Der magische Mix

Bonjour.
Eigentlich sollte ich längst in meinem französischen Atelier sitzen und zeichnen. So war’s geplant – JuniJuli ist meine jährliche „time off“, keine Seminare, alle übrigen Arbeiten kann ich von jedem Ort aus erledigen, an dem ich ins Netz komme. Der Cité des Arts in Paris liegt mein Ateliergesuch seit zwei Monaten vor, im Grunde hätte nichts schief gehen müssen, allein, dieses Jahr war der Wurm drin: Am einunddreißigsten Mai erst bekam ich Bescheid, ich könne ab ersten Juni für zwei Monate einziehen. Da hatte ich den Juni aber längst verplant. Jobtermine. Teamsitzungen. ’Ne kleine Operation. Glauben die, Künstler:innen leben so außerhalb von Raum und Zeit, dass sie spontan mal ihr Gelerch zusammenpacken und von einem Tag auf den anderen in den Zug hüpfen können? Ich schrieb zurück, ich nähme den Juli. Nein, schrieb Madame, das Angebot gälte nur im Doppelpack – wenn ich im Juli kommen wolle, müsse ich neu beantragen. Nun ist es so, dass man sich in die Cité nicht einfach so einmieten kann: Zunächst mal muss man über ein Stipendium vom Bund hingeschickt worden sein. Ist bei mir der Fall. Einmal im System, kann ich mich seitdem jederzeit wieder um ein Atelier bewerben. Man muss allerdings warten, bis die aktuellen Stipendiat:innen ihre Studios bezogen haben – was danach noch frei ist, wird an uns Ex-Bewohner vergeben. Nach welchen Kriterien, hab’ ich noch nie herausfinden wollen… jedenfalls lief das bisher immer reibungslos. Die kennen mich.

Ich lasse mich mit Madame Drey verbinden.
„Bonjour Madame. Wie gut stehen denn meine Chancen für Juli?“
„Sie sind auf der Liste“, erwidert sie. „Doch es kann sein, dass wir uns wieder erst so kurzfristig melden können.“
„In der letzten Juniwoche packe ich meine Koffer“, sage ich.
„Ich kann nichts garantieren“ sagt sie.

So sieht’s aus.
Nun werden Sie sagen, d i e Probleme möchte’ ich auch mal haben. Was seiert sie denn rum, wird schon klappen, außerdem gibt’s Wichtigeres auf der Welt als eine Künstlerin ohne Auslandsatelier. Wie recht Sie haben! Ich erzähle es trotzdem. Vielleicht erklärt dieser „wie bestellt und nicht abgeholt“ – Status ja ein wenig, warum ich in letzter Zeit – auch hier auf TT – etwas diffus war. Kommt mir zumindest so vor. Als wäre mein magischer Mix durcheinander geraten. Ich arbeite seit Jahren daran, diese spezielle Mischung aus angewandter (bezahlter) und freier (oft nicht bezahlter) Arbeit herzustellen, die mich in beiden Bereichen beschwingen kann. Gelingt die Mischung, stimmt auch die Qualität – oder sagen wir lieber, Intensität. Dazu gehört aber auch, dass ich jedes Jahr mal für ein-, zwei Monate aus dem Feintuning ins Chaos überwechsle. “Retracer les axes” nennt das meine französische Freundin, was so viel heißt wie “sich die Ausrichtung neu vergegenwärtigen”.
Es scheint, als müsste ich das dieses Jahr auf andere Weise hinkriegen.
Darüber, wie der neue magische Mix aussehen kann, denke ich nach. Deswegen bin ich momentan an manchen Tagen so wortkarg.

28 Gedanken zu „Der magische Mix

  1. Ihre Probleme möchte ich echt nicht haben, ich liebe meine eigenen. Nehmen Sie’s aber einfach als Fluch der guten Taten, packen Sie Ihre Campingausrüstung zusammen und zelten Sie im Garten hinter dem Atelier. Oder gibt’s da etwa keinen Garten?

    • @Norbert W. Schlinkert Es gibt tatsächlich einen Garten, aber der gehört zum Chateau und ist dermaßen adrett, dass sich über meinem Zelt wahrscheinlich innerhalb von fünf Minuten die Gewitterwolken zusammenballen würden … echte und jene der Gendarmerie : )

  2. Liebe Fülüz, ein Trost kann nicht sein, dass dies Jahr auch bei mir vieles nicht klappen will, vielleicht mixen wir ja noch was hin, meine Wortkargung besteht aus einem Verschüchterungsmix der besonderen Sorte, dann mach ich kaum mal Piep, auch wenn ich denke, dann doch bitte erst recht, ich fürchte dann aber oft Schicksalsdeckelung, natürlich quatsch, das Schicksal deckelt ja sowieso wie es will und reagiert nicht auf Piep oder Nichtpiep. Ich wünsche aber alles Gute für Paris, das klappt schon!

    • Liebes Diademchen, ist schon arg, wenn die Wortkargung überhand nimmt, gell? Kenn’ ich gut. Trotzdem – ein gelegentliches Piepen wird gerne gehört und erwidert!

      Wird schon werden.

      Lächelnd,
      Fülüz

  3. Liebe Phyllis, ich kann Ihre Enttäuschung wegen des Ateliers gut verstehen und möchte Sie dazu ermutigen, beim Eindruck der Enttäuschung zu bleiben. Wenn Sie sich darauf einließen, dass mit Ihrer Zeit- und Terminplanung rechtens so umgegangen werden dürfe, bewegten Sie sich in gefährlichen Gewässern. Die Dimension dieser Form von Kurzatmigkeit, wie Sie Ihnen eben widerfuhr, wäre meiner Meinung nach selbständiger Betrachtungen würdig. Mit solcher Unberechenbarkeit umzugehen ist die Herausforderung der jüngsten Zeit.

    • @Kienspan Ob rechtens oder nicht – jeder Ort hat seine Bedingungen, und jener französische eben seine. Ich werde, wenn ich dort bin, mal ein paar Takte mit der Verwaltung reden, damit das nächstes Jahr runder läuft. Weiß auch schon genau, wie ich die besteche: mit einem Laib Bauernbrot. Die sind ganz verrückt nach deutschem Brot.

      Hab’ keine Lust, mich zu grämen. Im Juli bin ich außer Landes – so oder so!

  4. Mal klappt nichts, dann wieder garnichts, immer im Wechsel. DIADORIM kokettiert natürlich ein wenig, denn e i n e Sache hat ja dieses Jahr schon geklappt bei ihr, und das gönnen wir ihr ja auch! Muß man nicht drüber reden, schon garnicht hier. Kienspan hat indes mal wieder recht, denn sich in der eigenen Autonomie einschränken zu lassen, um etwas nach fremden Regeln zu bekommen, ist nichts Halbes und nichts Ganzes, ist lauwarm und indifferent. Aber Sie werden schon wissen, was Sie tun, liebe Phyllis, wie immer, oder wenigstens tun, was Sie wissen. Ich wünsche jedenfalls allerbeste Erholung, wie auch immer die aussehen mag!

  5. Ja, die Klappung, die da klappte, war ja eine voll überraschende Verklappung, das, was ich so gemeinhin zum Klappen rechne, ist das, was ich so selber anschiebe und es sich dann entweder vom Fleck rührt, oder aber nicht, wenn dann kurzzeitig mich mal wer bei der Schieberei wie ein Deus ex Machina anhebt und über dem Boden schweben lässt, erleichtert das ungemein und freut mich enorm, aber man ahnt natürlich, man wird sofort darauf wieder auf den Boden gesetzt, und muss dann da selbst wieder schieben und ziehen und ächzen. Und mich verschüchtern halt noch ganz andere Dinge, als die arbeitsbedingten. Ich schrieb wo schon mal, ich bin ein schlechter Sublimierer, mir muss es zum Schreiben leider gut gehen, wenn mich Sorgen quälen, scheint mir mein Schreiben unendlich weit weg, statt dass es mir Halt gibt, das blöde Biest, das nehm ich ihm eigentlich wirklich übel.

    • Überraschend klappt’s am besten, ist doch bekannt! Schon mal versucht, durchs Schreiben (notfalls) besser drauf zu kommen, statt mit Schreiben nur die Sorgenfreiheit zu illustrieren? (Voll Fiese Frage, aber hallo!) Ich und das Schreiben ist ja eigentlich wie eine Ehe, in guten und in schlechten Tagen und bis …

    • @Diadorim & Norbert W. Schlinkert Also mein Schreibbiest plustert sich manchmal riesendick auf, während ich den Bauchgurt des Sattels festziehe. Dann galloppiert es los, lässt die Luft aus dem Bauch und der Sattel rutscht an der Seite runter. Mit mir drauf.
      Schieflage. Was soll man sagen… aus der schreibt sich’s halt – na, sagen wir: eigentümlich.

    • Ja, vermutlich bin ich eine elende Freizeitschreiberin, die ihr Schreiben nie ehelichen würde und nur die guten Zeiten mit ihm teilen mag, nur ist das ja nicht so, dass darum auf der Fabelebene (so nannte man das ja früher unhinterfragt im guten alten Germanistikseminar) alles nur so sorglos vor sich hinträllerte bei mir, um melancholisch gestimmte Texte zu schreiben, muss ich leider trotzdem supergut drauf sein und das Gefühl von Siebenmeilenstiefeln und ich bin der stärkste Mann im Land, wer will noch mit mir boxen, haben. Viel besser wäre natürlich, wenn einem das Schreiben selber aber das Gefühl vermitteln würde, wie beim ANH, bei mir sind Ursache und Wirkung verkehrt, leider, darum schreib ich meine besten Texte, wenn ich für irgendwas oder wen hemmungslos schwärmen kann, dann schmeiß ich mein Projektionsmaschinchen an und schwärm los, aber den Zustand des Schwärmens den krieg ich nur hin, wenns woanders nicht zwickt und zwackt. Und wenns mal nirgends zwickt und zwackt gibts natürlich auch noch die Undankbarkeit der Beschwärmten, die einem das Schwärmen dann auch wieder schwer machen kann. Ich bin ständig bemüht die Balancen zu justieren und dann renn ich schnell an den Schreibtisch und schreib ein paar Zeilen, so lang wies hält, weil es gerät ja ultraschnell wieder was in Ungleichgewicht und dannn rennt man wieder an die Write Support Machine, um nach zu justiere.

    • So lange Sie Ihre besten Texte schreiben, für die die Leser dann schwärmen können, ist es ja egal, ob Sie mit dem Schreiben verheiratet sind. Hauptsache, es ist Liebe, und die ist ja immer irgendwie schwierig.

  6. Das nervt schlicht. Verbindlichkeit, Verläßlichkeit und ein klein wenig Planungssicherheit braucht jeder Mensch. Und Künstler sind Menschen, sieht man von einigen gehypten Elefanten, Affen etc. ab. Ich drücke die Daumen, daß es klappt – und daß Sie genau dies rechtzeitig wissen werden. LG tinius

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