Fremdwörterdusche, morgens:

Eruption. Intervall. Synergie. Kongruenz. Anamnese. Subtext. Karambolage. Intervention. Koinzidenz. Sakrileg. Inferno. Kaskade. Evidenz. Surplus. Kontroverse. Synapse. Defizit. Sediment. Transaktion. Perimeter. Brisanz. Persistenz. Konsens.

Und noch das heutige Lieblingswörter-Duschgel dazu:
Bollwerk. Besenrein. Sattsam. Grenzwertig. Lauschig. Aufmüpfig. Verhuscht. Beizeiten. Verstimmt. Niemandsland. Grauzone. Schillernd. Versponnen. Reflexhaft. Bodenständig. Ausufernd. Basal. Auftrumpfend. Schlafwandlerisch. Bestenfalls. Filigran. Topfschlagen. Wiedehopf. Maulfaul. Grenzgängerisch. Verkannt. Kleinlaut. Kanalratte. Kunstfertig. Triumph.

Wörter! : )
*lechz*
Machen reich, kosten nix.
(Wörter aneinanderzuhängen ist keine Lösung, sondern eine Verkettung; manchmal ist es besser, über einem einzelnen zu brüten)
(Was ist der Unterschied von impulsiv und intuitiv?)

Nehmen wir mal an, du hättest eine Reihe von Tests durchlaufen, nach deren Auswertung dir ein Team respektabler Wissenschaftler verkündet hätte, du seist definitiv ein Genie: Man händigte dir einen Stapel Unterlagen aus, die das schwarz auf weiß belegten. Am besten noch ein paar Tabellen dazu und Infografiken; deine Werte stünden weit über dem Durchschnitt.
Wärst du dann mutiger? Nähmst weniger Rücksicht auf die Wirklichkeit der anderen, ließest sie nicht eine solche Macht über dich haben?
Was brauchst du als erwachsener Mensch, um deine eigene Instanz zu sein? Ein Testergebnis, einen Segen, ein Zertifikat, einen Spiegel? (oder doch lieber kleinklein bleiben?)

Drei Blätter Klopapier für Pipi, sechs für’s große Geschäft: so die Regel der Großmutter. Es gab Regeln für fast alles, Regeln als Orientierung, sie einzuhalten oder abzulehnen war Training für später. Seltsam, dass ersteres so viel einfacher ist. Oder auch gar nicht seltsam: Gehorsam bringt einen nicht in Zugzwang, Resistenz tut das sofort.

Anscheinend nicht oft genug

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Friedlich hier. Bis auf die Stubenfliege, die trotz weit geöffneter Balkontür nicht davon ablässt, um mich herumzuflitzen. Ist aber eine von den lautlosen. Draußen ein paar Vogeltiere, dazu zweidrei Nachbarn im leisen Gespräch auf ihren Hinterhöfen. Jemand sortiert Flaschen in Kästen, ein anderer säubert den Gehweg, ein Fremder, viel weiter oben, lenkt ein Flugzeug über uns hinweg. Nebenan in meiner kleinen Küche verrichtet die Spülmaschine ihr Werk: gutes Sounddesign, beruhigt mich immer. Lionel, meine Aloe, hat einen neuen Platz im Freien und reckt die stachligen Arme sonnenwärts. Jemand lässt ein Eisenteil fallen, eine Taube fliegt auf (nein, nicht meine), die Birke vor meinem Balkon schwenkt langsam ihre Äste im Luftstrom. Es gibt Tage, die ganz ohne Warntöne auskommen. Hoffentlich bleibt dieser so einer. Jedenfalls pure Magie, wenn wie gerade eben die Wolkendecke aufreißt.

Ich fühle mich wohl, wenn ich alleine bin. Aus der Entfernung höre ich gerne in einen Klangteppich hinein, ohne mich selbst akustisch bemerkbar machen zu müssen. Sprechen in Gruppen strengt mich an: mein Anspruch, nachvollziehbar sein zu wollen. In meinen Äußerungen angenommen zu werden vom Gegenüber. Seltsam, dass das im Privaten so ausgeprägt ist, während ich in meiner pädagogischen Arbeit vergnügt, auch mutwillig alle Register ziehe, sobald die Situation es hergibt. „Eigentlich spreche ich nur gern mit Fremden, wenn ich dafür bezahlt werde“ sagte ich neulich zu Tusker. So etwas darf man ja eigentlich gar nicht laut hinschreiben.
Ums Honorar geht es dabei gar nicht so sehr, sondern um die Expression. Wenn ich Workshops und Seminare halte, kenne ich meine Rolle. Sie gefällt mir, ich hab sie gewählt, mich beauftragen lassen und weiß, wie sie entlohnt wird. Das gibt mir eine Sicherheit und Selbstverständlichkeit, die ich als Privatperson in Menschenansammlungen nie habe.
Schwer zu glauben, dass sich das noch ändern wird, wenn’s nach all den Jahren immer noch so schwer ist wie als junge Frau zu Studienzeiten.

„Vielleicht arbeite ich deswegen so gerne mit Teenagern und jungen Erwachsenen“ sage ich. „Deren Befangenheiten sind mir vertraut. Die Übersprungsgesten. Dieses von einer Sekunde auf die andere aus dem Gleichgewicht fallen.“
Coccinelle lächelt. Sie hat selbst zwei Töchter auf den Weg gebracht und weiß, wovon ich spreche.
„Die Scham -“ füge ich hinzu, „wenn man als junger Mensch mit den Behauptungen, die man aufstellt, beim anderen nicht durchkommt. Der Triumph aber auch, w e n n man durchkommt…“
„Frag dich doch einmal, wenn du unter Erwachsenen bist, unter Leute gehst, was dieser oder jene Fremde für dich sein könnte“, sagt Coccinelle. „Anstatt immer besorgt zu sein, ob du es schaffst, den Ansprüchen der anderen zu genügen.“
„Ich hab das oft versucht.“
„Anscheinend nicht oft genug“, sagt Coccinelle.

Chronisch akut

Resümieren klingt immer seltener nach einer guten Ausgangsposition. Diese Unart, eigenes Empfinden und Wahrnehmen andauernd in Relation zu setzen! Kein Recht mehr auf Niedergeschlagenheit, während es anderen doch so viel schlechter geht, vor allem so unmittelbar. Wer traut sich denn noch, anhaltend Verlust zu artikulieren, oder Leid, wenn nebenan in der Welt tausendfach jemand vertrieben, gedemütigt, geschändet wird? Dazu die subcutane Scham, in einer dieser Besitzstandswahrungsgesellschaften zu leben, unablässig in Trance gesurrt von Bildern und Konsum.

Das Chronische kommt gegen das Akute nicht an. Niemals. Jene, die um ihr Überleben kämpfen, scheinen immer mehr im Recht zu sein als jene, die schon ein kalter Regentag depressiv machen kann, oder ein Leben als solches. Subjektiv aufgeladener Schmerz an der Welt ist moralisch nicht mehr tragbar, wirkt narzistisch. Also drückt man’s weg. Dabei hat mich Stillhalten noch nie motiviert, geschweige denn auf neue Ideen gebracht.
Langsame Reduktion auf die moralischen Grundwerte ist wie Marmelade einkochen: duftet unwiderstehlich, während es passiert. Als Belohnung hat man dann Etiketten auf Gläsern.
Marmelade hab’ ich schon immer gehasst.

Stimmengewirr im Kopf, Entfremdung. Werde ich durchscheinender? Egaler? Ich zeige anderen, wie man sich an die große Glocke hängt, helfe ihnen, sich im Spotlight nicht wegzuducken. Da bleibt nicht viel Drang, abends in die Vollen zu gehen. Menschen, die sich zu Scheinwerfern machen, bleiben selbst gerne im Dunkeln.
Höchstens mal ’ne Kerze, wenn’s schön sein soll.

So auf Antiextravaganz festgezurrt. Katalysator:innen müssen nicht kämpfen, nur sein. Sollen die Auserwählten doch den Kampf um Anerkennung im Haifischbecken austragen, die Panikattacken und ihre Narben. Darf eine dennoch trauriger werden und müder, ohne ihr Leben riskiert zu haben – oder zumindest ihre Reputation? Vielleicht ist die Sehnsucht, anderen zu helfen, doch nur Feigheit angesichts der Alternative, aus voller Kraft künstlerische Spuren zu hinterlassen: sein Unwesen zu treiben. Als Aufstand gegen die moralische Diktatur des Wesentlichen.