… bevorzugen es meine Mädchen zum Schreiben. Noch diese Woche, dann habe ich wieder eine Weile Pause mit Workshops
und kann mir selbst ein weiches, dunkles Plätzchen suchen… : )
Archiv der Kategorie: Schreibworkshops & Seminare
Freestyle
(Komme diese Woche nicht viel selbst zum Schreiben, geschätzte Leser:innen, da vollauf damit beschäftigt,
meine neue Gruppe bei der Navigation im Wörtersee zu unterstützen. : )
14:52
Wissen Sie, was die Redewendung “Frankfurter Applaus” bedeutet?
Das Klatschen der Fixer im Bahnhofsviertel, wenn sie sich kurz vor dem Setzen der Spritze auf den Oberarm klopfen. Wär’ ich nie drauf gekommen.
Zwei Gesichter
In dem Workshop, den ich gerade gebe, macht jede Teilnehmerin am Schluss ein Buch mit ihren eigenen Texten drin. Der jeweils wichtigste Satz wird in der Bleisatzwerkstatt von Hand gesetzt. Aufregender Moment für eine Siebzehnjährige, wenn eine persönliche Aussage plötzlich Gewicht bekommt! Nix mit Twitter – Buchseiten! : ) Das Mädchen, das die zwei Gesichter geschrieben und gesetzt hat, musste allen anderen ein Blatt für deren Buch schenken, so beliebt war der Satz in der Gruppe.
Etwas eigenhändig zu drucken, der unverwechselbare Duft der Farbe, das Geräusch der Druckerpresse – die Mädels geraten da ziemlich außer sich. Ich wünsche mir immer, ich könnte alle Schreibworkshops mit Jugendlichen mit so einer Druck- und Buchbindesession abschließen, doch besitzt nur einer meiner Auftraggeber die entsprechenden Werkstätten und Möglichkeiten. Fünfmal im Jahr bin ich in diesem Museum, seit fünfzehn Jahren. Die Schülerinnen, mit denen wir arbeiten, haben noch nicht viel Erfahrung damit, Worte in die Welt zu setzen, die auch gehört werden. Geschweige denn gelesen.
Ich muss los. Es ist mein letzter Kurs in diesem Jahr.
U make me smile
Ein schöner Rücken…
Freiheilt
Für die 10-Punkte-Form dieser Überlegungen habe ich mich von Daniel Pennac anregen lassen. Der französische Literaturwissenschaftler, Lehrer und Schriftsteller hat in „Wie ein Roman“ (Kiepenheuer & Witsch, 2004) ein Plädoyer für die „zehn unantastbaren Rechte des Lesers“ formuliert.
Mein eigener Entwurf stellt Überlegungen dazu an, wie sich Schreiben als kreativer Prozess auf Augenhöhe mit den jeweiligen Teilnehmer:innen anbieten ließe. Werde ihn zur Diskussion stellen. Eines weiß ich allerdings jetzt schon: Die Jugendlichen werden kritisch anmerken, dass zu viel Freiheit kontraproduktiv wäre. Da wette ich mit Ihnen um meinen Lieblingsbleistift.
1. Das Recht, nicht zu schreiben.
Oft erlebe ich, wie erleichtert Jugendliche sind, wenn ihnen jemand für einen klar umrissenen Zeitraum die Entscheidung abnimmt, ob nichtinstrumentalisiertes, d.h. freies Schreiben für sie „Sinn“ macht oder nicht. Texte stiften ja erfahrungsgemäß welchen, nachdem man einen geschrieben hat, und das ganz unabhängig vom jeweiligen sprachlichen Niveau. Trotzdem: Wer von einer in der Gruppe entstehenden Aufbruchsstimmung nicht angesteckt werden will, sollte an Land bleiben dürfen.
2. Das Recht, Trainingsphasen zu überspringen
Jede(r) kann sagen: Ich bin grad’ an was dran, will mich durch eine neue Übung jetzt nicht unterbrechen lassen, macht ohne mich weiter.
3. Das Recht auf Abbruch.
Wer Kreativität auf Augenhöhe anregen will, sollte Jugendlichen die Entscheidung zugestehen, ob sie ein begonnenes Schreibvorhaben zu Ende führen wollen oder nicht – unabhängig von eigenen Prägungen. „Das hast du angefangen, jetzt musst du es auch zu Ende machen“ hieß es in meiner Kindheit. Da ging es weder um die Qualität einer angefangenen Arbeit, noch um Sinnhaftigkeit, sondern um Selbstdisziplin, die gelernt werden sollte. Kein Zweifel: Selbstdisziplin ist wichtig. Aber ein Gespür dafür zu entwickeln, wie sich ein begonnener Text anfühlt, ob er Türen im Kopf aufmacht oder fürs eigene Empfinden steril bleibt, ist im Rahmen eines Schreibseminars mindestens ebenso wichtig. Die Entscheidung, trotzdem „dran“ zu bleiben oder einen neuen Anlauf zu starten, sollte man selbst treffen.
4. Das Recht, nachzufragen.
Manche brauchen vorab ganz viel Information, legen sich diese wie einen Hafersack um den Hals und preschen los. Andere bevorzugen es, Inhalte etappenweise angeboten zu bekommen. Wieder andere brauchen ewig, um überhaupt anzufangen oder schlafen vor lauter Widerwillen über das Fremdbestimmtwerden erst einmal ein.
Es gibt daher zur Orientierung Ansagen zu Anfangs- und Endpunkten bestimmter Sequenzen, zur Struktur und zum Ablauf eines Kurses, aber jede auch vermeintlich naive Nachfrage zu jedem Zeitpunkt eines Seminars ist vollkommen in Ordnung.
5. Das Recht, irgendwas zu schreiben.
„Irgendwas“ sei hier nicht gleichzusetzen mit „beliebig“. Es hat – unter anderem – mit Glück zu tun, ob eine Schreibanregung jenen, denen sie vorgelegt wird, „passt“ oder nicht. Dabei gibt es Anregungen, die fast alle inspirieren und andere, auf die nur ein gewisser Prozentsatz der Teilnehmer:innen einsteigen will. Für Jugendliche gilt meiner Erfahrung nach: Je kreativ/sportlich/humorvoller, desto kompatibler. Anregungen, die ins autobiographische Schreiben führen, werden häufig von einem Prozentsatz der Beteiligten abgewehrt. Die Scheu vor der Kontaktaufnahme und Konfrontation mit dem eigenen Intimen/Privaten ist legitim. Ebenso wie die Entscheidung, für solche Inhalte eine sprachliche Form zu suchen, die ihren Ernst verdeckt oder konterkariert.
6. Das Recht auf Authentizität versus Fiktionalisierung
Das Recht, sich beim Schreiben als Maßstab zu nehmen, über sich selbst den Zugang zu finden – ebenso wie das Recht zu abstrahieren, zu fiktionalisieren und in Inhalt und Form einen individuellen Abstand zur eigenen Lebensgeschichte herzustellen.
7. Das Recht, überall zu schreiben
Das bedarf eigentlich keiner Erklärung, denn was für die Profis gilt, gilt auch für Schreibseminare: Jede und jeder schreibt da, wo es sich am besten anfühlt. Sei das im Raum, irgendwo auf dem Boden an eine Wand gelehnt, im Bett oder am Ententeich, falls vorhanden. Wichtig ist, sich für die Vorleserunden wieder zusammenzufinden.
8. Das Recht, im Lauten zu schreiben. Oder im Bewegten.
Manche brauchen Musik, andere absolute Stille. Es gibt Leute, die fummeln ständig mit irgendeinem Gegenstand herum, können die Füße nicht stillhalten, brauchen alle Viertel- oder halbe Stunde irgendeine Art von Auslauf, sonst drehen sie am Rad. Auch hier wird nicht von oben geregelt. Notfalls muss man sich eben ein Plätzchen suchen, an dem man seine Hypermotorik ausleben kann, ohne dass andere gestört werden.
9. Das Recht, sich im eigenen oder fremden Text zu verlieren
Texte sind nicht immer zielführend. Obwohl die Frage „Worauf will ich eigentlich hinaus?“ für den Blick auf einen frisch geschriebenen Text wichtig ist, muss sie für den Schreibprozess selbst nicht unbedingt eine Rolle spielen. Ungewöhnliche Formulierungen und Gedankengänge, vertrackt-labyrinthisches, schräge Bezüge, überraschende Metaphern – das alles entsteht in vielen Fällen gerade dann, wenn sich die Schreibenden auf den Prozess als solchen einlassen. So sinnvoll es ist, sich einer Methode und einer Aufgabenstellung zu bedienen, um zur Textproduktion zu gelangen, so sinnvoll kann es auch sein, beides auszublenden, sobald man wirklich „drin“ ist. Für den berühmten roten Faden gibt es schließlich Überarbeitungsphasen.
10. Das Recht zu schweigen
Jede(r) darf vorlesen, sich den Reaktionen der anderen stellen, aber niemand muss. Manche Jugendliche fühlen sich nur dann frei, ihren inneren Impulsen zu folgen, wenn sie ganz sicher wissen, dass sie nicht vorlesen müssen. Ermutigung diesbezüglich ist wichtig, darauf zu beharren schlecht. Meistens stellt sich auch bei den Widerstrebenden nach einiger Zeit das Bedürfnis ein, den Text mit der Gruppe zu teilen.
Kreatives Schreibtraining
Vor nunmehr fünfzehn Jahren, kurz nach meinem Diplom an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, bekam ich ein Angebot, im Auftrag der Stadt Frankfurt Schreibwerkstätten für junge Leute zu leiten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich als Qualifikation nur mein Kunststudium, mein eigenes Schreiben und meine tiefe Stimme vorzuweisen – merkte aber sehr schnell, dass zu lehren ein künstlerischer Akt sein kann! Allem voran, weil mich diese Arbeit nachhaltig inspiriert. Die jungen Leute spüren, sie bekommen einen geschützten Spielraum, ein sprachliches Experimentierfeld, in dem ihre individuellen Herangehensweisen gleichberechtigt nebeneinander gedeihen können.
Der Anpassungsdruck in den Schulen nimmt zu. Umso wichtiger erscheinen mir solche Angebote. Meine Seminare und Workshops haben inzwischen eine unverwechselbare Handschrift; zudem entwickle ich immer wieder neue Konzepte, um auf meine aus sehr unterschiedlichen kulturellen Milieus stammenden Teilnehmer:innen noch besser eingehen zu können.
Die ersten Generationen meiner Schüler:innen sind inzwischen im Studium, mit vielen von ihnen stehe ich in Kontakt. Einige habe ich inzwischen als Assistent:innen für Workshops mit Jüngeren buchen können. Darauf will ich auch weiterhin hinaus: so gut mit Aufträgen ausgestattet zu sein, dass ich begabte junge Leute aus früheren Kursen als Assistenten anfragen kann, die dann eigene Erfahrungen als Schreib-Trainer:innen sammeln…
Schreiben ist ein Werkzeug der Selbstermächtigung. Das gilt in besonderem Maße für junge Menschen.
Sternchen verdient! ; )
Vorher/Nachher
TT fights wayne.
Wissen Sie, wie im Schüler:innenslang „egal“ heißt?
„Wayne“.
Muss heute noch einmal nachfragen, woher das kommt. (Film? Computerspiel? Sitcom? Wahrscheinlich wissen sie’s nicht)
Hab’ mal wieder ’ne Rasselbande diese Woche. Na, eher ’ne Schepperbande. Hauptsächlich Jungs, alle zwischen sechzehn und zweiundzwanzig. Mit Sixpacks. Im Ernst, ich hab’ sie gezeigt bekommen. Die Jungs haben Sixpacks, die Mädels Lippenpiercings und pinkfarbene Strähnen.
Wir sind gut drauf im Freestyle-Zimmer des Weltkulturen Museum und Schreiben ist wayne. Nach gestern weiß ich, ich muss heute in meine Spezialtrickkiste greifen, um das wayne zu vertreiben: so wie fast immer, wenn der Jungsanteil einer Gruppe über siebzig Prozent beträgt. Wie einen Sack Flöhe hüten.
Die Hüterin aber ist müde. Sie zeigt es natürlich nicht. Die kids, schließlich, können nichts dafür, dass die Hüterin momentan lieber selbst gehütet werden würde. Was nicht sehr wahrscheinlich ist. Also sitzt sie noch ein Weilchen in ihrem wirklich riesigen, bodenlangen Plüschmorgenmantel am Schreibtisch und sinnt vor sich hin. Ganz leise und ganz unwayne.
Guten Morgen.