Sashimi

Wir sind Publikum in einer Art TV-Show, eine Kochzeile in Form einer Bar. Auf unserer Seite sitzen zwei Juroren und eine Handvoll VIP-Gäste, im Küchenbereich sind zwei Männer bei der Arbeit. Heitere Atmosphäre im Studio.

Der schmale, junge Koch ist hörbar ein Schweizer. Er gilt als handsome und bescheiden, hat eine Menge Potenzial, derzeit aber Stress. Wir spüren die Verhärtungen in seinem Nacken, als ob es unsere eigenen wären. Sein Lächeln sitzt, die Messer handhabt er meisterlich, aber ob das reichen wird?

Der zweite Kandidat, Sternekoch wie sein Kollege, ist von asiatischer Herkunft und massiger Statur. Scheinbar gleichmütig blickt er aus seinen Augenschlitzen. Weil er niemals lächelt, sollen wir annehmen, dass er jedes kleinste Detail registriert. Dass er ultracool ist.

Die beiden schenken sich nichts. Um Gunst geht es! Und um Geld natürlich.
Während die Köche ihre Tricks vorführen, werden sie von den Juroren ausgiebig mit Spott bedacht. Man kennt sich. In der Welt der Bootcamps und Fightclubs sind Geheimnisse Spielgeld: Irgendwann wirft jeder auch noch sein letztes in den Ring.

Wir spulen vor.

Der dicke Asiate hat eben gewonnen. War es nicht köstlich, wie er als einziger im Raum sein Geheimnis bewahrt hat? Bei all dem Spott der Juroren, dem nervigen Countdown und den surrenden Cams, die sein fleischiges Gesicht abgetastet haben?
Er reckt die Faust mit dem Messer ins Publikum.
(Tatsächlich! Das könnte jetzt fast sein Lächeln sein!)

Die Juroren geben nun grünes Licht für das Highlight der Show. Wir denken, dass der Sieger das verdrängt haben muss.
Oder gewollt.
Jedenfalls schlendert der junge Schweizer an seine Seite. Aus einem Laptop, das sich beim Aufklappen als Mappe entpuppt, zieht er eine Nadel. So ein Ding wie aus der Arztpraxis; wir sehen es im Zoom. Das Publikum im Studio offenbar auch. Die Gespräche verebben.

– und zack.

Ehe wir wissen, wie uns geschieht, setzt der Schweizer seine erste Nadel. Einstich, Austritt. Wir sind nicht beim Fußball, es gibt keine Zeitlupe.
Zoooom!
Die Cam hält auf das rechte Ohr des Asiaten. Dort ist nun, direkt vor dessen Ohrmuschel, eine Nadel durch die Haut gesteckt. Der Mann indes verzieht keine Miene. Dreht nur schweigend den Kopf.
Und erneut, mit gleicher Akkuratesse, sticht der Schweizer zu, diesmal am linken Ohr. Zoom in die Augenschlitze des Asiaten, doch da ist nichts. Druckerschwarze Pupillen. Langsam öffnet er den ersten Knopf seines Hemdes, dann den zweiten, dritten, vierten. Als sein weißer Bauch bis zum Nabel freiliegt, nimmt der Schweizer ein Skalpell aus der Mappe. Er setzt es an die rechte Brustwarze des Asiaten an, zieht kurz nach unten durch, legt das hauchdünne Scheibchen Fleisch auf ein lackiertes Sushi-Brett.
Zoom.
Zweite Brustwarze!
Kommt ebenfalls auf’s Brettchen.
Während die Cam weg war, hat jemand ein bisschen Wasabi mit draufgelegt, und Ingwer.

Die beiden Männer sind ganz zu zweit.
Ein winziges Husten aus dem Publikum. Ansonsten Schweigen.

Bis die Cam zurückkommt, hat der Schweizer sein Skalpell längst gesäubert und verstaut. Er beugt sich, ergreift das Brettchen von der Theke. Beide Köche drehen sich in die Kamera, senken fast gleichzeitig ihre Fingerspitzen darauf.
„Was? Keine Stäbchen?“
Unsere Frage bleibt ungehört.
Zoom auf die zwei Scheibchen Fleisch. Die Münder der Köche öffnen sich; jeder legt sich eines davon auf die Zunge.
Abblende.

Im Studio erlischt langsam das Licht.

 

 

 

 

 

 

3 Gedanken zu „Sashimi

  1. Oh wie unheimlich! Und stark indes, daß es ausgerechnet “der Schweizer” ist, vom asiatischen Koch zu schneiden. (Ich nehme an, die Nadeln akupunktierten den Schmerz hinweg.)

    Ein wenig erinnert mich die Szene an die Beschreibung Batailles eines Delinquenten, der Stück für Stück, Muskelfaser für Muskelfaser, allerdings o h n e Betäubung zerlegt und dessen körpereigene Morphinausschüttung offenbar so groß wird, daß er diese Art der Filetierung schließlich im R a u s c h erlebt. (Körperteile, Organe, Muskelfasern werden vor ihn für ihn sichtbar ausgelegt).
    Die Szene wird in Die Tränen des Eros erzählt.

  2. Bataille. Danke, dass Sie mich an ihn erinnern!
    In meiner Szene geht es ebensowenig um Schmerz wie in jener aus Die Tränen des Eros – eher um Voyeurismus, glaube ich. Und darum, sich selbst zur Ware zu machen. Muss noch mal darüber nachdenken.

  3. Bei Bataille jedenfalls gehen Schmerz und Voyerismus fast untrennbar ineinander über – er beschreibt es sehr deutlich. In Ihrem Text wiederum ist der Schmerz – auch und gerade in seiner wie bei Bataille rauschhaften Dimension – geradezu ausgeklammert: Es bleibt fast kalt das — B i l d.

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