TTag, 24. Juli 2010. Von Zeppelinen. (Irgendwie)

Ich war den größten Teil meines bisherigen Lebens krank, ich hatte Neurodermitis, ich war ein wandelnder Alarmzustand. Immer waren Teile von mir wund, bluteten und juckten zum wahnsinnig werden, Tag und Nacht, Woche um Woche, Jahr um Jahr. Ich schreibe das, weil ich gestern Abend mit meiner Schwester darüber sprach, was uns so geprägt hat bisher, wie wir die geworden sind, die wir sind. Ich hab’ mal eine Geschichte darüber geschrieben, wie es ist, eine fast permanent schreiende Haut zu haben: die bringt das Ding so auf den Punkt, dass ich dem auch seitdem nichts hinzuzufügen habe. Vielleicht stelle ich sie mal hier ein.
Womit wir gleich da wären, wo ich hin will: warum Selbstdarstellung? Und wo hört die auf, und der böse und peinliche Exhibitionismus beginnt? Ich könnte mich rausreden und einfach sagen, alle künstlerisch arbeitenden Menschen bauen sich Bühnen, und weblogs sind wohlfeil.
(Ich darf übrigens berichten, dass sich die geringelte Katze eben wieder zu mir gesellt hat. Sie sitzt neben mir und kaut Gras, etwas vorwurfsvoll, wie mir scheint, denn sie hätte gerne meinen Stuhl, um sich darauf zu putzen. Tja, wenn Du es schaffst, mich runter zu schubsen, kannst Du ihn haben)
Also, Bühnen.
Für mich ist keine aufregender und inspirierender als diese hier momentan. Seitdem ich dieses weblog führe, fange ich an, sichtbar zu werden; es fühlt sich an, als würde ich langsam, langsam meinen Zeppelin aufblasen.
Ich hab’ Kunst studiert und schon damals viel geschrieben. Ein anderes Studium wäre mir, glaub’ ich, mit dieser Haut gar nicht möglich gewesen; es musste eines sein, das der Persönlichkeitsentwicklung nicht nur Raum gibt, sondern sie geradezu als Bedingung einfordert. Ich hab’ Ausstellungen gemacht. Und Lesungen. Und Lesungen in meinen Ausstellungen. Aber ich hatte immer einen Horror davor, wie der nächste Tag aussehen würde. Ob ich Kleidung an mir ertragen würde. Ob mich nicht jedes Haar, das mir ins entzündete Gesicht fiele, wahnsinnig machen würde. Ich habe diesen verdammten Behälter gehasst, in dem mein Geist untergebracht ist. Tut mir leid, das ist starker Tobak. Trotzdem nur ein Fitzelchen dessen, was dazu zu sagen wäre.
Genug. Die Katze fängt jetzt Fliegen. Und das alles ist lang vorbei.
Doch der Punkt ist, der Körper erinnert sich, Zellen haben ein saugutes Gedächtnis. Er birgt. Ebenso wie die Psyche. Ich hab’ keine Ahnung, wie Leute, denen die schöpferische Ebene fehlt, mit solchen Dauerbelastungen umgehen. Die reduzieren einen aufs Überleben. Ich fühle mich gerade ziemlich unbeholfen in meinem Ausdruck. Doch es ist mir wichtig, lassen Sie mich also noch ein wenig tasten, ja?
Ich schreibe über diese Dinge (oder beginne, davon zu schreiben), weil ich mit Tainted Talents eine Form gefunden habe, in der das geht. Sie, die Sie regelmäßig hier vorbei kommen, kennen mich inzwischen ein wenig; Sie kennen meine Themen, meine Zeichnungen, ja sogar meinen Körper. Sie kennen mich als Showmasterin und wissen, wie ich mit Gästen umgehe. Sie machen sich so langsam ein Bild von mir. Manche kommen wieder, anderen ist das ganze Ding sicher zu sehr auf mich fokussiert, die bleiben dann weg.
Worauf ich hinaus will: auch ich mache mir so langsam ein Bild von mir. Was glauben sie, warum mir Schnecken so gut gefallen? Ich bin spät dran – aber ich weiß auch warum. Lange Jahre war mir alles in mir drin zu belastet, um es nach außen zu tragen. Ich hatte die große Befürchtung, andere mit mir zu überfordern. Das hat sich mit dem regelmäßigen Schreiben, vor allem aber mit dem Lehren des Schreibens sehr verändert: ich stellte fest, dass ich jungen Leuten ein wunderbares Vorbild bin. Und je offener ich mich dabei zeige, desto mehr bringe ich sie zum Leuchten. Und – das verblüfft mich immer wieder – die Jungen sind nie überfordert mit mir, egal, welche Hämmer ich ihnen vorsetze. Im Gegenteil. Liegt aber auch daran, dass ich inzwischen mein Lachen in die Welt schicke, als sei das nie anders gewesen. War’s im Grunde auch nicht. Ich hab’ immer gelacht; ich wollte nie jemanden mit meinem Scheiß belasten.
Das Ding hier ist zu keinem vernünftigen Ende zu bringen, merk’ ich schon. Egal, dann bleibt’s eben ein Anfang.
Ich schreib’ für alle Schnecken, männliche und weibliche.
Und für diejenigen, die – wie ich – so oft zu hören kriegen, wie stark und toll sie doch wären. Und die dann vielleicht denken, mag schon sein, doch das Luftschiff muss trotzdem von Hand aufgeblasen werden, also sitz’ Du nicht da und bewundere mich, sondern fang’ an zu pusten.
In meinen Workshops wird gelacht und geweint und niemand geniert sich, jedenfalls nicht lange. Und dann schreiben wir.

00:09
Cider, sag’ ich nur. Ein fieses Stöffchen.

17 Gedanken zu „TTag, 24. Juli 2010. Von Zeppelinen. (Irgendwie)

  1. Danke für diesen Text! Sie haben eine ganz wunderbare Art zu schreiben, (zu tasten), und ich finde mich in vielem wieder, was Sie schreiben, und auch wie Sie es schreiben.
    Schön, daß Sie hier sind!
    🙂

  2. Derweil meine aufgewühlten inneren Bilder noch als verwirbelt verschlierte Gespenster herum huschen, will ich Ihnen ein simples Weckglas an die Tür stellen. Darin aufbewahrt ist eine behutsame Umarmung im Geiste. Unbegrenzt haltbar. Nach dem Öffnen aber sogleich zu verzehren, weil flüchtig.

    • Lustig, die Vorstellung, eine Umarmung zu verzehren, ich glaube (da sie flüchtig ist, wie sie schreiben), ich atme diese hier lieber ein.
      Am besten sofort, denn wo eine ist, sind auch zweie, und Weckgläser überflüssig : )

    • selbstdarstellung hin selbstdarstellung her – es geht um kommunikation.
      kommunikation kann nur funktionieren, wenn jede(r) so ungefähr weiss was sie/er will.
      sie funktioniert als offenes system welches sich über die materie insgesamt definiert.
      ( vom klima bis hin zu den drogen ).
      nietzsche machte das mit den tieren ganz gut wenn ich mich recht erinnere.
      er war ja nicht nur das tolle grosse tier ohne fressfeinde, sondern durchaus die biene ( als sammler von information ) das kamel ( als lasttier, als sich mit etwas tragendem ) womöglich gar eine art wiederkäuer oder zumindest verdauendem.
      ( zu lang her dass ich nietzsche las, sorry )
      ich verstehe es trotzdem nicht dasss man das tier braucht um meinetwegen seine körpereigene schleimproduktion ( qua bulbourethal – oder bartholinsche drüse z.b. ) zu
      einer übersetzten ( übersetzbaren ) “darstellung” zu bringen – so sehr mir ihre schnecken-applikationen oder -themata gefallen.
      oder die eulen-implikationen, es ist mir manchmal zu rätselhaft insbesondere wenn das leicht in düsteres hineinlangt.
      also ich als nichtgermanist und interpretationsfauler fella steh dann nur noch vor einer ästhetik und vermute psychokram als hintergrundrauschen, welcher allerdings schon ziemlich selbstverständlich agieren kann und somit als durchaus “befreit” angesehen werden kann.
      ( befreit von bitteren nebengeräuschen oder verzweifelten beiklängen )

      ansonsten gefällt mir das, wenn sie so locker schreiben wie heute oder an diesen tagen, an denen sie so locker schreiben.

    • p.s.
      ich hab halt in den letzten jahren vor allem die erfahrung gemacht, dass die leute, die mir tieridentifikationen anbieten, eigentlich kommunikationsfaule ( oberflächliche ) leute sind, mit denen man sich eigentlich nur über hohles allgemeinplatzgeseier und dazwischenstehenden biergläsern ( über biergläser hinweg ) – trotz akademikerstatus – “austauschen” kann.
      nun das ist meine erfahrung, wiegesagt der letzten jahre.
      mit kiffern hab ich sowas nicht.
      kiffer lieben maschinen und sex ( und tiere als eben andere wesen ).
      naja – meine schnöde privatfassung dazu.

      sorry wollte nicht unsensibel hier insgesamt kommentiert haben.

  3. Das Weckglas

    als Lebensgefühl, wie ein Laubfrosch innen an der Glaswand klebend die Vorgänge rund herum sehnsüchtig beobachtend. Eine kleine rote Plastikleiter liegt traurig und nutzlos auf dem Glasboden, der Aktionsradius begrenzt auf kreisrunde zwölf Zentimeter im Durchmesser und ebenso viele in der Höhe. Nach oben schließt ein Glasdeckel auf einem platten Gummiring festgesogen den Fluchtweg ab. Der Durchblick ist nicht besonders interessant, zu viel der Verzerrungen.

    Die Parabel von den zwei Fröschen im Rahmkübel verfängt nicht. Keine Möglichkeit, Butter zu treten. Keine Möglichkeit, sich mutlos verzweifelt im Rahm zu ertränken. Jahrelang vergeblich gegen die Decke gestemmt – nichts.
    Dicht.

    Aber: mit zunehmendem Alter wird der Gummiring spröde und rissig. Ein kaum wahrnehmbares Zischen verrät den Anfang vom Ende seiner Wirksamkeit. Wenn dann wieder Stille herrscht, noch ein, zwei mal kräftig gestoßen und der Glasdeckel landet mit lautem Poltern auf dem Boden unter dem Regal. Der Rest geht schnell. Da ist erst der Wasserhahn in der Küche, tropfenweise Feuchtigkeit spendend. Vertrocknete Oberfläche quillt auf, wird glatt. Nach einem waghalsigen Sprung aus dem zum Spalt geöffneten Küchenfenster im Garten gelandet und benommen zur Regenpfütze gekrochen, welche von der durstigen Sommersonne aufzulecken vergessen wurde.

    Schwimmen – ahh!

    Zwei Tagesreisen entfernt rufen die Tümpel am Rande des Sees nach Froschleben. Zum See sind es dann nur mehr wenige entspannte Spaziergänge.

    zu:gehen
    auf:gehen
    ver:gehen

    (aus der Rubrik: Experimente)

    Ach ja: Was ich an mir banal finde?
    Dass ich ein Laubfrosch bin ; )

  4. Seit etwa 10 Jahren kenne ich die Problematik gekränkter Haut. Nicht übermäßig, aber doch. Daher weiß ich, dass Berührung zu einem Wagnis werden kann, dem man gerne entgeht, wenn es denn geht. Unverfänglich anfliegenden Zärtlichkeiten wird instinktiv die Landung verweigert.
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