Gestern kam eines meiner Freundin Liyu aus Paris: Bei ihrem letzten Aufenthalt in China hat sie einen Namensstempel für mich anfertigen lassen, mit dem ich meine Zeichnungen signieren kann. Ich werd’ ihn als Schutzzauber vor grauen Winterfassaden und wunden Herzwänden einsetzen.
Die letzten Monate, mes amis, waren hart. Meine eigene Druckkammer installierte sich mit der unerwarteten Kündigung meines Ateliers, als ich im vergangenen Sommer aus Paris zurückkehrte. Der Druck stieg bei hoher Seminardichte, ohne dass ich’s recht aufhalten konnte, in den Herbst hinein und fand dann üppig Nahrung in einem Herzschmerz. In den ich mich seitdem verbissen habe. (Leider geht es ihm immer noch blendend; vielleicht hab’ ich meine Zähne an der falschen Stelle in ihn geschlagen.)
Die Crux ist, ich erlaube mir in meiner Seminararbeit keinen schwachen Einsatz. Käme mir mies vor. Was zur Folge hat, dass ich für meine Leute reiche, leckere Situationen schaffe, so räudig mein Gemüt sich auch anfühlen mag. Anders geht es nicht, finde ich. Nur, danach falle ich durch die Wohnungstür und innerhalb weniger Stunden fällt mir alles Leuchten aus dem Gesicht. Manchmal sind’s nur Minuten. (Einige von Ihnen kennen das sicher aus eigener Erfahrung.)
Verdammt unheimlich jedenfalls. Mein Körper wendet sich gegen mich, ebenso die Klamotten, ich reiß’ sie mir vom Leibe, die Haut dreht durch und die Augenlider puffen sich so auf, dass ich abends nur noch durch Schlitze gucke. Tja. Madame hat Neurodermitis, die ist erfinderisch und hat einen langen Atem.
Aber meiner ist länger. Keine Angst, ich lebe schon eine Weile so und weiß, wie ich sie besänftigen kann. Ich schreibe Ihnen das auch nur, damit Sie verstehen, warum hier so wenig Text entstanden ist in letzter Zeit. Mir fehlt einfach Kraft. Unter glücklicheren Umständen erzeugt mein Gehirn Überschüsse, die zu Sätzen und Texten werden, momentan aber nicht: Ich hab’ genau so viel Energie, wie meine Seminararbeit braucht. Dann laufe ich noch meine zehn Kilometer täglich und das wars.
Wie weiter?
Keine Ahnung. Im Februar beginnt ein Langzeitprojekt mit einer neuen Kulturstiftung mit vier Terminen pro Monat. Das ist wunderbar und wird mir erlauben, einige der sporadisch übers Jahr hereinflatternden Seminaranfragen abzulehnen. Mehr Planungssicherheit also. Inzwischen arbeite ich stetig für vier Stiftungen, drei Museen und eine städtische Einrichtung. Neu hinzugekommen sind die Schreibworkshops, die ich in eigener Regie anbiete. Der nächste ist übrigens am 21./22. Februar – ich werd’ das rechtzeitig hier annoncieren. Vielleicht sind Sie ja diesmal dabei?
Diese Seite meines Lebens läuft rund. Nun will ich auch die andere Phyllis wieder auf die Beine bringen. Muss dringend ein neues Atelier hier in Frankfurt finden, das nicht viel kosten darf. (Sie ahnen, wie schwer das ist, sonst wär’s längst geschehen)
– Und das wunde Herz? Wird mit jeder Zeichnung einen Tick leichter. Gut, dass Liyu mir den Stempel hat machen lassen… ich glaub’ ja an Talismane.
Eine andere Freundin im Geiste, die ich noch gar nicht vis-à-vis kennen gelernt habe, der ich mich aber aus ganz eigenen Gründen verbunden fühle, schickte mir kürzlich ein Überraschungspäckchen. (Danke noch einmal, liebe E.!)
Unter anderem fand ich einen Film darin, den ich mir gestern Nacht zu Gemüte führte: “Synecdoche New York”. Charlie Kaufman, der Regisseur, hat auch “Being John Malcovich” gedreht – den Film mochte ich sofort. Den neuen auch. Wer’s schräg und komplex mag, unbedingt beide ansehen!
Ah, eben bricht die Sonne durch. Also laufen.
Ach, was ich noch erzählen wollte: Gestern im Seminar stand ich während der Vorleserunden auf und verteilte kleine Eulen, selbstklebende Sticker, wenn mir ein Text besonders gelungen schien. Die Gruppe, zweiundzwanzig Stipendiatinnen mit Migrationsgeschichte, ist eigentlich längst zu erwachsen für solche Kinkerlitzchen, doch die Frauen waren versessen auf die Eulen: Jene, die keine bekommen hatten, versuchten zu argumentieren, warum ihr Text doch eine verdient hätte. Das gab neben Begründungen von meiner Seite nicht wenige Lacher von den anderen. Irgendwann fing die Marokkanerin, die neben mir saß, ein Geschöpf von geradezu unbändigem Temperament (vier Kinder, wohlgemerkt, also keineswegs selbst ein Küken) an, meinem Feedback vorzugreifen. “EULE KOMMT!!!” rief sie übermütig in den Applaus der anderen hinein, nachdem die Lesende geendet hatte. Das gab dann noch mehr Gelächter.
Im Laufe des Tages wurde EULE KOMMT zum Synonym für einen überzeugenden Text.
Ist es nicht großartig, wenn aus einer Gruppendynamik heraus neue Code-Wörter entstehen? Vielleicht nehmen wir dieses als Titel für die öffentliche Lesung, die wir zum Abschluss des Projekts im Weltkulturen Museum machen werden.
Aber jetzt, bevor die Sonne sich wieder verzischt: raus!
Ich grüße Sie herzlich. Und wünsche Ihnen einen unbeschwerten Sonntag.
Phyllis
seufz…. Achterbahn fahren und währenddessen diesen Text lesen erscheint für mich persönlich passend.
@Kittenwishes
Ich mag Achterbahnen. Solange niemand kotzt.Hey, kitten. Ich schaff das schon. Hin- und wieder besauf ich mich, gelegentlich tu’ ich tagelang so, als gäbe es mich gar nicht, aber insgesamt bin ich nicht lebensmüde. Im Gegenteil. Und das ist alles, was zählt. Oder?
Es ist schön, daß es Sie gibt. Weniger schön der Herzschmerz und seine gesundheitlichen Folgen. Grüßen Sie Ihre Haut und richten Sie aus, sie möge lieb sein, ihre Trägerin ist es ja schließlich auch. Und Sie, liebe Phyllis, seien Sie bei sich, denn das ist unschätzbare Gesellschaft. LG tinius
Ach, Tinius, was für ein schöner Gruß. Merci.
LG Phyllis