29 Gedanken zu „Marina Abramović

  1. “Eine Welle” (Auszug) ”
    Eine Idee genügt, ein Leben zu organisieren und es
    in ungewöhnliche, aber lebensfähige Formen zu projizieren, aber mehrere
    Ideen
    führen hinein in den Morast ihrer eigenen guten Vorsätze.
    Stell dir vor, wie viele der Durchschnittsmensch im Laufe eines Tages hat,
    oder einer Nacht,
    so daß sie ein Lichtprospekt für immer wiederholte Gesten
    werden, ohne eigenes Leben, sondern nur das Echo
    des Argwohns ihres Besitzers. Es macht Spaß, alles anzukratzen
    und vielleicht etwas ausfindig zu machen.”

    aus: John Ahbery, Eine Welle. Gedichte (1979-1987), 1988 München Wien, Carl Hanser Verlag
    übersetzt von Joachim Sartorius

    • Für mich hört sich das so an, als sei die Rede davon, imgrunde immer wieder aus der selben Idee ein jeweils neues Werk zu schaffen oder zu schöpfen, so daß die “Idee” dann so etwas wie ein Lebensthema ist. Sicher fällt jedermann und jederfrau mindestens ein Künstler ein, der das Glück hat, nicht anders zu können als sich an seinem Thema, oft ja ein Trauma, abzuarbeiten. Alle anderen müssen viele Ideen haben, damit am Ende vielleicht eine übrigbleibt.

    • Lebensthema Diesen Begriff finde ich schon gar nicht so schlecht und deutet auch schon darauf hin, warum das Zitat so ein Unsinn ist: Wir als Betrachter streben diese Vereinheitlichung an, schnurren das ganze disparate Leben und Tun einer Person in diese eine Idee zusammen.. und dann wundern wir uns, dass es nur eine ist?

      [Aber dieselbe “Idee” habe ich schon über die Philosophen ausgesprochen gehört und selbst auch verbreitet, obwohl es genauso Schmarrn ist – und erst die Wissenschaftler, wenn das mal keine “one-trick-pony”s sind. Eine Idee, die dann auf alles durchdekliniert wird… Nene, ist das Unsinn. – Genauso wie die Etiketten, die dann an den Ideen, Modellen, Theorien kleben. Mein Professor sagt mittlerweile: Wenn ein Modell nach jemandem benannt ist, dann kann man sicher sein, dass derjenige es nicht entdeckt oder erfunden hat.]

    • sowieso … @all … diese frage stellte ich mir auch, sowieso.

      wenn sie gestatten, phy poste ich noch meinen senf, sonst verschwindet der bei mir in einer ablage, weil ich das alleine nicht behandeln kann –

      ich seh das ja so –

      der ideenverliebte mensch sollte aufpassen, dass er sich nicht im ideen-generieren verliert und dabei womöglich keiner der vielleicht an ein purzeln geratenden könnenden ideen womöglich einen ihr “gemässen” spielraum öffnet.
      eine idee kommt vor derer ausführung und kann innerhalb ihres ausführens weitere ideen öffnen.

      die idee eines individuellen lebenssystems bedeutet für mich die idee einer vollkommenheit.
      sie kann nur die jeweilige selbstvervollkommnung bedeuten.

      die selbstvervollkommnung des arbeitenden will vielleicht im werk aufgehen.
      der mensch besteht aber nicht nur aus arbeit oder aber alles wird zur arbeit, verfolgt man die “idee des lebens”, – auch die arbeit an sich selbst hin zu dieser individuell geschlossenen, dem vorauslaufenden idee von sich selbst – bei aller daraus resultierenden interessiertheit an anderem.

      für mich kann es eine solche idee nicht geben, es sei denn sie überprüft sich ( z.b. ) permanent an anderen ideen und kristallisiert sich allmählich als selbstenwurf heraus.

      für mich ist das zitat eine so gut wie blanke absage an alle die bislang kunst machten, insofern ich “idee” aus meinem sprachgebrauch heraus benutze.

    • @Rhizzy Sich dem Prozess des Ideen-generierens hinzugeben ist riskant, weil einzelne Ideen vor lauter brainstorming nicht mehr zur Reife gelangen?
      Ein Mensch mit individuellen Ausprägungen verkörpert für Sie Vollkommenheit?
      Ein Künstler, der in seinem Werk aufgeht, dem das ganze Leben zur Arbeit wird, vernachlässigt, ja … was? Die Anderen?
      Vollkommenheit kann es nicht geben, sofern sie sich nicht unablässig überprüft am … außen?
      Alle, die bislang Kunst machten, sind unvollkommen?

      – Ich werd’ nicht schlau aus Ihrem Text. Vielleicht versuch’ ich’s nachher noch mal. Oder jemand, der dem abstrahierenden Denken mehr zugetan ist als ich.

    • ?1 – ja finde ich …
      ?2 – klar – ich wertschätze jeden einzelnen menschen als ein komplettes individuelles system, schon den säugling ( als das ersteinmal so ziemlich völlig geöffnete system mit dementsprechendem interesse an erfahrung … ) – später sich mehr und mehr gemäss eigener interessenskonfigurationen – läufts gut – ausdefinierend.
      eine einzige idee an sich selbst zu haben bedeutet für mich – das eigene individuelle system zu vervollkommnen, sprich diese eine idee lässt dann keine weiteren ideen hinsichtlich meines kompletten individuellen systems ich zu – was allerdings nicht unbedingt nach aussen hin in einer puren interesselosigkeit führen muss, insofern diese einzige idee von mir selbst ein interesse-haben( & wollen ) an der umwelt impliziert.
      ?3 – vielleicht, von individuellem system zu individuellem system unterschiedlich.
      ?4 – an ideen im ausserhalb, aber auch an einer ideenfortsetzung.

      die frage ist ja, wann ich wirklich eine einzige idee zur zentralen idee meines lebens machen kann und da muss ich den selbstentwurf hinsichtlich meines individuellen systems involvieren, weil ich mit “idee” eben etwas vielleicht “pixeliges” verbinde.

      ( ich hätte im ersten kommentar bedeutete anstatt “bedeutet” schreiben müssen und naja hab vielleicht in diesem auch patzer drin – sorry – hoffentlich nicht )

  2. Wie viele Zitate wirkt natürlich auch dieses wie eine mutwilige Zuspitzung. Ich denke aber, wie Schlinkert, es handelt sich weniger um Ideen als um Lebensthemen. Und – auch das natürlich Mutmaßung – ich denke, Grundthemen gibt’s eh nur eine Handvoll, und davon, innigst ausgebaut, reichen tatsächlich ein- oder zwei für eine lebenslange künsterische Auseinandersetzung. Wofür Frau Abramović ja auch selbst ein Beispiel ist.

  3. Im übrigen… … gibt es da diesen Nachsatz: please be careful with them. Da kann entweder zynisch gemeint sein – was ich bei dieser Künstlerin aber nicht vermute – oder es ist ihre Art, die Idee als Idee zu überhöhen. So, als sei das meiste, was einem als Künstler:in einfällt, eben des Begriffs “Idee” gar nicht würdig, und man müsse sieben und unterscheiden können, und vor allem entscheiden, was davon wirklich eine wirklich intensive Auseinandersetzung wert ist. Und nur das sei dann eine “gute” Idee.
    Mal so grob überlegt.

    • Vielleicht sollte man eher mit den Künstlern ein wenig vorsichtiger und rücksichtsvoller umgehen! Die Ideen halten sicher mehr aus, mit denen kann oder sollte man sogar hart umgehen, und wenn eine Umsetzung nicht funktioniert, dann ist ja nur der jeweilige Versuch gescheitert, nicht die Idee. Denke ich mal so.

    • @Norbert W. Schlinkert *auflachend: Vorsichtiger und rücksichtsvoller könnte glatt von mir sein. Einverstanden! Hart in der Sache, aber soft mit den Künstlerherzen! Nicht vereinnahmen, nicht beschädigen und keine Plakate drankleben!

    • @Phyllis Genau: nach jedem Gebrauch reinigen, abschmieren und in Watte packen. Dann warten, bis wieder so harte, gnadenlose Sachen aus dem Künstler rauskommen. Dann wieder reinigen, abschmieren und in Watte packen. Und so weiter, bis endlich dann doch der wartungsfreie Künstler auf dem Markt ist. An dem wird nämlich schon gearbeitet!

  4. Es mag Künstler geben, die nur ein Lebensthema haben, bzw. sogar nur eine Idee (was aber arm wäre). Das ist legitim, völlig, und kann gute Kunstwerke ergeben. Mag sein, daß Frau Abramović zu denen gehört. Es gibt aber auch andere Künstler, vor allem solche, deren Ideen sich von ihrem eigenen Lebensthema, das sie bisweilen auch noch bearbeiten, ablösen. Zu denen gehört etwas Nabokov, zu denen gehörte ganz sicher auch Dostojewski, der mindestens drei große Themen hatte, um von den Ideen ganz zu schweigen; auch manch Bildender Künstler hat mehrere Ideen: ich nenne stellvertretend Arnulf Rainer. In der Musik wird das noch deutlicher: Die Idee e i n e s Themas mag Vivaldi gehabt haben, nicht aber Haydn, nicht Mozart, vor allem nicht Bach. Hier werden Ideen zu musikalischen Themen; wären diese immer nur variiert, würde man auch gattungstypisch von “Variationen über” sprechen. Auch die Lebensthemen-als-Kunstthemen Verdis sind völlig verschieden: von seinen Anfängen um “Attila” herum, von seinem Lebensthema Eifersucht bis in den späten “Otello” bis zu den politischen Themen etwa Boccanegras. Thomas Pynchons Themen mag man von “V.” über “Gravity’s Rainbow” bis zu “Against the Day” mit einer gewissen Ähnlichkeit behaftet sehen, nicht aber mehr “Vineland” oder gar “Mason & Dixon”. Und meine eigene Idee des Kybernetischen Realismus ist ganz sicher etwas anderes als die Idee, aus der die Bamberger Elegien gekommen sind, und etwas anderes als die Ideen zu den Stadtbildern meiner Hörstücke.

    • Im Brennpunkt!? In Franz Werfels Roman “Stern der Ungeborenen”, den ich momentan mit (Obacht, Herr Sommer!) Genuß lese, taucht mir soeben eine Textstelle auf, die einen Menschen beschreibt, der siebzig von seinen neunundachtzig Jahren homerische Wörterkunde betrieben hat, die da lautet:
      “Der niedlich bewegliche Greis weckte meinen Neid, denn seine pfiffige Frische bewies mir, wie gesund es ist, sich auf ein enges Fach zu beschränken, nein, zu konzentrieren, zu sammeln. Auch Einseitigkeit, Fixe Idee, oder wie immer man’s nennt, ist die Kunst, in den Brennpunkt zu treten, während der freischweifende Universalismus deshalb so gefährlich ist, weil ein unbescheidener Geist außerhalb des Fokus bleibt.” (S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1992, gebundene Ausgabe. S.188.)

      Natürlich sehe ich das nicht so wie der Ich-Erzähler des Romans, denn den Fokus stelle ja ich selbst immer wieder neu auf Etwas ein und trete nicht in ihn, diskutabel aber ist so eine Ansicht selbstredend trotzdem. Oder etwa nicht?

    • Inzwischen kommt mir, gerade nach Ihren Beispielen, ANH, die Vorstellung der e i n e n “guten Idee” von Abramovic etwas blutarm vor. Nun wäre natürlich, ebenso wie bei unserem Gespräch über den Jelinek-Ausspruch, mit der Künstlerin zu klären, was da unter “Idee” verstanden wird. (A propos, Kienspan: hat Frau Jelinek eigentlich auf Ihre Zuschrift reagiert?)
      Die “Idee fixe” dagegen, auf die Schlinkert anspielt, hat eine andere Aura: Nicht nur als literarisches Setting a la Don Quixote, sondern auch als zwanghafter Geisteszustand, der ein Expertentum hervorbringt, das auf kuriose Weise dennoch immer am Rand bleibt: nicht “für voll” genommen wird. Man denke an diese Leute, die ein ganzes Leben lang an einem Fantasiegarten bauen, Skulpturen in selbst gegrabenen Höhlensystemen ausstellen oder ihre Häuser in schräge Parallelwelten verwandeln. Als Künstler werden die meist nicht angesehen, eher als Abgedrehte. Im besten Fall “Lebenskünstler”.

    • @Phyllis Nein, noch nicht – ich rechne aber auch nicht damit vor Ende nächster Woche. Ich werde auf jeden Fall berichten.

    • @ nws ” bewies ” –

      also da interessiert es mich sofort ob das ein privatier war. den, der permanent in monetär-prekären verhältnissen lebt und zig jahre aus der dose homer schlabbern muss, muss schon eine elementare lebensfreude aus seiner chemo-physischen substanz beschäftigt halten um ihn als greis noch quicklebendig sein-lassen zu können. oder aber diese lebendigkeit hat zähe vorlaufsphasen.
      hm – naja, zitat – und alles, was es ja geben kann …

      allerdings freischweifender universalismus – ?
      bei aller bescheidenheit, die tatsächlich spezialistentum hervorbringen muss – anders lässt sich wahrscheinlich fachliche breite gar nicht weiterdenken, oder halt mit-weiter-denken.

      heisenberg und einstein z.b. versuchten sich wohl bis an ihr lebensende an einer weltformel.
      das dürfte einem philosophischen interesse entsprechen, alles auf ein prinzip zurückführen zu wollen.
      so ein philosophisches prinzip kann aber doch nur den einzelnen ( das individuum ) meinen und das individuelle wäre dementsprechend mega-detailistisch in aller möglichen & ausgedehnten abstraktion dem mitmenschen zu beschreiben.
      wohl ganz genau anders als hinsichtlich der desiderierten physikalischen formel.

      ( abstraktion ist für mich als bewertungsgrundlage zu sehen, worauf ein individuum in all seiner lust & und wie-auch-immer-freudigkeit bequem schwimmen können dürfte ausserhalb juristischer gesetze & prozessualitäten. )

      meine derzeitige laienmeinung – sorry meiner anfänglichen emotionalen entrüstetheit.

    • p.s man wird es wohl auch etwas anders sehen können – die physik braucht erst einmal ein riesiges gebirge an theorie und praxis um darauf dann eine einzige pure formel setzen konnen zu wollen.

      naja – phorkyas war oben ja schon längst drüber – für mich irgendwie gefühlsmässig einleuchtend – weg.

    • @Rhizzy Nun, dieser homerische Greis taucht bisher nur einmal als Nebenfigur und Stichwortgeber auf. Ich denke, daß Werfel damit auch so etwas wie einen Gegenpart zum Schriftsteller hineingestellt hat, nämlich die Idealfigur des humanistisch gebildeten Gelehrten (für den es in seinem Leben sicher ein Vorbild gab), der weder die Leiden des Künstlers kennt noch dessen Zweifel am eigenen Tun und dem Sinn des Ganzen. Der Greis ist also meines Erachtens eine Kunstfigur und natürlich auch so etwas wie ein Privatier, dessen Gelehrtheit etwas sehr Beschränktes und damit Abstoßendes hat. Werfel als Schriftsteller ist ja eher dem freischweifenden Universalismus erlegen, ohne den er keinesfalls arbeiten könnte. Meiner Ansicht nach besteht also sicher kein Grund, auf einen nur einer Idee verpflichteten Menschen neidisch zu sein, selbst wenn er als Greis noch quicklebendig sein sollte.

    • Bei meinem über dieses Zitat Hinwegschreiten war auch schon etwas Mutwillen dabei…
      Wie sagt Kant noch:
      “Man gewinnt dadurch schon sehr viel, wenn man eine Menge von Untersuchungen unter die Formel einer einzigen Aufgabe bringen kann. Denn dadurch erleichtert man sich nicht allein selbst sein eigenes Geschäfte, indem man es sich genau bestimmt, sondern auch jedem anderen, der es prüfen will, das Urteil, ob wir unserem Vorhaben ein Genüge getan haben oder nicht.”
      [Auch wenn ich dem Spezialistentum so einiges abgewinnen kann – die “pfiffige Frische” des Greises hätte mich in die Flucht geschlagen, da hätte ich doch lieber mit Kant Karten gekloppt.]

      Selbst die “Weltmaschine” LHC und Phil Anderson werden wohl keine Weltformel ausspucken – das Beste finde ich immer noch W. Heitlers Fußnoten-Polemik dagegen, dass die Physiker “im Prinzip” auch die Eigenschaften und Reaktionen großer Makromoleküle berechnen könnten:
      >>”Im Prinzip” ist ein von Physikern gern gebrauchter Ausdruck, der seinen guten Sinn hat, wenn etwas prinzipiell unmöglich ist (wie z.B. die gleichzeitige Bestimmung von Ort und Geschwindigkeit in der Quantenmechanik), der aber keinen Sinn hat, wenn er im bejahenden Sinn begraucht wird: etwas sei im Prinzip möglich, was praktisch aber in keiner Weise möglich ist, und wenn auch kein Weg in Aussicht steht, der die Möglichkeit in der Tat umsetzen könnte. Jedenfalls hat eine solche Behauptung dann einen sehr vagen und hypothetischen Charakter.<<
      So ist das eben auch mit der “Weltformel”, die dann “im Prinzip” alles bestimmt.

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