Red Devil

Ein wohlwollender Schutzgeist schlupfte mir heute Morgen ins Ohr und flüsterte, es wär’ mal wieder Zeit für Privates. Yippie! Der Abend hängt mir eh noch zu sehr in den Gliedern, um mich an Lohnarbeit zu machen, vor allem das rote Zeugs, mit dem ich gestern durchgängig versorgt wurde. Im Jerome. Dessen Besitzer sich da sein kleines privates Königreich eingerichtet hat. Klar, nicht jedermanns Geschmack, so ein Gewölbe. Schon gar eines mit Erotik auf Leinwand an den Wänden. (arrgs)
Beim Jerome mach’ ich aber eine Ausnahme. Weil der Club eigen ist, im Sinne des Wortes – sein Besitzer hat einfach gemacht. Ungewöhnlich in Frankfurt. Meistens merkt man den Clubs ihre Marketingkonzepte viel zu sehr an.
Ich bin selten in Stimmung für Leute, die zu gut zum Mobiliar passen.

(Wah, mein Gehirn ist noch im Stromsparmodus.)

Tausend Flyer habe man verteilt. Ich nahm einen in Augenschein. Gut gemacht, festes Papier, alles paletti.
Es war kurz nach acht. Wir standen an der Bar, zu fünft, ich mit meinem ersten Red Devil. Der Leseraum, den man von der Bar aus einsehen kann, sah verdammt einladend aus. Roter Plüsch, schöne Bühne, hohe Kerzenhalter, keine Erotik an den Wänden. (Uff) Einer der besten Leseräume, die Frankfurt zu bieten hat, befand ich. Wenn man wohnlich mag. Hasse ja nichts mehr als Klappbestuhlung. Früher hab’ ich sogar Liegelesungen gemacht.
Gästezahl: Unverändert fünf. Individualitätslevel der Anwesenden: Hoch.
Ein Kollege war gekommen, schlank, Zeichner erotischer Szenarios und Buchsetzer. Seine Freundin, superschlank, sah aus wie eine jüngere Version von Juliette Binoche. Der Kollege trug Philosophenbrille, Hemd und breite gestreifte Hosenträger, seine Süße schwarz. (Klar) Eine Blondgelockte, die (noch) niemand kannte, stand etwas abseits im Jeansmini. Die Barfrau (43 Kilo, schätz’ ich) sah mich an.
Ich hob mein Glas zum Wirt hin und sagte: “Vor fünf dünnen Leuten les’ ich nicht.”
Die Gelockte (filigran) protestierte.
Mein Kollege sagte: “Versteh’ ich.”
Die Süße schwieg, sie war in Trauer. Jemand hatte ihre Katze überfahren einige Tage zuvor.
Der Wirt (robust) spendierte die zweite Runde.
Ich trank, erinnerte mich an meine erste Lesung aus „Fettberg“ im getäfelten Saal des Weltkulturen Museum. Der war voll.

“Also, wenn wir Amonette mitzählen, sind wir sechs. Komm, trink’ noch einen.” Der Wirt schnickt der Barfrau.
Auftritt neue Gäste, er klassischer >>> Wacken-Look, sie blond und füllig. (Endlich)
Fastenklinik, hab’ ich mich noch nie mit beschäftigt”, sagt Wacken nach dem ersten Bier, “aber woll’n wa ma sehen.”
“Is’ auch keine Geschichte übers Abnehmen”, sage ich.
“Wir sind neun”, sagt der Wirt, “auffi jetzt.”
Da ist noch ein kleiner Schmaler an der Bar, den hab’ ich gar nicht bemerkt. Ok, sage ich. Und betrete die Bühne.

Ich entschied mich für ein Kapitel aus der Mitte des Romans – das, in dem Dr. Tense seiner Truppe die erste Gehirnwäsche verpasst – und ich las sie mit Schmackes. Kann man bei neun Leuten sagen, dass der Saal getobt hat? (grins)
Gute, aufgedrehte Gespräche danach. Das Ganze hatte was Verschwörerisches. Lag am Club, an den Leuten, vor allem aber an der merkwürdigen Selbstsabotage, die ich vorher betrieben hatte: Niemandem rechtzeitig Bescheid zu geben, dass ich dort lesen würde. Klar, ich war im Stress. Aber ich hab’s auch absichtlich verschwitzt. Wusste nicht, was auf mich zukommt, unbekannter Ort, vielleicht zu kinky. Oder noch schlimmer, peinlich. Wollte mich schützen. Da hat mein bürgerliches Ich über mein verwegenes gesiegt. Wird nie wieder vorkommen.
Fast nie wieder!
(hüstel)

p.s. Bestes Wort des gestrigen Schreibseminars im Museum: “Blutduft”.

29 Gedanken zu „Red Devil

  1. “Ich bin selten in Stimmung für Leute, die zu gut zum Mobiliar passen.”

    Sorry dafuer dass ich hier ungefragt eintrete, aber das gesagte stimmt nicht. Hier klopft frau sich selbst ein wenig auf die eigene schulter. In wirklichkeit, schaut frau sogar ganz akribisch darauf wer zum mobiliar passt und wer nicht. Die richtung und der stil ist so ziemlich vorgegeben, die kommentatoren aehneln sich dadurch sehr.viel raum um sich nach rechts und links des tunnels zu bewegen wird hier nicht geboten. Wenn es in real life auch so ist, dann passt die aussage da oben vorne und hinten nicht. Gruss

    • Touché, Moscowitz. Aber – ich hab’ hier auf TT im Grunde nur eine einzige Regel, und die lautet, Siezen bitte. Wenn Ihnen das schon manipulativ erscheint, sind Sie ganz schön empfindlich. Wogegen nichts einzuwenden ist. Aber ich bin’s eben auch ; )

    • Wir können im Jerome lesen, auf einem Hausdach (in Erinnerung an den legendären Auftritt der Beatles), in der Kanalisation, die wegen der belesenen Ratten (so hörte ich!), der ideale Ort sein soll, irgendwo halt, ach, dann bleiben wir eben im Jerome. (Der Almodovar gräbt sich bereits den ganzen Tag durch mein Hirn. Könnte sein, dass am Ende des Tages nichts mehr davon übrig ist.)

    • Kanalisation, hm. Wahrscheinlich hätten wir da die Röhre voll. Mit Publikum, meine ich. So off-off-locations gehen ja manchmal blendend. Jemand müsste mit dem Rattenkönig reden, er soll uns ein Dutzend seiner Bürger zum Geleit geben, damit wir uns da unten nicht verlaufen.
      Vielleicht, überlege ich gerade, können wir vom Jerome aus direkt weitermachen. Es gibt so eine komische Klappe im Boden rechts hinter der Bühne, die kam mir schon gestern ziemlich verdächtig vor.

  2. “Vor fünf dünnen Leuten les’ ich nicht.” Hihihihihihihi!
    (Ich hab gestern unvorsichtshalber mal gegooglet, was ich eigentlich nicht mehr googlen wollte, und fand etwas, was dann immerhin auch schon ein halbes Jahr alt war und ich mir dachte, diodendragin, du bist gut, und dann habe ich gedacht, oh Gott, er ist krank, der ist ja noch schmaler geworden, und dann dachte ich, quatsch, der vergeistigt einfach weiter, der löst sich irgendwann auf, der nullt seine Sexyness, der wird Papier, alles an diesem Mann ist Exerzitium, spooky und auch wohl ein bisschen schade. Und dann hab ich mich noch geärgert und gedacht, er soll mein Brasilien nicht verwursten, das gehört mir, er soll bei Indonesien bleiben, so wie er das vorhatte, das ist nicht fair, und dann wars mir aber auch wieder egal, ich weiß ja, dass sein Bild der Welt korrekturbedürftig bleibt:)

    • Wer auch immer das ist, mein Diademchen, der Ihnen da nicht mehr aus Herz, Kopf und Eingeweiden zu weichen scheint – lassen Sie los, falls Sie können, Asketen ruinieren einem doch immer den Teint, selbst wenn sie’s nicht absichtlich machen ; )

    • “Vor dünnen Leuten les’ ich nicht.” Grandios! (Ich habe Sie und Diadorim mal um die 5 expropriiert).

      Schöne Erzählung. Und wo, Diadorim, kann man bitte “Moscowitz” googlen? Ich möchte mir so wenig Arbeit wie möglich machen, allein schon, um Ihnen entgegenzukommen und etwas mehr Ruhe in mein Leben zu bringen.

    • Hab gerade mal beim Moskitonetz einen Eintrag gelesen, oh weh, ich hoffe, wenigstens die Tiere mögen ihn. Nein, also, es gibt zwei Sorten von Menschen, solche, die lieber allein sind, und solche, mit denen das Leben schön ist, mit ersteren muss man sich gar nicht treffen, auch wenn sie es wieder einmal, vielleicht sogar einem selbst zu liebe, probieren und sich überwinden, mit den anderen, nun ja, klar, da ist auch vieles eingespielt (was ich begrüße) und darum hat man vielleicht ja auch noch ein paar andere Freunde im Leben so und einen Beruf, man wird ja nicht 30 Jahr zusammen weggesperrt und vor allen Dingen verändert sich so ein Leben als Paar ja auch, egal, Moskitos sind lästige Gesellen, und Frau Füllüs hat recht, der Asket ist nicht angestrebt, vielleicht empfand ich Askese kurzzeitig mal als Füllhorn, so wie es Leuz gibt, die auf Heilfasten schwören, man weiß zwar, das Heil daran ist eher ein vermutetes und recht eigentlich lagern sich nur mehr Giftstoffe im Körper an, aber früher hat man ja auch Kranke gern mal zur Ader gelassen, nach dem Motto, wir verschärfen einfach noch mal die Bedingungen, wer das überlebt, hat Recht noch am Leben zu sein. Vielleicht hab ich gedacht, ich müsste mich stählen oder so, bisschen Drachenblut, aber eigentlich, so furchtbar asketisch kam mir der Mann auch wieder nicht vor, sagen wir so, durch meinen schlechten Einfluss, hab ich bermerkt, probieren würd er das auch wohl mal, ein nicht ganz so asketisches Leben, es hätte auch alles ganz anders verlaufen können, aber im Grunde bin ich nun mal der Feind, so von den inneren Überzeugungen eines Asketen heraus, tja, dann muss das mal so sein. Wenn ich ehrlich bin, ich möchte mich durch Gewicht ungern an was gehindert sehen, aber ich möchte mich auch nicht zwanghaft um Askese bemühen, das ist mir viel zu anstrengend, ich mag zu sehr das Lustprinzip.

    • Grandios (2) @diadorim. Chapeau!
      durch meinen schlechten Einfluss hab ich bemerkt, probieren würd er das auch wohl mal
      Hier hab ich nicht die Fünf, sondern ein Komma geklaut. (Hält die Finger flach hin, zum Draufhaun, wenn die Damen wollen – Kennen Sie die Szene Laurence of Arabia und die Kerzenflamme in der Offiziersmesse?)

      [‘El’Orenz’ war mein Spitzname in Ramallah, ein Händler in Tablas verpaßte ihn mir mitsamt dem Turban der Kufiya – s o heißt das Ding.]

    • Tstssstsss – immer wieder: diese Diskriminierung der Dünnen. Hmm. Als ich 90kg wog (2. Schwangerschaft) konnte ich die eigenen Füßen nicht mehr sehen (stehend). Das war ein Schock. Habe ich den Kirschkuchen aufgegeben deswegen und die Tüte Gummibärchen (500g) am Tag. Deswegen. Fehler? Hmm…

    • ölgemälde sex – röhrender hirsch – hirsch röhrend – röhre voll schnepfen unterschiedlicher reh-bauart – vom terzett aufwärts, spielende hunde ( das dahinter – wie erotisch – zählt usw. wie z.b. gauguin )

    • hay der text oben ist nach meinem geschmack.
      ( welche bekanntlicher weise – de gustibus non diputandum – nur interssiertheitshalber tangieren könnte )

    • Ich kann meine Füße noch sehen und auch selbst lackieren, also bitte, tz. Das Übel, es läge bei mir nicht an der Ernährung, et liegt am Alter, man isst nicht mehr, aber nimmt trotzdem schneller zu, dit iss meist so ab vürzüsch, bei einigen Frauens der Sorte landpomeranzisch besonders, ich war nur zwischen 12 und 20 dürrer und gestreckter, da im Wachstum, sonst hab ich nu mal eher norddeutsche Indio und nicht südländische Modellform, klar, wenn ich jetzt nix mehr äße und mir Salatblätter ohne Dressing verschrieb und mir jedes Glas Wein verböte, aber das trägt zum Erhalt der guten Laune bei, eher als zehn Kilo weniger, sorry Folks. Ich vertilge ja nicht täglich 3 Burger plus Fritten und Chips. Ich könnt mal mehr Yoga oder so, mal sehen, aber ich werd en Teufel tun und mein eher gesundes Essverhalten jetzt durch irgendwas Kalorienreduziertes verungesunden, erst recht nicht, so lang ich noch Normalgewicht habe. Hübscher wird man eh nimmer. Ansonsten kann ja jeder so dick oder dünn sein wie er will, mir auch Latte, nur so wie andere sein müssen nervt ja.

    • @Diadorim: Sie lackieren Ihre Füße!!!???? Wow! Rundherum oder nur oben drauf?
      Worum geht’s hier eigentlich, doch nicht etwa um Ernährung? Da weiß ja jeder was, ich zum Beispiel, daß ein alter Sack von sagen wir 50 eine ganze Mahlzeit am Tag weniger benötigt als ein 15-jähriger Bengel, daß man abends keine Kohlenhydrate vertilgen soll sondern eher Proteine, daß Treppensteigen und Spazierengehen ‘ne Menge Kalorien verbraucht, daß man beim Frühstück fettes Zeug essen darf und so weiter. Tjoah! Hilft aber alles nix, wenn man sich selbst nicht leiden kann, egal ob mit oder ohne lackierte Füße.

    • Aubergine, Mauve, Queen Mum Blau oder Minz oder was dazwischen find ick gerade subbaaa! Spart den Überschuh, aber man muss höllisch uffpassse, dass einem keiner drantritt, dann iss alles im A.
      Ich hab manchmal schon versucht, mich selbst zu leiden, und ganz heimlich auch gedacht, so verkehrt binsch jarnüsch, aber ich hätte höllisch Angst, meinen Marktwert jetzt nochma in real life testen zu müssen, ich glaub, ich dächte unter Umständen dann schlechter von mir, ich war ja schon froh über den Physio, der hat einiges wieder gut gemacht, was der Autor an Selbstbild versaut hatte, danach dacht ich, ok, ü50, sieht jetzt auch nicht wie Clooney aus und du kannst da nix mehr reißen, stell sich mal einer das vor, nach der Physio hab ich gedacht, ok, ich versuchs dann mal beim nächsten Clooney, vielleicht hab ick zu tief gepokert:). Hach ja, tempus fugit, oder so. Und so eigentlich gehts ja auch um was anderes beim sich leiden können, meist. Viel wichtiger doch, wie gut kann man sich von sich ablenken.

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