Wenn ich zeichne…

denke ich nie daran, ob diese Zeichnung gefallen oder missfallen wird. Ich überlege mir nicht, ob jemand anderes vielleicht ähnlich oder besser zeichnet. Ich berücksichtige keine Kontexte und ich frage mich nie, wirklich nie, ob ich so zeichnen darf, wie ich zeichne. Ob meine Themen relevant, meine Linien einzigartig sind. Schon gar nicht käme ich auf die Idee, es gäbe doch bereits so viele Zeichnungen auf der Welt, dass es auf meine nicht ankommen würde. Wenn mir ein Blatt misslingt, lache ich, schimpfe ich, lasse es unter den Tisch fallen und versuche es erneut. Kein Drama. Kein inneres Parlament, das mich abzuwählen versucht, weil ich “versagt” habe. Ich zeichne, weil ich es kann. Die Jahre des Trainings addieren sich zu einer Selbstverständlichkeit.
Ich tu’s einfach. Ich bin beim Zeichnen ganz frei, ganz im Jetzt.

Schreiben fühlt sich für mich immer so an, als würde ich auf einem knatternden Moped dem goldenen Gral hinterherhetzen. Ich wiege jedes Wort. Ein schlechter Satz verfolgt mich bis in die Träume, ein nicht zuende gedachter Gedanke zerrt an meinen Nerven, bis mir die Hände schlackern. Der goldene Gral ist immer woanders, in einem Paralleluniversum, ich müsste mindestens ein Einhorn reiten, um ihm näher zu kommen! Ich habe für meine Suche definitiv das falsche Gefährt, es ist zu laut, zu billig und im Paralleluniversum gibt es keine Tankstellen.
Das Schreiben katapultiert mich in einen Modus, in dem ich nicht diejenige bin, die ich bin, sondern derjenigen hinterherjage, die ich sprachlich sein könnte. Nur Die Andere zählt. Die Zukunft. Die Fähige, die aus der Suchenden geboren werden könnte. Ich denke oft darüber nach, wie viele gute und grandiose Bücher es bereits gibt und messe mich daran. Und verliere. Ich verliere immer – mein jahrelanges Training hat kaum Gewicht. Aber ich gebe nicht auf. Ich werde hundewütend ob meiner sprachlichen Unzulänglichkeiten, doch ich weiß, dass ich bis zu meinem letzten Atemzug versuchen werde, mal eine (eine!!) Seite zu schreiben, die vor meinem eigenen Blick grandios ist.
Ich tu’s, obwohl es nicht einfach ist. Ich bin, beim Schreiben, ganz im Möglichen.

Deswegen brauche ich beides so sehr. Um die Gegenwart ebenso wie das Mutmaßliche bespielen zu können.

Die Bindung wählen

[…] In aller Schärfe wird deutlich, was Kunst/Literatur meiner Meinung nach heute leisten müssen: Zeigen, dass Freiheit weh tut, ohne die Freiheit zu verraten. Es hat sich im Mainstream eine Wahnidee von Freiheit eingeschlichen, die diese als “Geiz ist geil”-Angebot für billig haben will: Auswählen und weiterräkeln. “Habe den Mut dich zu bedienen.” Wer frei ist aber, ist freigesetzt und m u s s (nicht darf!) die Bindung w ä h l e n. Mit allen Konsequenzen. Kunst kann zeigen, was das heißt. Und dass es bequem nicht zu haben ist. […]

Melusine B. in einem >>> Kommentar in Die Dschungel vom Mittwoch, 13. Juli 2011

Der lässige Gestus

Klar: wir mögen die Künstler relaxed. Ich könnte Ihnen aber auf die Schnelle zwei Dutzend aufzählen, die toll sind und kein bißchen faul. Ebensowenig wie Schriftsteller:innen, Tänzer:innen, Musiker:innen usw. Hat auch zunächst mal gar nichts damit zu tun, ob sie im üblichen Sinne erfolgreich sind oder nicht. Wenn Sie Tagebücher oder Briefwechsel lesen, werden Sie merken, es gibt eine ganze Reihe, die arbeitet tatsächlich wie Beamten (obwohl ich von Beamten definitiv wenig weiß) nach geregelten Zeiten, soundsoviele Stunden am Tag. Ob man es dann öffentlich verkündet, dieses eigene Pensum, ist natürlich eine andere Sache: So eine Schaffermentalität gilt ja schnell mal als uncool, da tun manche vielleicht lieber so, als fielen ihnen die ganzen schönen Ideen einfach zwischen Frühstücksei und Morgenschiss aus dem Gehirn.
Der hat dann natürlich mehr Flair, der genialische Wurf, da kann man als Rezipient einfach denken, mei, das würde ich auch gern können. Ohne sich der Vorstellung aussetzen zu müssen, dass künstlerische Produktion nur zu einem Bruchteil aus Talent und Inspiration besteht, und zum Hauptteil aus …. brrrr… Arbeit. Und zwar kontinuierlicher. Und manchmal auch ziemlich angespannter.

Faulheit macht ganz gewiss den schöneren Gesichtsausdruck, aber nicht die bessere Kunst! Sag’ ich. Eigenartig, wie unsympathisch das Bemühen, besonders das angestrengte, auf manche von Ihnen wirkt. Und wenn man sich schon verheizt, sollte man tunlichst vermeiden, es anderen unter die Nase zu reiben, weil man sich damit sofort zum Besserwisser macht. Niemand mag Besserwisser. Ich übrigens auch nicht.
Doch wir unterschätzen dabei, wie sehr sich die Entscheidung, die künstlerische Produktion zum Hauptanliegen des eigenen Lebens zu machen, auf die Persönlichkeitsstruktur auswirkt. Ich meine, die meisten Künstler können nur ziemlich mühsam von ihrer Arbeit leben, wenn überhaupt. Klar, niemand zwingt sie, welche zu werden, aber lassen wir dieses alberne Argument mal beiseite. (Stellen wir uns bloß nicht vor, wie langweilig und steril es ohne jene würde, die sich ihren Worten, Farben, Noten verschreiben – ohne jegliche Sicherheit, dafür irgendwann einmal wirtschaftliche oder soziale Anerkennung zu bekommen.) Wie viele davon Genies sind? Raten Sie mal. Wie viele davon sind auch nach dreißig Jahren an der Kante leben noch nett? Hm. Einige. Aber nicht alle. Nettsein ist einfach kein Kriterium. Man muss nicht freundlich sein, um gute Kunst zu machen. Auch wenn es für die Selbstvermarktung, zumindest bis man ein stabiles Netzwerk hat, durchaus nützlich sein kann. Ich hab schon Künstler kennen gelernt, gerade in meiner Londoner Zeit, die brachten ihr Lächeln routinierter an den Mann als jedes Hollywood-Starlet.
Worauf will ich hinaus?
Ich bin dafür, die Rezeption einer Arbeit nicht von Sympathie für ihren Urheber abhängig zu machen: wenn mir eine künstlerische Position etwas bedeutet, darf der Künstler, die Künstlerin ruhig ein Arschloch sein. Oder unzugänglich. Oder ein Streber. Oder ein total wunderbarer Mensch. Egal ist mir das nicht: ich will eigentlich immer viel wissen. Es gibt ja die andere Schule, die dafür plädiert, ein Kunstwerk solle unabhängig seiner Quelle wirken und wahrgenommen werden. Völlig legitim – ich interessiere mich trotzdem immer für die Persönlichkeit, die hinter einer Arbeit steht. Ich stelle einfach immer wieder fest, ich hab’ dann mehr Zugang. Ob jemand den Weg dorthin wie einen Schild vor sich her trägt oder sich für die lässige Geste gernhaben lässt – Arbeit ist es immer.

22:33
((off topic: Wo ist eigentlich sowieso abgeblieben?))

Rezeptionsfragen, ff

Bescheidenheit ist etwas, das offensichtlich gerne mal mit Selbstbescheidung, ja Demut verwechselt wird. Das ist falsch, denn: sie ist ein Modus. Gestern >> kommentierte ich unter einer Opernkritik in die Dschungel, woraufhin mir jemand, der sich Impostor nannte, riet, ich könne ja ruhig der Oper und ihrer Sogwirkung verfallen, mich aber doch bitte nicht “so freundlich, höflich und bemüht” dazu äußern. Mich irritiert das. Hätte diese Irritation nur mit dem etwas schärferen Ton zu tun, der drüben herrscht, ich würde mich nicht weiter dazu äußern. Ich glaub’ aber, es geht darüber hinaus. Ich vermute da eine Behauptung – oder sagen wir Annahme – die Rezeption von Kunst sei etwas, das einem einfach so zufiele, ohne Vorbildung. Intuitiv, sozusagen. Da müsse nichts gelernt werden. Da wäre keine (durchaus genüßliche) Bemühung im Spiel. Da könne, mit gesundem Selbstbewusstsein, einfach zugegriffen werden.
Ich kann das aus eigener Erfahrung nicht bestätigen. Ob ich nu ins Theater gehe, ins Ballet, in die Oper, oder in eine Ausstellung mit Gegenwartskunst: Ich werde immer mehr davon haben, wenn ich neben meiner Intuition auch auf Erfahrung und bereits Verknüpftes zugreifen kann. Klar – die unverbildete Reaktion hat ihren eigenen Reiz; die gebildete wirkt manchmal betulich dagegen, oder starr. Für mich ist es trotzdem interessanter, künstlerische Erfahrungen mit jemandem zu teilen, der oder die sich auskennt. Manchmal, wenn ich mich selbst auch auskenne, wird’s dann ein Fachgespräch. Tu ich’s nicht, schalte ich auf Lernen um und hör’ mir das erstmal an. Ich nehme mir Zeit. Ich steige auch ein ins Gespräch, klar, aber eben in dem Wissen, dass es da ein Gefälle gibt. Da kann Bescheidenheit manchmal ein ganz angenehmer Grundton sein. Das nimmt mir nichts von meinem eigenen Erleben, sondern fügt etwas hinzu. Sollte doch eigentlich auf der Hand liegen (?) Lernen wollen ist jedenfalls kein Eingeständnis fehlenden Selbstwertgefühls.
So. Muss einen Text für die Stiftung schreiben jetzt. Würde mich aber sehr interessieren, wie Sie das sehen, geschätzte Leser:innen.

Donnerstag, 30. Juni 2011
Hier sammelt sich seit gestern einiges an Denkfutter, deswegen heute kein neues Tagesjournal. Möchte lieber Ihre Beiträge und Interaktionen nochmal lesen und eventuell reagieren. Vielleicht schalten sich ja heute noch ein paar neue Stimmen dazu. Blödler, übrigens, lösche ich weiterhin – ich hab’ nichts gegen Albernheit, aber es gibt so ein Gespür dafür, wann die einem Thema etwas hinzufügt und wann sie schwächt… und dieses Gespür erwarte ich einfach von TT-Kommentator:innen! ; )

Nachgefasst: Zwei Cindys und ein Joker

Sehen Sie, ich spiele nicht in der gleichen Liga wie Cindy Sherman, und mit Cindy aus Marzahns grellem Humor kann (und will) ich’s auch nicht aufnehmen – um nur zwei Künstlerinnen zu nennen, die sich konzeptuell mit Fragen von Identität, Rollenbildern, Körperlichkeit und Sexualität auseinandersetzen. Beides Frauen, unnötig zu sagen, die ich bewundere.
Ich bin ein Joker. Ich weigere mich, konventionelle Ausstellungen zu machen. Ich betrete auch keine Bühnen, außer der virtuellen. Beides war mal anders, doch das liegt ein paar Jahre zurück. Auf meinen Vernissagen langweilte ich mich wegen der ewig zu wiederholenden Aussagen die eigene Arbeit betreffend, auf der Bühne ging’s mir, einmal hinunter gestiegen, schlecht, weil ich mir einbildete, die Leute würden mich fressen wollen. Also ging ich ins Netz.
Wenn das mal keine saugute Entscheidung war.
Klar, auch eine Bühne. Aber eine, auf der ich den Kontext, innerhalb dessen ich künstlerisch wirken will, erstmal schaffen muss. So ein Weblog ist ein inflationäres Produkt. Es ist verdammt leicht, eins zu machen. Und durchaus schwer, ihm eine Gestalt zu geben, die über Äußerungen privater Meinungen und Befindlichkeiten hinausgeht. Muss man ja auch nicht.
Ich aber schon. Ich muss. Künstlerisches Handeln ist kein Spaziergang im Grünen. Es treibt einen. Und man versucht ständig, die Zügel in der Hand zu behalten, obwohl man weiß, ohne Zügel wird’s aufregender.
Ich schreib’ das absichtlich so schlicht, theoretisieren war noch nie attraktiv für mich, das können andere besser. Die meisten Künstler:innen sind heilfroh, wenn die ersten Kunstgeschichtler und Kulturwissenschaftler beginnen, sich auf das Werk einzulassen – dann müssen sie diese Verkontextualisierung nicht mehr selbst leisten. Am besten sind natürlich Doktorarbeiten ; )
Anyway, in meinem Fall ist das nur ansatzweise geschehen bisher, deshalb bin ich noch zuständig. Vielleicht auch besser so.
Eine meiner guten Entscheidungen war die, TT vor einiger Zeit mit „Ateliertagebuch“ zu untertiteln. (Obwohl ich immer noch dem damals von Alea Torik vorgeschlagenen „Künstlertastaturin“ nachtrauere, doch das klang einfach zu textlastig)
Ich lasse Sie, Leser:innen, an Prozessen teilhaben: d a s wird durch das Tagebuch möglich. Mir selbst gestehe ich zu, Zwischenständen ebenso viel Gewicht einräumen zu dürfen wie Ergebnissen – auch d a s ermöglicht die Tagebuchform.
Manchmal schreibe ich literarische Texte, manchmal auch Unfug – Ungefügtes. Manchmal zeige ich hingeworfene Zeichnungen, manchmal welche, an denen ich lange gearbeitet habe. Zwischendurch zeig’ ich so ziemlich alles, was mir Vergnügen macht. Ich robbe mich hier auf TT so langsam an etwas heran, das ich ganz heimlich für mich selbst „Profil“ nennen würde.
Ich will ein Revier markieren. Ganz ohne Theorie wird das nicht klappen, aber ich hoffe immer noch, dass die nach und nach – nicht nur durch meine Hand – den Knochen liefern wird, an dem das Fleisch sitzen kann. (Mit Fleisch kenne ich mich aus)

TT, und auch die Reihe „Einmal geübt, schon gekonnt“ ist verwandt mit Ansätzen, die andere Künstlerinnen in anderen Territorien erfolgreich veranschaulichen. Dass ich sie im Netz zeige, macht sie allerdings verwundbar. Würde ich ein Foto wie das jüngste im Zuge einer Gruppenausstellung zum Thema weibliche Rollenbilder zeigen, käme wohl niemand auf die Idee, mit einem anderen Besucher darüber zu diskutieren, ob die Künstlerin nun ein Höschen trägt oder nicht. Dass das im Netz anders läuft, ist gleichzeitig Vor- wie Nachteil, interessant für mich ist es allemal. Auch riskanter. Aber interessant. Für mich ist die Serie vor allem anderen eine Neuinszenierung von Identität: ich markiere ein Frausein mittels unterschiedlicher Szenarien; ich vergewissere mich meines eigenen Blickes. Die Fotos entstehen mit Selbstauslöser: wäre ein Fotograf anwesend, sie würden viel zu perfekt, um dem Werden, das mich interessiert, noch entsprechen zu können. Es geht darum, nicht üben zu müssen. Auch das Frausein nicht. Sondern eine zu sein. Mit allem.

(to be continued)

p.s. Eben lese ich, Melusine B.zitiert >>>hier den Kontext, in dem sie die Serie wahrnimmt… uff ; )

21:23
Bin ein bißchen außer Atem. Und danke Ihnen, Leser:innen, für die Welle. Vieles von dem, was Sie heute geschrieben haben, wird noch eine ganze Weile nachwirken.

Sex grells

Bevor ich den neuen “flirt du jour” einstelle, der heute Nacht schon stand, den ich dann aber erst einmal ganz heraus nahm wieder am Morgen, weil von nächtlichen Kommentaren besudelt: ein paar Anmerkungen.
Wer wie ich künstlerisch – und vor allem in diesem durchlässigen Medium weblog – mit erotischen und sexuellen An-spielungen arbeitet, kann sich darauf gefasst machen, dass immer ein paar Spammer auftauchen, die das Angebot der Worte und Bilder benutzen, um sich auszutoben, sprich, um endlich auch mal öffentlich “ficken” schreiben zu dürfen. Sex grells, verblendet, legt Schlussfolgerungen n a h, auch die Autorin, die Künstlerin betreffend, die dieses Bezugssystem einsetzt.
Tauchte ein flirt du jour im Kontext eines Romanmanuskripts, eine erotische Zeichnung in einer Galerie auf, die Schlussfolgerungen wären andere: da ich meine Arbeit aber (auch) in Form eines weblogs in die Welt bringe, bleibt alles, was ich anbiete, privat, löst sich nicht von meiner Person.
Ist in Ordnung; ich hab’ mir das Medium schließlich selbst gewählt. Weil es schnell ist und an Unmittelbarkeit, in gewisser Weise, kaum zu übertreffen. Was glauben Sie, wie langweilig Ausstellungen sein können, als Künstlerin.
Man stellt sich neben sein Werk und erzählt immer wieder dasselbe, ertappt sich dabei, bereits ganze Textbausteine parat zu haben, die dann nur noch in Einschätzung des fragenden Gegenübers in Richtung zivilisiert oder radikal aufgespritzt werden. Ich hab’ das oft beobachtet, an mir, an anderen. Kaum ein Rezipient aber käme auf die Idee, die Künstlerin, die da in der Galerie neben erotischen Arbeiten steht, 1:1 mit den Figuren gleichzusetzen, die sie zeichnet.
Das ist hier anders. Weil, ein Weblog zu führen wie Tainted Talents, ein Akt aus dem privaten heraus ist und insofern immer den Anschein des exhibitionistischen in sich trägt, nein, es i s t auch einer. Nur: würde ich mir bei jedem Text, jeder Zeichnung überlegen, ob ich mir eben wegen jenes Aspekts “leisten” kann, sie öffentlich zu machen hier, ich könnte nicht mehr frei arbeiten.
Ich arbeite mit dem Körper als Mittel, mit Szenarios, Mehrdeutigkeiten. Mit Verstecken und Enthüllen. Auch mit vermeintlich pornographischem, das ist wahrlich als künstlerisches Terrain nicht ungewöhnlich. Was ungewöhnlich sein könnte, ist, dies hier, auf Tainted Talents zu tun.
Weil ich meine Beiträge hier, im Gegensatz zu klassischen Kontexten, immer wieder neu als das aufstellen kann, was sie sind: künstlerische Position.

Optionalitäten

Jede Entscheidung ist ein Beschnitt: Man geht den ersten Schritt aus der Fülle der Möglichkeiten, den zweiten bereits als Dienerin. Künstlerisch aktive Menschen sollten die Zahl folgerichtiger Prozesse, von denen sie sich binden lassen, auf jenes Minimum beschränken, das Stabilität gewährt. Der rote Faden im Werk wird überbewertet, von Künstlerinnen und Rezipienten gleichermaßen.

Cross over

Künstlerische Arbeit funktioniert nicht mit Skrupeln; sie muss den Anspruch der Grenzüberschreitung in sich tragen, angefangen bei den eigenen. Man muss im eigenen Handeln eine Differenz zu dem herstellen wollen, was gesetzt ist, muss zusehen, dass man wieder blinde Flecken ins Denken bekommt, wo vorher geordnetes Terrain war. Im geordneten Terrain reproduziert man nur. Man erliegt jedem Klischee. Und vor allem, die Falle schlechthin, man fühlt sich wohl.
Und das ist fatal.

Wer schweift, sündigt nicht

Heute flog mir via >> Klaus Walter ein Textausschnitt des Philosophen>>Maurizio Lazzarato in den Kasten. Er beschäftigt sich mit dem Begriff des ‘umherschweifenden Produzenten’.

»Hier finden sich kleine und kleinste produktive Einheiten, häufig nur eine Person, die sich zu Ad-hoc-Projekten organisieren und gegebenenfalls nur für die Dauer eines bestimmten Vorhabens existieren. Der Produktionszyklus selbst ist dabei abhängig von der kapitalistischen Initiative; sobald der ‘Job’ erledigt ist, löst sich der Zusammenhang auf in jene Netzwerke und Ströme, die den produktiven Vermögen die Reproduktion und soziale Ausdehnung ermöglichen.
Prekäre Beschäftigung, Hyperausbeutung, hohe Mobilität und hierarchische Abhängigkeiten kennzeichnen diese metropolitane immaterielle Arbeit.
Unter dem Etikett ‘nicht abhängiger’ oder gar ‘selbstbestimmter’ Arbeit verbirgt sich tatsächlich ein intellektuelles Proletariat, das aber als solches höchstens von den Kapitalisten (an-)erkannt wird, die es ausbeuten. Bemerkenswert ist noch, daß es unter den skizzierten Bedingungen zunehmend schwierig wird, freie Zeit von Arbeitszeit zu unterscheiden – in gewissem Sinn fällt das Leben mit der Arbeit in eins.«

Mit Lazzarato hab ich vor Jahren mal in Bilbao an einer spektakulären interdisziplinären Konferenz teilgenommen, ins Leben gerufen von >>Clementine Deliss, die eine der Ersten war, die meine Texte publiziert hat. Das Besondere – eine der vielen Besonderheiten der Konferenz – war, dass jeder Teilnehmer im Vorfeld einen schriftlichen Zwischenstand dessen einreichen musste, an dem er gerade arbeitete. Wir waren 24 Teilnehmer – Künstler, Kuratoren und Philosophen – und jeder von uns bekam diese Unterlagen in Form 24 rot gebundener A5-Hefte per Post vorab.
Die Sache endete nach drei höllisch anstrengenden, leidenschaftlichen Tagen im Éclat, und wie.
Egal.
Warum ich das erwähne? Weil Lazzarato am zweiten Tag morgens beim Frühstück drei Worte sagte, die mir als Glanzstück intellektueller Arroganz ewig im Gedächtnis bleiben werden – Jahre später weiß ich immer noch nicht, ob ich beeindruckt oder beleidigt sein soll.
Wir waren alle kaputt vom Vortag und der Nacht in Bilbao, die wir reichlich ausgekostet hatten, hingen etwas apathisch in den Frühstückssesseln. Lazzarato kam, nein schnürte herein; ein Blick zum Serviermädchen und er hatte seinen Espresso vor sich. Dann blickte er in die Runde und sagte:
»I feel underexploited.«
Und ging.
Ich glaub’, den Satz werd’ ich bei Gelegenheit selbst mal fallen lassen. Allein der Gesichter wegen. An unsere kann ich mich noch gut erinnern.