookin’ forward to my, Sie wissen schon – burnout. Nein besser, snout. Die Schnauze verbrennen. Let’s do it.

(Rrring. Anruf Des Sehr Alten Mannes:
„Siehst Du meinen Sohn später?“
„Ja.“
„Er soll sich mal melden.“
„Ich richte es aus.“
„Du hast viel aus ihm gemacht. Ich danke Dir. Bist aber auch ein guter Kerl.“)

(Stutzt: Guter Kerl. Damn it!)

Kein Wunder, dass die Wildschweine woanders saufen: wo ich hinschau’, ist nichts als Gegend. Keine Wühlplätze, keine Schlamm-Poetry. Stattdessen Herr und Frau Plausch. Einladungen: „It’s just us, why don’t u come over. Wish you were here, pet.“
Schoß-Tier. Ja, exakt da drin wohnt es, das Biest! Es liebt halt die Tropen und das Unverfasste. (Auch das Externalisierte hat seinen Reiz, führt aber an der Sache vorbei. Vorbei.)

Viel aus ihm gemacht.
Und aus mir?
Gebenedeit sei die Frucht Deines Leibes. Früchte tragen. Reife Früchte fliehen den Baum. (sagt parallalie.) Aber nur, sag’ ich, wenn sie müssen. Manche wachsen auch an den Zweigen schon in Flaschen hinein und werden Schnaps. Hochprozentig: Das wär’ cool. So hätt’ ich sie gern, die Früchte. Schnaps statt Saft. Für die Wildschweine vor allem. Und die Pendler.

Farah Day hat ihren Käfig verlassen.
Watch out for her next moves.