Melancholia

Gestern blickte ich durch den Drahtring und sah Ihren Stern heranrasen, saß auf dem Hügel und erwartete das Ende der Welt. Später, längst verglüht im Feuersturm, verschlang ich Unmengen Currywurst und Griesbrei mit Zimt, ein gieriges Kinderessen gegen Ihren Abgesang. Sie Fiesling, Sie wollen, dass wir Ihr Seelendunkel teilen, nicht wahr? Abkacken sollen wir, grandios zwar, aber dennoch. Ich aber mach’ bei Ihrem Anti-Zeugs nicht mit! Nee, von Trier. Ich pfeif’ auf das halbleere Glas, ich trinke aus der Flasche, Mann. Meine Verbündeten machen sich nicht mit Schaum vor dem Mund vom Hof, wenn ich sie am nötigsten brauche, und ich ficke auch nicht den nächstbesten Mistkerl, nur weil mein Bräutigam zu nett ist. Frau Dunst, wer hätte gedacht, dass die so spielen kann? Doch mit einer, die nichts zu verlieren hat, würde ich das Ende der Welt ums Verrecken nicht erwarten wollen. Oder doch? Wir verdienen es also, ausgelöscht zu werden? Für diesen Zweifel könnte ich Ihnen eine knallen, im Ernst.
Reden wir darüber. Ich erwarte Sie am > Tree of Life. Aber wundern Sie sich nicht, wenn er bei Ihrem Anblick die Wurzeln aus dem Boden zieht und davonstapft.

17 Gedanken zu „Melancholia

  1. Sie sind nicht die erste Überlebende, die mir diesen Film nicht gerade ans Herz legt. Ein “Mmh …, aber” war bisher das Positivste, was ich zu hören bekam, vielleicht weil der Film keinen Humor hat? Ich frage das, weil ja immerhin in Douglas Adams fünfbändiger Trilogie ‘Per Anhalter durch die Galaxis’ die Erde auch zerstört wird, auch wenn wir dem Überlebenden folgen dürfen in die unendlichen Weiten. Hat von Trier denn wirklich keine Hoffnung gelassen auf ein Überleben, immerhin ist er der einzige Katholik Dänemarks und hat am Ende von ‘Breaking the Waves’ doch diese Glocke im Himmel läuten lassen, was man durchaus kitschig finden kann, was aber einen tiefergehenden Grund hat wegen der Aufopferung der Bess McNeill für ihren Mann. Bleibt bei ‘Melancholia’ am Ende etwa nur das Nichts? Und wie wirkt die Welt, wenn man aus dem Kino kommt? Vielleicht sollte ich es doch selbst ausprobieren! (Ich lese aber trotzdem alles von denen, die den Film schon gesehen haben. Vielleicht gibt es ja auch ein “Mmh …, ja”!?)

    • @Norbert W. Schlinkert Ach was, von Trier ist künstlerisch immer eine Begegnung wert, der Mann weiß einfach, was er tut. Nur mögen muss eine das nicht, die Ausweitung der Kampfzone schreitet ständig voran, gelacht wird (natürlich) niemals, aber geweint auch nicht, dazu fehlt’s an Mitgefühl. Ich hab’ mich über seine Filme schon immer echauffiert, “Breaking the waves” ganz vorneweg, da musste ich fast kotzen vor Abwehr. Die Abwehr aber, sie ist interessant: jeder der Trier’schen Filme weckt meine inneren Hunnen auf; die rasen dann tagelang über die Steppe.

    • @Phyllis Einige seiner Filme, zuallererst ‘Idioten’, haben auch bei mir Wutausbrüche ausgelöst, während ich ‘Breaking the Waves’ verteidigen muß, denn das ist ein wunderbarer Film, wenn man ihn nur mehrere Male und sehr intensiv sieht. Eben dies tat ich, zuerst mit starken Abwehrgefühlen, vor einigen Jahren für eine Prüfung während des Studiums, so daß ich mich auch in die religiöse Welt der Calvinisten einlas und eben jene unheilvolle Haltung fand, gegen die Bess McNeill auf ebenso unheilvolle Weise revoltiert, sie ablehnend und zugleich bestätigend, füllt sie doch ihre Rolle der Verstoßenen bis zum Exzess aus. Harter Stoff bleibt es natürlich trotzdem, nur die Bilder (diese kitschigen “Theaterprospekte”) zwischen den Akten mildern ein wenig.
      Soll ich mir nun den neuen vontrierschen Film ansehen? Puh! Ick weeß nich’!

  2. Es war als hätt` der Himmel
    die Erde still geküsst,
    dass sie im silbern` Glanze
    nun …..

    Ab jetzt schaut man genauer nach oben, wenn`s so hell wird nachts, ob es ein Mond ist oder zwei.

    Wenn ein Film das machen kann …

    Wer sagt, Phy, dass das Glas halb leer ist? Immerhin taucht da eine wieder auf aus dem Meer der Melancholie – der Große Weiße Hai hat los gelassen.

    Und überhaupt: Wenn Tante Eisenbrecher weiß, dass da 687 Bohnen im Glas sind, dann weiß sie auch, dass die magische Höhle schützt, oder?

    Beste Grüße
    NO

    • Werter NO, ich schimpfe, doch ich schimpfe mit Respekt. Wäre da keiner, ich würde nur schweigend abwinken – tu ich nicht. Und der Sog der Anfangsbilder hielt wirklich lange vor. Nicht lang’ genug allerdings, als dass er mich über die opulente, aber fast jeder Finesse entbehrende Hochzeitsgeschichte bis hin zur Schluss-Szene hätte tragen können.
      Tante Eisenbrecher … denkt man da nicht unwillkürlich an Eisbrecher, obwohl sie es ist, die das Eis erst wachsen lässt? Die einzige zwischenmenschliche Beziehung, die mir beachtenswert vorkam, war denn auch tatsächlich jene zwischen ihr und dem Neffen, der ihr diesen Namen gab. Vielleicht, dachte ich, ist der Junge der Einzige, der die Tante als das sieht, was sie ist: eine Naturgewalt, die man – mit allem – hinzunehmen hat. Und ich spürte dass sie, die Tante, es war, die den zerstörerischen Stern mit der Macht ihrer eigenen Dunkelheit erst zurückgerufen hat. Obwohl von Trier es anders erzählt.
      Wie auch immer.
      Die magische Höhle war eine famose Bildidee, keine Frage.
      Mich stört nicht der Film, sondern die ihm zugrundeliegende Strömung. Die krieg’ ich aber immer noch nicht richtig in Worte gefasst.

      Beste Grüße

      PHY

    • Habe mir den Film nun auch angetan.. und da ist meine Rezeption wohl wie bei “Tree of Life” genau entgegengesetzt. – Eine gewisse latente Aggression, die bei Ihnen möglicherweise zu dieser starken Ablehnung führt, merke ich wohl auch. Erinnernd auch an Dogville, nach welchem ich am liebsten, die ganze verdorbene Menschenbrut mit dem Flammenwerfer auslöschen wollte. Aber gerade diese beiden Filme boten nach der Tortur und Teilhabe an all dem Schrecken doch auch Katharsis (die mir Tree of Life verweigerte, da wuchs bei mir nur die Frustration und der Ärger – wie nach einem Übermaß an Keksen oder Internet). – Ich könnte vermuten, dass die Negativität, die durch dieses Weltuntergangsszenario treibt und sich zum Beispiel in Sentenzen über die Einsamkeit und Sinnlosigkeit allen Daseins äußert, abstoßend wirken kann, weil es auch lähmen und unproduktiv werden lassen kann (da greifen dann vielleicht ähnliche Abwehrmechanismen wie bei mir bei “Tree of life”, den ich gar nicht richtig an mich heran lassen konnte, weil mir das alles widerwärtig profan und werbeästhetikgestählt durch die Pupillen rann, während es doch mystisch und inspiriert sein sollte – in dem Maße wie mir mir “Tree of life” “schmutzig-hymnisch” vorkam, in dem Maße könnte Melancholia schon “negativ und ungesund” erscheinen?)

    • @Phorkyas Meine starke Ablehnung ist inzwischen verklungen. In der Erinnerung bleiben einige kraftvolle Bilder, die ich nicht mehr missen möchte. Trotzdem: eben diese dem Regisseur eigene Grundhaltung, die Sie als “Negativität” beschreiben, wird mich immer wieder die Hacken in den Boden stemmen lassen, wenn ich im Kino sitze. Es ist ein inneres Aufbäumen gegen die Idee von Resignation. Der ja auch von Trier, trotz aller Depression, nicht anheimgefallen ist – sonst könnte er nämlich gar keine Filme machen…

  3. Danke, liebe Phyllis. Bisher fühlte ich mich unter all jenen, die “Melancholia” priesen, recht einsam. So aber – wie Sie´s hier darstellen – habe ich den Film auch gesehen. Lars von Triers Filme haben mich bisher immer verstört, auf eine Weise, die bereichernd war. Dieser nicht. “Für diesen Zweifel könnte ich Ihnen eine knallen, im Ernst.” Ja. Und:Nein. Nicht einmal wirklich wütend hat mich der Film gemacht. Nicht mal das.

    • @MelusineB Ich vermeide, Kritiken zu lesen, bevor ich mir einen Film ansehe: bei Regisseuren, deren Arbeit mir vertraut ist. Und wenn ich darüber schreiben will, les’ ich auch im Nachhinein nichts – da steht immer so vieles, das mir einsichtig erscheint, dass mein eigener Blick sich mit Fremdem anreichert. Insofern wusste ich von Melancholia nur, dass er gute Kritiken bekam, vor allem auch die schauspielerische Leistung von Kirsten Dunst gewürdigt wurde. (Deren Gesicht ich noch nie gerne angesehen habe, warum auch immer, aber, zugegeben, sie war gut besetzt.)
      Nein, das ist nicht von Triers stärkster Film. Aber nach Antichrist hängt die Latte in Sachen Verstörung eben auch verdammt hoch…

      – Haben Sie Lust zu sagen, was Sie gestört hat?

    • @Phyllis – Ihre Frage (vorab: Es waren nicht die Kritiken, sondern die Lobeshymnen von Freunden, denen ich gar nicht ausweichen konnte. Das Lesen von Kritiken meide ich auch meistens.)

      Was mich gestört hat, ist gleichermaßen schwer und leicht zu sagen. Schwer, weil ich Angst habe, dass ich mich damit “blamiere” und leicht, weil ich es – ausnahmsweise – weiß: So traurig ich bin, so traurig bin ich nie, dass mir nicht der eigne Untergang als Traum genügte, sondern ich die ganze Welt und das Leben selbst untergehen lassen müsste. (Und als philosophisches Problem ist mir der Weltuntergang schlicht einerlei.) Am meisten stört mich- wohl deshalb -, dass der Weltuntergang so schön “wie gemalt” ist.

    • Die Mädels sind anspruchsvoll. Das macht es für die kleinen Jungs so schwierig. Manchmal fühlt man sich ertappt, wie bei machen Songtexten von Ina Müller. Wer schreibt sich schon gerne um Kopf und Kragen? Kein Zufall, meine liebe MB, dass ich Ihnen auf die Baby-Frage bei „Paris“ nicht geantwortet habe.

      Aber sei es drum: Kein „gestört“ hier.

      Eine wunderschöne Deutung, dass Justine den Stern zurückgerufen hat. Eine wunderschöne Erkenntnis, über das, was ein Film bewirken kann, der „verstört, auf eine Weise, die bereichernd war“.

      Aber stören am gemalten Weltuntergang? An der zugrunde liegenden Strömung? Da findet einer Bilder dafür, dass einem (selber manchmal) eine Welt untergeht. Da malt einer das Menetekel an die Wand, dass einem manchmal (zeitweilig) über dem eigenen Leben hängt wie ein lastender blauer Stern.

      Ist das, zwingend, Weltuntergang? Es gibt eine andere Geschichte über einen Stern, der den Menschen erscheint, und der über einem Kind aufgeht. Wenn Sie die magische Höhle auf den Kopf stellen, dann sitzt da kein Neffe unter Ästen, sondern liegt ein Kind in der Krippe. In d e r Geschichte war die Losung nicht Auslöschung, sondern Umkehr.

      Das Kind schlief den Schlaf der Gerechten, als Melancholia vorbei schoss. Die Pferde im Stall wurden ganz ruhig, als Jack Bauer da schon mit Schaum rumlag.

    • @MelusineB und NO Wie gemalt.
      Wie schöngemalt.
      Und dennoch treffen Sie einen Nerv, lieber NO, mit der Zauberhöhle, aus der eine Krippe wird, und den Pferden. Huh… das Bild mischt sich jetzt mit meiner eigenen Wahrnehmung. Eines Tages wird es das Schweigen der Pferde sein, an das ich mich erinnere. Erst dann werde ich zum Himmel aufblicken.

  4. Von Stereotypen und deren erstaunlicher gesellschaftlichen Akzeptanz … Bzw. vom falschem Konsens und sein (wohl einhergehend) mangelndes kritisches Bewußtsein (Momentaufnahme unserer Gesellschaft?) “und ich ficke auch nicht den nächstbesten Mistkerl, nur weil mein Bräutigam zu nett ist.”

    Jetzt, wo Sie es schreiben, fällt mir auf, wie stark dieser Stereotyp in unserer Gesellschaft verankert ist.
    Auf die Gefahr hin, hier etwas [OT] zu sein …
    Wie kann so ein Stereotyp entstehen und vor allem fortbestehen, stark, stetig, selbstsicher, böse?
    Den habe ich schon in meiner Jugend (far, far away) beobachtet, diese maximale Zerstörungskraft, dieses Verhärtungsmechanismus für nette Jungs, diese hoffnungsraubende Gnadenlosigkeit, gedankenlose Logik.

    Dieser Stereotyp ist der sichere Tod der Menschlichkeit, der letzte Hebel den man nie wieder umlegen kann, einmal betätigt, das uns in eine Welt des Verrats und der zynischen Selbstzerstörung führt.

    Ein Model?

    Ha! Das es so unnatürlich ist, so ein Artefakt, das gegen jede innere Regung verstößt, das verstört mich zutiefst.
    Artefakte, Stereotype, die sich so gegen den Strich der innere Sehnsucht aufbürsten, überleben nur dadurch, daß sie immer wieder im Glanz künstlicher Lichter gehypt werden.

    Wozu?

    Das frage ich mich wirklich. Ich verstehe es nämlich *wirklich* nicht … Werde es vermutlich auch nie verstehen. Und das ist auch gut so, manche Gedankengänge verschmutzen einen wie das Teer das geschliffene Steinchen an der Küste nach einer Ölpest.

    Ziemlich ratlos.

    [OT Ende]

  5. MELANCHOLIA oder DIE SCHWÜLE DER BETROFFENHEIT. Nachdem ich den Film jetzt ebenfalls gesehen habe, bin ich von der Diskussion hier ein wenig erstaunt, jedenfalls davon, daß er so berühren konnte. Ich habe soeben meine Kritik geschrieben. Weil sie für einen Kommentar hier zu lang wäre, steht sie, wohin sie auch gehört, >>>> dort.

Schreibe einen Kommentar zu Norbert W. Schlinkert Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.