Die Kohärenzdrüse

Ich dachte, ich schreib’ mal was unfrisiertes. Das funktioniert nur, wenn die Finger schneller fliegen, als das Gehirn verbieten kann, also wundern Sie sich nicht über Tippfehler im Text. Ich versuch’, so schnell zu schreiben, wie ich kann. Ohne nach hinten zu sehen.
Also zunächst (das liegt schon seit gestern im Auslieferungsregal, deswegen muss es als erstes raus) ich danke Ihnen, geschätzte Leser:innen, für Ihre Worte und Gedanken im fast vergangenen Jahr. Sie bedeuten was. Ich hab viele von Ihnen richtig, wie soll ich’s sagen, richtig auf meine Goldwaage gelegt. und sie wogen was. Das war so ein Hin- und her vom Atelier nach draußen ins Offline und wieder zurück, all die Kommentare, Anregungen, Spiegelungen, auch Lob ( ist Lob heilbar?) haben sich vermischt.
Viele von Ihnen hab’ ich auch meinerseits besucht auf Ihren Grundstücken und manchmal sogar kommentiert, das wäre aber noch auszubauen, ich mach’ mir (immer noch, shit) zu viele Gedanken, ob’s geistreich genug wäre, was ich zu sagen hätte. Lähmt, das. Auch unnötig. Der hohe Selbstanspruch verstellt den Blick darauf, dass Inspiration – weder meine, noch wahrscheinlich Ihre – nicht immer aus den ausgereiften, logisch einwandfreien und politisch korrekten STATEMENTS kommt, die eine abgibt. genauso oft ist es ein Wort, ein Textfragment, eine schludrig formulierte Frage, die etwas in gang setzt. Wie ein ins gehirn gepflanztes Glühwürmchen.
(Kürzlich erlebte ich eine Premiere: Jemand löschte einen Kommentar von mir auf seinem weblog. Ein beunruhigendes gefühl, sag ich Ihnen. Er war noch nicht mal fies, mein Kommentar. Oder unangemessen. Na, vielleicht ein wenig unangemessen(?))
Doch zurück: Die Schludrigkeit sollte man nicht untersch#tzen als Inspirationsquelle. Wenn einer oder eine schon zu fertig sein scheint mit ihren (oder seinen) Überlegungen, was soll man als Leser:in denn da noch hinzufügen? Ich mag Prozesshaftes. Ich zeig auch selbst Prozesse, auch wenn vieles, das ich erlebe, aus Gründen der Diskretion erstmal übersetzt werden muss in eine andere Form. Oder Sprache. Doch die ist immer noch nah am Ereignis. Hoff’ ich. Weil, es gibt genug hinter dem Berg halten in unseren gesellschaften, Unsicherheit der eigenen Kompetenz gegenüber und Abwägung, und falsche Rücksichtnahme. Ja, falsche. Weil wenigstens wir schreibenden, die wir uns die Mühe machen, unsere genialen Absonderungen ebenso wie unsere titbits in die welt zu tragen – wenigstens wir sollten nicht immer mit dem eisernen besen fegen, sondern auch mal Freestyle gelten lassen. ZU unserer Wahrnehmung stehen, auch wenn sie falsch sein könnte. Aber wie kann sie falsch sein? Sie kann höchstens unvollständig sein. Oder unangemessen. Oder einfach trivial. Scheiß drauf. Sorry, das wollte ich nicht sagen. Aber vergegenwärtigung funktioniert nun mal nicht, wenn ständig Helferprogramme zwischengeschaltet werden, um das öffentliche Angreifbarkeitslevel möglichst gering zu halten. Wer immer fair und angemessen sein will, schießt sich selbst ins Knie.

Bisher noch keinen einzigen Blick zurück auf den text geworfen. Hihi. Mal sehen, ob ich’s schaffe, den einzustellen, ohne zu korrigieren.
Hören Sie. Ich hab’ mich oft versteckt in den letzten Monaten. Da war so viel Leben und nur so eine enge Öffnung nach draußen, hierher, ich fand, es s i c k e r t e eher, als dass es floss.
(Moment, muss eben schnell das Wort „Kohärenz“ nachschlagen.) Ah, ja, Zusammenhalt. Dacht’ ich’s mir doch.
Für Kohärenz sollte es definitiv eine Drüse geben.
Wir brauchen die. Merkt man schon daran, dass viele ihre weblogs schon so nennen, dass welche entsteht, da gibt’s Gleise und Dschungel und Netze und Räume: Praxen, Ateliers, virtuelle Schreibtische und vieles mehr. Lauter Versuche, die mäandernden Gedanken in irgendeine Form von Ver-bindlichkeit zu bringen. Gell.
Huch. Worauf wollte ich hinaus. Eigentlich schreib’ ich so vor mir her, um die wichtigste Erkenntnis des Jahres einzufangen, die wichtigste für mich zumindest, aber sie sträubt sich noch. Hab’ ich’s nicht vor ein paar Tagen schon mal in drei Sätzen formuliert?
Moment, bitte, ich sch schnell nach…
Ah, da ist es:

Schütze Deine Wunden.
Trau’ Deinen Ideen.
Sei üppig.
Schrieb ich in einem Kommentar an Paul Duroy. Ich hatte kurz überlegt, „üppig“ durch „großzügig“ zu ersetzen, der Verständlichkeit halber, aber Üppigkeit schließt das Fleisch mit ein, deswegen ließ ich’s dann so stehen.
Überhaupt – das Fleisch. Die ersten Erfahrungen, die, die eine als Kind macht, gelten ja als „authentisch“, weil der Körper und das „Ich“ sich noch nicht auseinanderbewegen. Wenn ich es richtig verstanden habe, bildet sich das Ich erst mit der Akkumulierung nichtkörperlicher Erfahrungen aus. Muss da nochmal nachlesen. Die sache mit der Selbstwahrnehmung, Sie wissen es, beschäftigt mich sehr… das Frauenwesen, das Künstlerwesen, das gesellschaftliche Wesen. Ich schreibe absichtlich nicht „Bilder“, weil, das klingt so, als wäre bereits alles fertig. Und natürlich ja, es gibt Millionen, aber ich will mir ja meine eigenen machen. Ich will definitiv aufhören mich zu entschuldigen, dass die der anderen mir oft lästig, weil zu über-zeugend sind: es ist nun mal so. Und aufhören, mich zu grämen, dass mein Mörser nur soundsoviele Gewürze fasst und andere in größeren Mörsern mit mannigfaltigeren Gewürzen rühren. Die mir in die Nase steigen und mich eifersüchtiger machen als irgendein beziehungsding es je könnte. Grrr.
Ich hätte nichts lieber als ein immergeiles, rasendpotentes gehirn, das mich durchnudelt und Kunst raushauen lässt, bis ich mit achzig glücklich in die Knie geh’.
Stattdessen ist es viel zu oft unpässlich. Jajajaj, diese zickige Gedankenschleuder macht mich noch wahnsinnig.
Ptschi! Hat jemand ein taschentuch? Bin fürchterlich verschnupft.)

„Komm’ zum Ende, Phyllis. Du wolltest doch auf etwas hinaus.“
„Nee, wollte ich nicht.“
„Doch, heimlich.“
„Okokok.“

Eigentlich wolle ich mich nur mal wieder aus der Reserve wagen. Es ist so viel Passiert in den letzten Monaten, für das ich keine adäquate Form gefunden habe. Also dachte ich, wenigstens am letzten tag des jahres schreib ich was durch und durch Formloses. Unkorrigiertes. Vielleicht sogar entlarvendes. Der Punkt ist nämlich, ich bin längst keine Larve mehr, auch wenn sich’s oft so anfühlt. Und der schmetterling sollte öfter mal schmettern – statt immer nur darauf zu achten, dass die Flügel hübsch aussehen und keiner drauf fasst. Das ist mein einziger Vorsatz für’s nächste jahr. Und auch den streiche ich sofort wieder, weil, wir wissen ja alle, was mit Vorsätzen passiert. Spätestens ab der zweiten Januarwoche werden sie durchsichtig.

„Verabschiede Dich. JETZT.“
„Ok.“

Geschätzte Leser:innen. Ich wünsche Ihnen ein erfülltes, großzügiges und mutiges neues Jahr! Ja, mutig statt mulmig. Sylvester ist halb so wild. Wissen wir alle. Feiern Sie, oder lassen Sie’s bleiben. Darum geht’s nicht. Sondern darum, sich dieses unglaublichen Geschenks gewahr zu sein. Dass wir am Leben sind. Hoffentlich noch eine ganze weile, und bittebitte ohne Geschehnisse, die uns dauerhaft lähmen. Den Körper. Den Geist.
„Jetzt wirst du echt platt, hör’ auf damit.“
„Hast ja recht.“

Bleiben Sie mir gewogen. Das wäre schön. Lassen Sie uns das Revier weiter gemeinsam mit Glühwürmchen besiedeln. Auch Mistkäfern. Und Schafen, natürlich : )

23 Gedanken zu „Die Kohärenzdrüse

  1. Ja, liebe Miss TT, und nun lassen wir die Korken knallen; vor allem die von unseren Sprühdosen und brachliegenden Gehirnwindungen.
    Knallpiffpengpitschwummdrrrrssssszzzzischlirschz – Alles Liebe, Ihre Samtmut

  2. Schaf zündet eine Böller,
    trinkt Schampus und wird
    schmöll* und schmöller!

    Aufs nächste Jahr mit TT, ick freu ma schon!

    *http://www.brige.ch/wordpress/?p=1367

  3. Ach Madame Füllis, wie Sie mich mit Ihrem ÜPPICHEN und SCHÖNEN Text beschenkt haben! Genau SO will ich ins und durchs neue Jahr gehen: ÜPPICH und überall in meinem Leben nach ICHTHEIT suchend (nein, kein Rechtschreibfehler).

    • Da sind wir dann schon zwei, liebe Frau Wie.
      Und wenn wir uns ein Glöckchen an den Schwanz hängen (“Welchen Schwanz?!?” fragt da sofort jemand, aber ich hör’ nicht hin), also, wenn wir uns ein Glöckchen dranhängen, bin ich sicher, es kommen noch verdammt viele dazu!
      In diesem Sinne! : )

  4. Vielen Dank werte Frau Phyllis!

    Zelladhäsionsmoleküle vermitteln den Kontakt, Zellkohärenz hält die unterschiedlichen Gewebe zusammen….. da jede Zelle sowieso eine Ausscheidungsdrüse oder -membran hat, wünsche ich möglichst viele direkte Berührungs-…äh… Schnittstellen, zwecks füllen der Bedeutungshöfe. Sie wissen schon….

    Ja. Alles Gute! Für Sie!

    … und viele Buchstaben. Zum Lesen. Für uns!

    “Oh” und “Ja”… ich hab Glühwürmchen noch nie so nah gesehen… die sind ja richtig mutig. Und süß. Ziemlich hoher Kuschelfaktor!

    • Dann also auf die Kontaktflächen, werte Syra! Heut’ Nacht wahrscheinlich meist die gläsernen – aber wer weiß, vielleicht kommen die kontakthungrigen Zellen ja später auch noch dran, yipyip.
      Offensichtlich war mein Text auch nicht zu lang, wenn Sie sich weiterhin viele Buchstaben wünschen… ich bin da immer unschlüssig. In der Kürze die Würze und so. Widerspricht aber eigentlich meinem Wunsch nach Fülle.

      Glühen Sie schön!

  5. Liebe Phyllis, fand heute morgen endlich Gelegenheit, mit dem neulich erwähnten & immer noch ausstehenden Birnengeist Ihnen herzlichst zuzunippen! Originalfrucht aus der Metapher war keine in der Flasche, aber ein Anfang ist gemacht, und im Laufe des kommenden Jahres hol ich mir auch noch eine mit Birne! Foto bey Ort & Gelegenheit!

    Möge Ihnen 2012 ein schönes heißes Wortfeuerchen & eine rechte Talentschmiede werden!
    Herzlich Ihr
    Books

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