Gewebeprobe: Scheingold

Ihr Grundbesitz besteht aus einem recht ansehnlichen Areal an der Grenze zu Murman. Die Urkunde hat sie später rahmen lassen; sie hängt im Badezimmer, was ihr allerdings nicht gut tut: Luftfeuchtigkeit, dazu das säurehaltige Papier, sie wellt sich und verblasst immer mehr, ebenso wie der beigefügte Lageplan. Mehrmals täglich, wenn sie das Bad betritt, beschließt sie, die Dokumente an eine bekömmlichere Stelle zu hängen, doch bis die Klospülung läuft, hat sie das wieder vergessen. Das geht nun schon Jahre.
Auch die Quelle ist markiert. Ihr entspringt, wen wundert’s, ein Fluss, von dem sie schon damals gewiss war, er führe Gold in seinem Bett. Deswegen überhaupt hat sie unterschrieben: sie war noch ein Kind, gerade elf geworden. (Es würde passen, jetzt zu berichten, sie sei ein stilles, verträumtes gewesen, nicht wahr, doch dem war nicht so. Vielleicht fehlte ihr die Lebhaftigkeit der beliebtesten Kinder, übersehen konnte man sie indes nicht, schon damals nicht)
Nicht einmal während der langwierigen Verhandlungen stand in Frage, dass sie kaufberechtigt sei. Man war an sie herangetreten. Im Schuppen. Aber nein, nicht, was Sie denken: es war nichts Übergriffiges an der Kontaktaufnahme, eine ganz einfache Begegnung.
Pass auf, sagten die beiden, du musst nur diese Handvoll Blätter essen, dann machen wir dir ein Angebot.
Ja, hatte sie gesagt und sich das rohe Zeugs in den Mund gesteckt.
Schlucken!
Was sie tat.
Gut, hatten die beiden gesagt. Pass auf:

Sie bezahlte in bar. Urkunde, das muss gesagt werden, bekam sie damals keine, die hat sie sich, schon ein Teenager, dann selbst gemalt.
Sie war noch nie dort; Murman ist schwer zu erreichen.

28 Gedanken zu „Gewebeprobe: Scheingold

    • erst kontaktaufnahme ohne übergriffigkeiten.
      dann das ekelhafte blätterfressen.

      “sie bezahlte in bar”

      wenn’s denn bloss ne nachtbar gewesen sein könnte, nun – im alter von 11 …

      barbusig, gar defloriert werdend, hm – wäre das der hintergrund der geschichte, versöhnt mich ( vertöchtert womöglich andere ) nicht einmal das bild auf der toilette, nun, es ist ja nicht wirklich eine geschichte mit ausgelassen-fröhlicher grundgestimmtheit.

      betrübt mich irgendwie gerade, meine oberflächlich-spontane assoziation.

    • Meine Assoziation für die Leerstelle ist leider ähnlich.

      Der eine hebt schnell den Rock, reißt das Höschen bis zu den Knien und sagt zum anderen: Jetzt fass die Mu ma an!

      (Bei uns war so etwas früher üblich)

    • @lobster Als ich das schrieb: die Dokumente hingen im Badezimmer, dachte ich, ja: Hinsehen. Vergegenwärtigen. Und gleichzeitig dabei zusehen, wie die Autorität der Geschichte ebenso langsam, aber sicher schwindet, wie das von der Feuchtigkeit sich zersetzende Papier. Dennoch ist es eine weitgehend fiktive Geschichte und sollte Sie nicht betrüben.

    • schon vorbei – ‘s war ja nur lese-situativ, mit – sich ankündigender, in düsterkeit preschender – fantasieabsenkungsdynamik, – hinein in ein ziemlich tiefes gefühl von mitleid.

      nun, texte wirken bekanntermassen eh auf rezipient:innen unterschiedlich und ich muss auch nicht meiner ersten, in diesem fall zusätzlich raschen, interpretation eines textes vertrauen.

      sie sind ja wieder einmal sanft zu mir.
      wie vorbildlich ich so etwas finde.

    • @ phyllis naja heute ein wenig vorbild für mich gewesen zu sein in diese smoothe richtung schadet mir sicherlich nicht.

      ( würde mich mal interessieren, wie verbale freakwaves + schaumbildung bei gleichzeitiger abwesendheit von lyrischen schiffen – samt blubberndem badewasser – gestaltet sein könnten so als gelegentliches stilmittel halt )

      wie sie sehen bin ich fast schon an entwicklungsversuchen.

      und ihnen zu dank verpflichtet, also :

      vielen vielen dank !

    • naja das hat mit richtertum wohl nur ziemlich entfernt etwas zu tun, manchmal möchte ich ein ganz bestimmtes gefühl halt transportiert haben und traf dahingehend womöglich die falschen entscheidungen.
      ist etwas anderes wenn ich was geraucht habe.
      dann gerate ich zunehmend in korrespondenz mit meinen – dann durchaus richterlich anmutenden – entscheidungsförderern ( momentanen über-ich-instanzen ), also da konkretisiert sich das gefühl deutlich hin zu sich personifizierenden visionen, ich würde so etwas fast schon paranoid nennen.
      ein interessantes spiel, kann man das kontrollieren, es ist dann in meinem fall meistens ziemlich kurz geschaltet.
      ( passiert auch nur wenn ich alleine bin )
      naja – ich kann dabei glücklicherweise immer nein sagen und das introspektionsexperiment dann beenden, wenn der eigentlich ja dreiste richter ( der neinsager / verneiner / korrekturfritze ) anfängt, mich zu nerven ( langweilen ).
      es geht ja meist dabei nur um denkbewegungen in richtung kunst, wozu dann eine schroff moralisierende instanz ohne echte & konstruktive vorschläge.
      naja.

    • Und schön, dass Sie’s erwähnen, terpsichore: ich hatte nämlich kurz überlegt, ob Erklärungen im Nachhinein den ursprünglichen Text nicht schwächen würden.
      “Nichts erklären, nichts entschuldigen” propagierte mein Professor auf der Kunstakademie immer ; )

    • Es ist traurig, wenn man nur zu s e i n scheint, das vergaß ich. So stimmt´s aber nicht. Denn was ich heute Mittag schrieb, ist klüger als ich. Das kann “ich” sogar lesend erkennen. Mag es Tage geben, an denen der Schein das “ich” strahlen lässt und andere (wie heute), an denen “es” spürt, wie das Schein-Bare ihm das Leben abgräbt. Was mein “Ich” ist, das betrinkt sich dann. Melancholie will begossen und gepflegt sein. (Auf meiner Toilette hängt keine Landkarte, aber auch die Beschreibung eines “Besitzes”: “Der Garten der Lüste”. Ich bin nicht daheim, gerade. Vielleicht falle ich deshalb so tief. Gold schürfen. Möglicherweise. Schein-Gold-Gräberin).

    • Melancholie. Das Wort lässt mich immer an Absinth denken. Und an Horizonte, auf die man blickt und vergisst, dass man selbst auch einer ist. Für jene, die von der anderen Seite der Erde schauen.
      Ich erhebe mein Glas auf Sie (nein, kein Absinth), Schein-Gold, Gräberin.

    • Melancholie kann man auch genießen. Der Schein von Tragik… in einem undramatischen Leben. Man muss aber wieder auftauchen. Den Weg haben Sie ja heute gezeigt: körperliche Ertüchtigung (wie Gedankenübertragung :-). Und ich habe alles gegeben: D a s (was immer noch am meisten hilft, körperlich ;-)) und Yoga und Bergwandern und Schwimmen. Weniger Alkohol am Abend. Ein Wettkampf. Schon ist sie verflogen. Bis zum nächsten Mal. (Absinth ist …- für mich – Todessehnsucht. Ganz, ganz selten.)

      Die Zeichnung gefällt mir sehr.

  1. @19:40 Dazu stünde einiges zur Erwähnung bereit, zu den Vergleichen ganz besonders. Doch halte ich es für angebracht, Ihren un-scheinbaren Gedankenpinselzügen nicht zu folgen.
    Sie sollen aber schon wissen: es exsistiert, das Erwähnenswerte.
    — geht schweigend lächelnd ab

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