Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 33

Angst, sprach gestern mit Mahmegani darüber, vor der Erwartungshaltung der anderen: Ihr ausgeliefert sein. Überforderung, meint er, ein altes Motiv. Müsse aus meiner Kindheit stammen. Meine vergeblichen Versuche, die Ehe meiner Eltern »heil« zu machen. Na, so vergeblich waren sie nicht.
Wir hörten diesen Schweizer Psychotherapeuten im Radio vor einiger Zeit – ich erzählte schon in einem älteren Beitrag davon -Josef Giger Bütler. Mahmegani hatte die Sendung aufgenommen. Bütler sprach über Depression.
Bei jedem zweiten Satz des Mannes dachte ich, er meint mich, Mahmegani ging es genauso. Der Begriff, mit dem wir beide uns sofort identifizierten: Überforderung. Da hat ein junges Gehirn zu früh schon übermäßigen Druck ausgehalten, zu viel Verantwortung übernommen.
Wer jetzt einwenden möchte, es gäbe da doch wohl noch ganz andere, härtere Fälle als uns, Traumata, Menschen, die in ihrer Kindheit weit schlimmeres erlebt haben als die entfremdete Ehe ihrer Eltern: Willkommen. Denke ich auch ständig.
Seit ich mich selbst reflektieren kann, sag’ ich mir, ich hab’ kein Recht, mich als beschädigt oder leidend wahrzunehmen. Mein Zustand, herrscht mich eine Stimme in meinem Kopf an, sei ein Kinderspiel gegen das, was andere durchmachen mussten und müssen.
»Ein Kinderspiel«: Wie unheimlich dieses Wort klingen kann, wenn man ihm nachlauscht.
Sich auf diese Weise zu relativieren ist eine Sackgasse. Wohlfeiler Trick dem eigenen Selbst gegenüber. Damit man weiter funktioniert. Einigermaßen unauffällig bleibt.
Funktionieren: Ich erinnere mich, die Geschichte liegt drei Jahre zurück, ich war mit einem englischen Galeristen befreundet. S… ist ein bekannter, im Kunstkontext mächtiger Mann, physisch sehr präsent, kräftig im Körperbau. Trägt perfekt sitzende Anzüge. (Ich gestehe, wenn mit Stil getragen lassen mich Anzüge nicht kalt)
Betritt S… einen Raum, formieren sich die Leute wie magnetische Fischchen zu ihm hin, halb gierig, halb ängstlich; ich hab’ das immer wieder beobachtet. Viele kuschen vor ihm, seine Mitarbeiter, die Kinder, nicht wenige seiner Künstler. Auf jeden Fall, der Mann war und ist Macht gewohnt. Diszipliniert. Eisern mit sich selbst. Wir waren seinerzeit in New York bei einem Künstler zu Gast, L…W…, ein offenbar langjähriger Freund; ich selbst hatte bis dato nur seine Arbeit gekannt. Charismatische Persönlichkeit, gut gealtert. Zu dritt verbrachten wir den Abend an einem offenen Kamin, redeten, sahen uns Arbeiten an, tranken Whiskey, ganz klassisch. Als wir uns verabschiedeten, sagte L…W… dicht an mein Ohr: »Take care with S., will you? He is very fragile.«
Ich nickte nur. Zurück im Appartment erzählte ich ihm von diesem Satz. Er war wie hypnotisiert. »It’s true, you know..« sagte er, auch Wochen später noch staunend, »…I am very fragile.«
Klang durchaus bizarr aus seinem Mund. Sieh’ an, dachte ich, aus einem einzelnen, wohlmeinenden Wort hat sich für diesen mächtigen Mann eine neue Fläche geformt. Als hätte ausnahmsweise mal jemand seiner inneren Ausstellung ein Podest hinzugefügt. Darauf legt er nun einen Teil von sich: jenen Geist von Erschütterbarkeit, für den er vorher keinen Namen hatte, keine Legitimation, erst das Wort des Freundes hat dafür Platz geschaffen.
Ich hatte wirklich den Eindruck, S… war von »fragile« bezaubert. Es machte ihn frei, diesen Aspekt von sich verstanden und benannt zu wissen. Mich rührte das.
Nach einigen Wochen ließ der Effekt allerdings nach. Er verlor das Interesse an seiner Verletzlichkeit und wandte sich wieder seinen Stärken zu.
»Ich brauche mindestens dreißig Prozent meiner täglichen Energieressourcen allein dafür, meine Denkwege von dieser Angst frei zu schippen. Damit ich mich normal bewegen kann. Ich hab’ eigentlich immer Angst« sage ich zu Mahmegani.
»Dafür kriegst Du das, was Du machst, verdammt gut hin« sagt er.
»Ich hab’ genug Energie zur Verfügung. Irgendwann lässt die aber vielleicht nach.«
»Dann ziehen wir aufs Land, laden die Freunde dazu und buddeln im Garten nach Kartoffeln. Mach’ Dir keine Sorgen.«

3 Gedanken zu „Das Tainted Talents Wort zum Sonntag, 33

  1. Ich kann mit dem Satz “Anderen geht es aber schlechter als Dir” nicht wirklich etwas anfangen. Empfindungen, also auch “Leiden”, andererseits aber auch Freude sind immer subjektiv wahrgenommen und damit außerhalb jeder Relativierung. Ich halte es übrigens eher für häufiger, daß die Gesellschaft diese Relativierung postuliert und das eigene Ego / Bewußtsein sich dem – zwangsläufig – mittels einer Art der Konditionierung anpaßt. Allerdings kann diese Eigensicht auch eigene, vielleicht sehr kreative Bewältigungsmechanismen mit einer gesellschaftskonformen Begrifflichkeit benennen.

    • @tinius Ich glaube auch, der Relativierungsimpuls kommt ursprünglich von außen. Doch irgendwann hat man ihn so perfekt ins innere Parlament integriert, dass man ihn nicht mehr als Diktat von außen wahrnimmt…

  2. Ich find mich wieder, in der Ueberforderung, oder vielliecht am meisten im mich-ihr-nicht-gewachsen zu fuehlen. Unter Uberforderuing ist nichts gut genug, kann nichts gut genug sein. Jene Stimme im Kopf habe ich auch, denn ich bin auf keine fall gut genug, um depressive zu sein.

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