Die Blumen des Bösen: Relativiert

Als schwierigste Übung von allen: die Verbindung zu sich selbst nicht verlieren. Wer sich nicht regelmäßig ins Alleinsein begibt, ist gefährdet. Ah, die inneren Welten, ma chere! Wir müssen etwas suchen. Uns selbst. Oder wenigstens Gott. Wer weder das eine noch das andere sucht, wird Opfer von Information. Die ernten wir als Gefühle ab, bis die Speicher überquellen. Auch eine Sucht: Vorräte an Gefühltem anhäufen für entfremdete Zeiten.

[„Man will um seiner selbst willen geliebt werden, aber man wird nicht um seiner selbst willen gefickt“ sagtest Du kürzlich. Ich stand nur dabei. Verzeihung: Ich schreibe dies Wort nicht gerne hin. Doch so hast Du es nun mal gesagt, ma Sanssourir. Ich mag Dich nicht falsch zitieren.]

Überhaupt mag ich nicht falsch sein. Das macht den Blick ins Außen so kompliziert, denn der, zweifellos, ist immer gefärbt, unvollständig, niemals fair. Das Einzige, worüber ich frei verfüge, ohne Anderen Unrecht zu tun, ist mein Subjektives.
Niemand kreidet mir das so an wie ich selbst.
Da sterben Kinder. Da versickern Geldströme. Da wird Raubbau betrieben an Mensch und Moral.
Halt’ die verdammten Augen offen, sage ich mir. Verwende Dich für das Gute. Sei dankbar für F o r m, wo andernorts Chaos ist.

„Stell’ Dich nicht so an.“
Der Satz meiner Kindheit. Demut, Demut. Immer waren es die Umstände, zu denen das Empfinden in Relation gesetzt wurde. Ein eigenes, Umstandsloses, gab es nicht.
Wappne es sich vor Unverhältnismäßigkeiten, das Kind! An Deinem Hecheln wird man Dich erkennen.
Atme durch die Haut.
Sei relativ.

Heute Nacht träumte ich von einer Dame. Sie trug ein Hündchen am Busen. Es war welpig, einfach sehr klein und weich, mit zartesten schwarzen Locken. Und so lebhaft, es quirlte in ihren Armen. Ich versuchte, seine Augen zu erspähen, doch die waren nicht zu seh’n unter dem Fell. Stattdessen entdeckte ich ein nacktes, rosafarbenes Mal an des Hündchens Kehle, ein perfekt vernarbtes, kreisrundes Stück Haut, etwa so groß wie mein Daumennagel. Ich konnte den Blick nicht davon wenden.
„Ist das eine Gemme“, fragte ich die Dame.
„Oh ja“ erwiderte sie. „Es ist das Logo der Modelinie meines Mannes.“
Ich stellte mir vor, wie die Dame es jeden Morgen mit ihren manikürten Fingerspitzen einölte, damit es so glänzte tagsüber. Das Hündchen, ich hätte es gerne zu mir genommen.
Als Erstes hätte ich nachgesehen, ob es Augen hat.

17 Gedanken zu „Die Blumen des Bösen: Relativiert

  1. Wirklich allein ist man ja nie, denn der Einzelne bildet ja auch schon eine gesellschaftliche Einheit [ganz gleich, was der Schnellficker (sorry) aus Augsburg dazu auch immer gesagt haben mag [(Genau, ich mein den Brecht!)]]. Man setzt sich mit sich selbst auseinander, die Redewendung drückt das Dialogische perfekt aus! Aber sie haben recht, Alleinsein muß man können, sonst klappt es auch mit dem Vielsein nicht – wer sich bei Problemen immer selbst automatisch in die Anstalt einweist oder zur Therapie rennt, hat schon wieder ein Problem mehr. Sag ich mal so.
    Sonst alles in Butter, werte Schnecke? 😉

  2. Eigentlich wollte ich, nachdem ich die Überschrift gelesen hatte, einen witzig/ironischen Kommentar absondern, irgendwas mit Robert Gernhardt’s “Blusen der Böhmen” oder so.
    Aber das geht gar nicht, denn Ihr Text ist zum losheulen schön.

    • Na sooo schlimm ist der Satz “Stell Dich nicht so an” ja auch wieder nicht, so wurde die damals vorhandene Distanz zu den Erwachsenen und ihrer Welt wenigstens deutlich. Mein schlimmster Kindheitsspruch, der nicht einmal gemein gemeint war und mich Dummchen eigentlich schützen und trösten sollte, ist “Die 4 ist die 1 des kleinen Mannes.” Ewiges Nichtrankommenkönnen oder gar -dürfen also. Ich koche heute noch vor Wut!
      http://nwschlinkert.de/2012/08/04/pferdewechsel/

    • Werter Herr Schlinkert, so hat jeder seine Erinnerungen, die ihn prägten.
      Wenn Sie schreiben: “Na soooo schlimm war das doch nicht…” ist das letztlich auch wieder eine Form von “Stell dich nicht so an”. Und mit 5 Jahren nach einem Panikanfall mit Herzstechen, denkt man noch nicht so nach über Begriffe wie Distanz und Erwachsenenwelt, wenn man so einen Satz zu hören bekommt, geschweige denn man versteht das….

    • Sie haben natürlich recht! Ich hab’s auch etwas unscharf formuliert, denn natürlich ist das sozusagen nur meine Erfahrung mit diesem Satz “Stell dich nicht so an”, denn ich fühlte mich dadurch zwar auch alleingelassen mit meinen Bolzplatzschürfwunden und -prellungen, aber wenigstens ernstgenommen. Aber Erwachsene sind, wie wir heute wissen, ja auch nur Menschen.

    • Wie Momo schon schrieb, lieber Norbert: mit den Sätzen, die an uns haften bleiben, ist’s so eine Sache. Mir beispielsweise kommt Ihrer, der mit der Vier, vergleichsweise harmlos vor, und doch zwickt er Sie immer noch.
      Mich interessiert einfach, von welchen Kernbotschaften wir geführt werden, und welche davon wir mehr oder weniger unterbewusst an Andere weitergeben, auch als Erwachsene noch.

    • Wer will schon, liebe Phyllis, dauernd beschützt werden? Außerdem wußte ich, daß ich mich nicht angestrengt habe und die schlechten Noten verdient waren. Ich hatte ja keine Ahnung, daß Schulunterricht auch interessant sein könnte. [Sozi-Schulpolitik eben, zur Heranzüchtung braver Arbeiter und Wähler.] Naja, wie dem auch immer gewesen sein mag, der Satz war jedenfalls lieb gemeint aber trotzdem schrecklich, worauf ich irgendwann aber schließlich meinen Ehrgeiz in meine Richtung gelenkt habe und, voila, was hat’s mir gebracht? Genau: nix.

    • Es ist noch zu früh, solch eine Bilanz zu ziehen, finde ich. Allerdings auch zu spät, um die Gemarkungen der Altvorderen ungeschehen zu machen. Woraus ich – mit einem gewissen Recht, oder? – schließe, dass wir noch mittendrin sind!

    • Wir Mittendrinner und -drinnerinnen können natürlich nur Zwischenbilanzen ziehen, weil wir, natürlich haben sie recht, noch d a r a n arbeiten. “Nix” stimmt so gesehen nicht, immerhin ist es ja mein Mist, auf dem meine zarten Pflänzlein wachsen, und je mehr es ein Bäumlein schüttelt, desto stärker wird es – hoffe ich.

  3. Ich hab neulich so einen begehrenden Wachtraum gehabt nach einem Laden mit Hündchen drin, und das war glaube ich der Wunsch nach einem Bleiben, ein Hund, im Eingang liegend, der den Kunden lazy den Zugang erschwert, und ich glücklich inmitten wunderbarer Dinge. Man steigt über den Hund und findet zu den Dingen und zu mir und ich ich bin Zuhaus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.