Zwiegespräch vor der Lackierkammer

Wenn du nur noch zwei Minuten zu leben hättest, was würdest du der Welt sagen wollen, bevor du vergehst?
  Ich würde dich fragen, ob du das Sprechen übernimmst. Du bist die friedlichste von uns.

(Vielleicht willst du ja lieber von Hand…?)
(Ja. Danke.)
(Obwohl ich dir extra den Ommwriter runtergeladen habe?)
(Den bitte nicht.)
(Ok, morgen kriegst du ein Blatt. Jetzt bin ich zu … )
(Schon gut. Morgen dann.)

Warum lässt du dich nicht mehr blicken, seitdem wir zurück sind?
Du bist ja nicht ansprechbar.
Och..
Erinnerst du dich an diese Zeichnung von F.K.Waechter? Sie heisst „Ich liebe dich, ich wisch dich ab“.
Jaa… ein nacktes Paar. Der Satz steht xmal unter der Zeichnung. Was hat das mit dir zu tun?
Nichts. Muss es denn etwas mit mir zu tun haben?
Nicht unbedingt.

Du hast eigentlich gute Instinkte, doch dann kommt dir der Lackierraum in die Quere.
Der Lackierraum?
Du denkst an ihn: wie es später aussehen sollte.
“Es?”
Alles. Was du schreibst.
Ich kann nicht wie ein Kind schreiben.
Ich aber.

Sag’ noch was über Rituale, bitte.
Vermeide Helligkeit. Also, wenn du mit mir sprechen willst. Du hast das immer zwischendurch gewusst und wieder vergessen. Gib mir die erste Stunde des Tages, um sechs, wenn es noch dunkel ist. Sieben, meinetwegen, weil du immer erst so spät einschläfst.
Ok.
Mach’ eine Kerze an, nimm dir ein Blatt, stell etwas Heisses zum Trinken neben dich, vergiss deine Ideen, dann klopf’ bei mir an. Lass mich am Beginn jeden Tages fünfhundert Worte für dich schreiben.

(Ich bin diejenige, die …)
( – Was?)
(Hör’ auf zu drängen!)
(Entschuldige.)

Ich bin, die keinen Schliff braucht,
keine Lackierkammer,
keine Schutzmaske,

(Lass mich einstimmen, bitte!)
(Also gut)

Ohne Leib spreche ich
Ohne Beil spreche ich
Ohne Neid spreche ich
Ohne Heil spreche ich

(Das reicht, lass mich wieder alleine!)
(Ok)

Sag es!
Was denn
Sag’ den einen Satz, auf den es ankommt!
Ich weiß ihn nicht

15 Gedanken zu „Zwiegespräch vor der Lackierkammer

    • Ein Antwortversuch. Manche Ihrer Texte, liebe Phyllis, sind ziemlich schwere Brocken. Sinngemäß bemerkte ich das vor längerer Zeit schon mal an anderer Stelle. Nicht der Text lastet, sondern die innere, vielleicht unentschlüsselte Antwort in der Leser:in. Ihre Texte erzeugen manch’ heftige Resonanz, die gelegentlich den Weg zum Klangkörper der Sprache verweigert. Nach außen hin wirkt das dann wie Sprachlosigkeit (ist es im Grunde ja auch).

      Mit Ihren Texten in Beziehung zu treten ist manchmal – für mich zumindest, ich spreche ausdrücklich nicht als Teil für’s Ganze – mit dem Risiko verbunden, auf unerwartete, vielleicht sogar unerwünschte, im Sinne von verdrängte Innenbewegungen zu stoßen. Sich damit, den Innenbewegungen nämlich, auseinanderzusetzen, kann schon mal von Ihrem Text wegführen – hin, allerdings, zu einer Konfrontation mit eigenen Daseinsbestandteilen.

      Wenn also unter Texten von solcher Brisanz, dazu zähle ich eben den oben stehenden, sich keine Kommentare versammeln, dann deute ich das als Zeichen für intensives Beschäftigtsein Ihrer Leser:innenschaft. Denn mittlerweile habe ich zur Gewissheit gefunden, dass Ihre Kommentator:innen Ihre Texte sehr innig aufnehmen.

      Allein, das Format “TT” bietet meiner Wahrnehmung nach noch keine Routine im Aufnehmen von Resonanzen, wie ich sie vorhin beschrieb. Einige Texte entfalten eine ausgeprägt meditative Sogwirkung, senden kräftige Impulse aus zur Selbstreflexion. Ist Leser:in geneigt, das fassbare Ergebnis, eine Form höchstpersönlicher Intimität also, im öffentlichen Raum (das ist TT zweifellos) fremden Blicken auszusetzen?
      Mir fallen auf Anhieb jedoch weitere mögliche [Kommentar]Hemmungen ein, die ich unter den Begriff “Verbildung” (aufzufassen als Verbauung) subsumieren würde. Eine davon, beispielhaft angeführt, wäre der Selbstanspruch, “auf gleicher Ebene hinzuzutreten”.

      Soweit mein spontaner [Meta]Kommentar…

    • *Lächelnd zu Kombina* Ich danke Ihnen für Ihre Überlegungen! Die Problematik, wie sich auf Innen-Texte (ich nenn’ sie jetzt einmal so) öffentlich reagieren lässt, ist mir bewusst. Ich selbst hab’ ja auch immer Scheu, bei anderen zu kommentieren. Bloße Zustimmung oder Ablehnung ist mir zu simpel, für eingehendere Reaktionen brauche ich aber so viel Zeit, dass ich fast immer davor zurückschrecke. Nicht nur, weil ich sie nicht habe, sondern auch, weil ich außerhalb meines eigenen Reviers, also TT, eigentlich ziemlich zurückhaltend bin.

      Den obenstehenden Text fand ich aber inhaltlich gar nicht so einen Klopper. Ich habe nur mal ausprobiert, wie das dialogische Selbst sich sprachlich entwickeln könnte, wie fragmentarisch, stockend, abgerissen es werden dürfte, ohne unverständlich zu werden. Das Interessante an diesem “Format”, am Zwiegespräch mit sich selbst, ist für mich, dass der Text nicht “vollständig” sein muss. Die beiden Stimmen, die da miteinander im Gespräch sind, müssen sich nichts chronologisch erzählen; sie wissen ja bereits alles voneinander. Also geht’s mehr um das Prozesshafte, um eine Art Rhythmus innerhalb des Dialogs, um mein Vergnügen an Lücken und Auslassungen…
      Ich bin da noch am Anfang. Aber Experimentieren ist großartig.

    • Obwohl oft eine reundin schlicht anmutender sätze, fällt es mir hier nicht ganz leicht mich auf ein: So ist es! zu beschränken. Aber alles andere wäre albern …

      Wohl der, die solche Leserinnen hat 😉

      Grüße!

      J.

    • @Phyllis Der Klopper wuchtet sich gleich im ersten Satz heran (“…zwei Minuten zu leben…”). Für Menschen, deren entsprechende Saiten gerade zum Bersten gespannt sind, entwickeln sich, nach Lektüre Ihres Textes, folglich innere Dialoge, deren Bedeutungsschwangerschaft mit der insgeheim empfundenen Unbeflecktheit des eigenen Lebens durchaus in wütendem Gegensatz stehen können. Da sind keine Flecken. Wo aber welche sein sollten. Gelänge in den letzten beiden Lebensminuten der eine Farbtupfer? Als Botschaft, sozusagen. Doch wozu überhaupt?

      Ich weiß schon, die meisten von uns leben in der Gewissheit, Botschaft zu sein, an erster Stelle innerhalb der eigenen Familie. Für die meisten von uns ist mühelos nachvollziehbar, in welchen Kontext die Metaphern des gezeigten Dialoges zu setzen sind. Die Lackierkammer zum Beispiel: unverzichtbare Grundausstattung zeitgenössisch erfolgreichen Seins.

      Mich interessiert indes der Vorgang des “reverse reading” – damit meine ich das Zurücksuchen im Text nach verborgenen Aussagen; Lesen gegen den Strich, gewissermaßen. Wenn mir das gelingt, das tut es manchmal tatsächlich, trete ich aus der Lackierkammer heraus vor den Spiegel und fordere von mir: “Der Lack muss ab.”

      Zeit, liebe Phyllis, nehmen solche Kommentare ungeheurlich viel in Anspruch, da haben Sie Recht. Das ist auch der Grund dafür, weshalb ich mich mit meinen Einlassungen im wesentlichen auf TT beschränke[n muss]. Ich bedaure das, habe aber endlich meinen “modus vivendi” mit diesem Umstand gefunden.

      @Jutta Reichelt
      Erkenne ich im “albern” eine “Selbsthemmung”?
      Wär’ ein Verlust, meine ich, wenn’s zuträfe.
      (Obacht, Sie könnten in ein zähes Gespräch verwickelt werden! ; )

    • @kombina jetzt muss ich mich erstmal von dem Schreck erholen, dass mein gerade geschriebener Beitrag verloren ist – weil ich die verzerrten Zeichen falsch gedeutet habe …

      Daher nun die Kurzversion: Für Selbsthemmungen bin ich durchaus zu gewinnen, aber hier war es wirklich so: Ich las und dachte: So ist es! Und dann: Aber eigentlich ist es blöd, zum Thema, warum finden sich so wenige Worte eine, nur drei zu schreiben.

      Nachgedacht – aber dann befunden: alles aufgesetzt, also albern – in einem ernsthaften Sinn …

      Jetzt aber, gelockt mit der Aussicht auf ein “zähes Gespräch”, will ich nicht verhehlen, dass das Thema einen Aspekt hat, der mich schon länger, und unabhängig von Phyllis Texten, beschäftigt.

      Könnte es sein, dass in manchen Texten die Leerstellen so groß, so umfangreich sind, dass sie “eigentlich” nicht funktionieren könnten, wenn, ja wenn die, die Leerstellen umgebenden, Zeichen nicht so sehr geeignet wären, Eigenes in Gang, in Bewegung zu setzen? So dass wir als Lesende weit mehr als es sonst ja (sowieso immer) der Fall ist, den “eigenen” Text sehen, lesen – und uns daher scheuen, den “fremden”, aber ursprünglichen Text zu kommentieren?

    • @Jutta Da machen Sie ein ganz großes Fass auf mit Ihren Fragen. Das sind blinkende Köder, gelt? (ich umschwimm’ sie mal vorsichtig, wenn Sie gestatten – hab’ schließlich Ihre “Randnotizen” gelesen… ; )

      Nein, Spaß beiseite. Für den Moment will ich Ihre Fragen ergänzen um jene, die mir auf Anhieb eingefallen sind.

      Ist es sinnvoll, über die “Eigen”-Funktion eines Textes zu spekulieren, über dessen Entstehungsgeschichte wir nichts wissen können? Könnte es sein, dass wir einen Text nicht isoliert als solchen zu lesen imstande sind, sobald wir andere Texte des/der Autor:in kennen? Machte es für die Textwirkung einen Unterschied, ob wir Leser:innen uns selbst als vollständige und abgeschlossene oder als lückenhafte und strebende Wesen begreifen?

      Ich behaupte – und knüpfe damit indirekt auch an Ihre jüngste Randnotiz zum “Autobiografischen” an – verwegen, dass ausnahmslos jeder literarische Text “eigentlich”, also für sich, funktioniert, und zwar durch den Schreibprozess selbst. Ob sich das für die Leser:in erhellen kann, wäre im Kontext des subjektiven Anspruchs der Leser:in zu untersuchen. Dem Text könnt’s doch egal sein, vermute ich keck (der Autor:in möglicherweise weniger), denn er hat das Seinige bereits getan.

      Wenn ein Text nicht “funktioniert”, suche ich gewöhnlich nach objektiven Anhaltspunkten, wie zum Beispiel nach logischen Widersprüchen oder faktischen Fehlern. Meist allerdings komme ich zum Eingeständnis, dass ich den Text schlicht (noch!) nicht verstehe. Das ist keine Niederlage, die ich zu verzeichnen hätte, sondern ein Akt der Demut (vor der Autor:in).

      Nichts kann mich aber daran hindern, die Leerstellen – Platzhalter in meinem speziellen Sinne – zu füllen mit forschenden Denkbewegungen, deren Richtung mir ein Text bereits vermittelt hat. Wenn ich darüber in einem Kommentar zum ursprünglichen Text berichte, gebe ich doch etwas über die Wirkung des Textes bekannt. Und damit etwas über den Text selbst. (ist das nicht eine hübsche Paradoxie: ‘dysfunktionaler’ Text löst Erkenntnisgewinn aus, den es ohne Dysfunktionalität so nicht gegeben hätte? Hm… )

      Von anderer Seite herangehend nehme ich in der Scheu, “fremden” Text zu kommentieren, ein Missverständnis wahr. Ich will versuchen, das Missverständnis erzählend fassbar zu machen:

      Da lese ich nun einen bewegenden Text mit großen Leerstellen. Diese Leerstellen überbrücke ich, indem ich meinen eigenen (autobiografischen?) Text hinein lese – was mir auch bewusst ist. Ich meine also, mit meiner Einlassung nicht den ursprünglichen Text zu kommentieren, sondern “lediglich” meine eigene Fassung davon. Ich erkenne den gelesenen, ursprünglichen Text gleichsam als Spiegel, in welchem ich mich selbst wahrnehme. Was könnte daran interessant sein und: was hat das mit dem Ursprungstext zu tun?

      Der Spiegel nun ist das Missverständnis. Ein bewegender Text verhält sich wie ein zu öffnendes Tor. Mit seinen Leerstellen gibt er mir Raum, mich zu entfalten. Ich kann durch ihn “eine andere” werden, wenn ich mich denn auf den Text vorbehaltlos einlasse und den freien Raum mit meinen Fragen fülle. Die Antworten stehen auf keinem Spiegel ablesbar. Die kommen aus einer anderen Welt, die noch nicht “ist”.

      Das genau meinte ich in einem weiter oben stehenden Kommentar mit der “höchstpersönlichen Intimität”.

      Soweit mal für’s Erste – bin rechtschaffen müde…

    • @kombina Kein Fass ist so groß, dass sich nicht noch ein größeres fände 😉

      Wenn ich mir nun (nach langem nachdenkenden Fahrradfahren) fürs Erste einen Punkt heraussuche, an dem ich widersprechen kann, dann nur, weil ich kein besonders meinungsfreudiger Mensch bin und mir nicht sicher, wie oft sich die Gelegenheit noch bieten wird:

      Nein, ich glaube nicht, dass jeder literarische Text “eigentlich” funktioniert – es sei denn Sie verlagern die Kriterien fürs Funktionieren in das Attribut “literarisch” – aber das wäre dann ja doch ein Taschenspielertrick …

      Was ich auch glaube, dass jeder Text funktionieren könnte oder es gewissermaßen “im Kopf”, oder wo wir die Vorstellung des Textes verorten wollen, auch tut – aber da ist es eben noch die Vorstellung und es ist vieles auch noch nicht sprachlich geformt.

      Und ich erlebe oft (gelegentlich auch bei mir selbst) dass AutorInnen nicht glauben können/wollen, dass der von ihnen selbst geschriebene Text es an Klarheit, an Stringenz, an Spannung, woran auch immer – ganz offenbar (noch) fehlen lässt. Wir lesen, wenn wir schreiben eben immer mit, was wir uns vorstellen und bemerken nicht immer, dass das aber gar nicht auf dem Papier gelandet ist.

      Und ich würde – wenn ich nun schon mal in der Stimmung zum Aus-dem-Fenster-Lehnen bin – deswegen auch noch weitergehen wollen, hinsichtlich der Frage, was es bedeutet, dass ein Text erst “im Kopf entsteht”. Es gibt bei Ihnen ja noch die Unterscheidung zwischen dem “ursprünglichen” Text und dem, der “autobiografisch” ausgefüllt ist.

      Ich stelle mir eher vor, dass das Verhältnis von Text/Zeichen zu Text/Kopf so ist, wie das von Rezept zu gekochtem Gericht. (Mein Wunsch, erklärende Vergleiche zu finden, wird mich nochmal in ernsthafte Schwierigkeiten bringen 😉
      Dann wäre der nicht funktionierende Text derjenige, bei dem tatsächlich eine Zutat oder ein Arbeitsschritt vergessen wurde …

    • @Jutta Wenn wir von literarischen Texten sprechen, glaube ich, dass Aspekte wie Stringenz oder Spannung sekundär sind. Das “Funktionieren” eines literarischen Textes hängt meiner Ansicht nach nicht davon ab, wie “gut” er ist: gehen wir doch einfach davon aus, dass nur ein (zunächst einmal handwerklich) gelungener Text als literarisch bezeichnet werden kann. Wenn ich einen solchen vor mir habe, vermischen sich bei mir zwei Zutaten: meine emotionale Verfassung und mein Rezeptionswille. Anders gesagt: Es vermischt sich, was ich in diesem Moment emotional und intellektuell brauche mit dem, was der Text an Konzentration, Neugier und Vorwissen von mir braucht, um angemessen rezipiert werden zu können. Wenn diese “Rezeptur” unvollständig oder gegenläufig ist, hat der Text keine Chance, seine Wirkung zu entfalten, egal, wie “gut” er ist…

    • @phyllis Das ist eine wunderbare Beschreibung für das, was zusammenkommen muss, damit ein Text im Kopf entstehen kann!

      Über anderes muss ich nachdenken: Ist es nur ein Unterschied in der Definition (und dann kaum der Rede wert), wenn es für mich handwerklich gelungene Texte gibt, die nicht literarisch sind und literarische, die nicht handwerklich gelungen sind? Ganz offenbar unterschiedlich verwenden wir “funktionieren” – für mich bedeutet es, dass ein Text gerade mal so die für ihn geltenden Ansprüche erfüllt. Wie man von einem Auto sagen kann, dass es (immerhin) fährt, ohne etwas über die Geschwindigkeit, das Aussehen usw. gesagt zu haben.

      Schöne Grüße und herzlichen Dank Euch beiden – im Austausch klärt sich manches vielleicht doch leichter 😉

  1. angezettelte introspektion oder das weiße rauschen war gestern aus der fläche
    in die perspektiven
    ins räumliche
    wachstum gedüngt
    reibung geschenkt
    türen & truhen
    zeitzünder medial umkreist
    und ein paar radieschen

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