TTag, Dienstag, 7. Dezember 2010. Culti Clashi.

Gestern während des ersten Tages meiner Schreibwerkstatt fand ein Mädchen, ich provoziere sie. Sie war beim warm-up teilnahmslos geblieben, ich hatte sie daraufhin ein wenig aufs Korn genommen, durchaus humorvoll, wie mir schien. Die Kleine reagierte dann auf nichts mehr, hängte die Haare übers Gesicht, nahm Schildkrötenstellung ein, nur die Beine zuckten, als wolle sie jeden Moment aufspringen und fliehen. So eine grollende Sechzehnjährige kann eine ganze Gruppe aus der Fasson bringen.
Hm.
In der Pause sprach ich mit den Kolleginnen, ließ mir von der begleitenden Pädagogin kurz skizzieren, mit wem ich’s zu tun hatte, was das Problem war.
“Die muckt” hieß es über mich, sagte die Pädagogin.
Interessant. Das Wort ist mir in diesem Zusammenhang noch nicht untergekommen.
Also was, die Kleine einzeln herausnehmen oder das Ding in der Gruppe ansprechen? Besser nicht einzeln. Besser, mich selbst exponieren, nicht das Mädchen. Also los.
– Hört mal, bevor wir weitermachen, sagte ich, es gibt da ein paar Unzufriedene in der Gruppe, die finden, ich hätte sie provoziert. Ich nenne keine Namen.
Sie sahen sich an, nicht mich. Man hatte geredet, in der Pause: Lassen wir die auflaufen.
– Haalo, wiederholte ich. Schaut mich mal ahan.
Widerwillig richteten sich die Augenpaare auf mich.
– Ich bin etwas frech manchmal, sagte ich. Ist so meine Art. Hat mit provozieren nichts zu tun; ich bin einfach unbefangen, denk’ mir da nichts böses dabei. Sagt mal, was los ist.
– Wir sind von unseren Lehrern nicht gewöhnt, dass sie frech sind, sagte ein Mädchen. Nur auf der Straße ist man so zu uns, wir hassen das.
– Verstehe, sagte ich. Aber ich bin keine Lehrerin, sondern Künstlerin, hab’ ich euch doch erzählt. Ich rede so, wie mir der Schnabel gewachsen ist, ich pass’ da nicht so auf. Wenn ich jemandem damit auf die Füße getreten bin, möchte ich mich hiermit entschuldigen, das war nicht so gemeint. Ihr sollt Spaß dabei haben, hier zu sein.
– Ich hab’ davon überhaupt nichts mitgekriegt, sagte ein anderes Mädchen.
– Ihr könnt euch jederzeit bei mir beschweren, wenn irgendwas schief läuft, sagte ich. Einverstanden? Dann bringen wir das in Ordnung. Tut mir leid, das Ganze, kommt nicht mehr vor. Will noch jemand was dazu sagen?
– Nö.
– Weitermachen?
– Ja.
Später kam das Mädchen zur Einzelbesprechung ihres Texts; ihre Beine zuckten nicht mehr. Wir sprachen lange, sie hatte sich ins Zeug gelegt, vor allem aber, sie hatte mir verziehen. Ich sah in ihr glattes, hübsches Gesicht: wie prekär es sein kann, sechzehn zu sein. Ich hatte das nach den vielen Seminaren mit Stipendiaten, die ich in letzter Zeit gehalten habe, kurz vergessen – es ist so leicht, mit Begabten zu arbeiten, unter “seinesgleichen” zu sein.
Die Kurse mit den schwierigen Schülerinnen laufen über die Stadt, nicht über eine Stiftung; ich verdiene da weit weniger. Dafür hab’ ich als Trainerin übers Jahr einen guten Querschnitt an Jugendlichen von träge bis hochbegabt; so will ich’s haben.

Heute war es übrigens genau dieses Mädchen, die gar nicht genug kriegen konnte. Und die das brennendste Gedicht schrieb.

40 Gedanken zu „TTag, Dienstag, 7. Dezember 2010. Culti Clashi.

  1. Das ist schön! Ein guter Lehrer seiner Kunst ist, wer nicht nur die Kunst beherrscht, sondern auch das Lehren.
    Ich habe früher mal viele Jahre lang Goldschmiedekurse an Jugendzentren gegeben, und hatte immer wieder die Speziellen, die Lauten, die Leisen, und auch die, die den Kurs für sich allein haben wollten, und erst mal erstaunt über ein offenes Wort von mir waren. Am Schluss haben alle gelernt, einander zu helfen, und sich gegenseitig für die schönen Dinge, die sie gearbeitet hatten, zu bewundern, und wir hatten eine Menge Spaß zusammen. Es ist eine wunderbare Gabe, anderen Menschen zu helfen an ihre Kreativität ranzukommen.
    🙂

  2. Beim Lesen Ihrer Schilderung fiel mir ein in diesem Zusammenhang
    mittlerweile ungebräuchliches Wort ein: Unterweisung.

    unter – weisen
    unter – richten

    Weisen hat viel mehr mit führen zu tun, als richten.
    Führen hat viel mehr mit verstehen zu tun, als vorgeben.

    Sie sind eine ausgezeichnete Lehrerin, Phyllis.
    Ich kann mich Momoseven nur anschließen: Es ist eine wunderbare Gabe…

    • @Hans1962 Ich bin’s. Aber nur, weil ich’s nicht jeden Tag mache. Und ich möchte Ihren Überlegungen einen dritten Begriff hinzufügen: Hin – weisen.
      Viele Jugendliche werden von sich weg geführt, ich beobachte das immer wieder. Bevor sie überhaupt Zeit haben, einen Kern auszubilden, sollen sie schon Fleisch ansetzen und zur Ernte beitragen. Je ungelenker die Sprache, desto schlechter können sie sich dagegen zur Wehr setzen, deswegen macht es so viel Sinn, dieses Werkzeug in die Hand zu nehmen und zu formen.
      Ziehe meinen Hut vor allen Lehrer:innen, die das jeden Tag versuchen – wie gesagt, ich könnt’s nicht.

    • hin – führen: vorangehen, mitgehen, nachgehen, ziehen lassen…
      eine weitere Sichtweise auf den Prozess
      mit dem “hinweisen” hätte das Spiel nicht wie beabsichtigt funktioniert:
      hin – weisen
      hin – *räusper*
      ; )

    • naja, geh ich mal davon aus, dass ich es mit interessierten zu tun habe, deren interesse vielleicht gefördert sein will ( und nicht geweckt ) so verwende ich lieber die worte ‘vermitteln’, ‘beibringen’ oder ‘weitergeben’.
      das interesse dürfte die teinehmer:innen schon selbst genug führen dürfen, sag ich mal so.
      und weisen klingt immer so autoritär und so fertig ( also als ob man es mit abgeschlossenheiten zu tun hat – das ist allerdings in einer kunst, die noch nicht gemacht ist ja nicht der fall )

    • @Lobster Anhand Ihrer Überlegungen tut sich mir noch eine ganz andere Möglichkeit auf: erschließen.
      Unterrichten, unterweisen, vermitteln, beibringen, weitergeben – damit verbinde ich einen Transfer-Vorgang. Du gibst, ich nehme – Wissen um handwerkliche Fertigkeiten oder Technik, zum Beispiel.

      Im Erschließen geht es um das Auffinden der vorhandenen Kraftquellen, um deren Freilegung. Das ist es, glaube ich jetzt, was Phyllis’ Arbeit bei den Teilnehmern bewirkt. Quellen werden zum Sprudeln gebracht, individuell, nie an derselben Stelle. Das ist es, glaube ich auch, was die Erschöpfung bewirkt, sodass diese Form von Arbeit nicht routinemäßig tagtäglich erfolgreich geleistet werden kann. Vielleicht ist “Lehrerin” tatsächlich nicht der angemessene Ausdruck (zumal ja Phyllis sich selbst als Trainerin bezeichnet). “Scout” könnte eventuell passen, weil dem Training ein “Aufspüren” vorangeht. Menschen dabei unterstützen, sich selbst zu erschließen, mag als beflügelndes Motto über solchen Schreibseminaren schweben.

      Dass sich die Teilnehmer:innen mit ihrem Interesse selbst führen, wie Sie sagen, muss wohl so sein. Ansonsten wäre eine lang anhaltende Wirkung der Seminaranstrengungen (die gibt es, wie hier manchmal durchschimmert) nicht recht denkbar.

    • @lobster Nee, die sind nicht immer interessiert. Sie “marodieren” zwar nicht, wie sowieso weiter unten so schön phantasiert, aber bei manchen muss man schon ganz schön buddeln, um Interesse zu finden. Und es geht, bei den “Schwierigen”, auch nicht um Kunst, sondern um das Freilegen von Kraft.
      Schüler haben meiner Erfahrung nach auch überhaupt kein Problem mit Autorität, sie mögen das lieber als Schwammigkeit. Nur lachen sollte man können.

  3. “Die Kurse mit den schwierigen Schülerinnen laufen über die Stadt”, hihi, marodierende Schülerbanden. Hm, also, ich denke, man darf auch nicht unterschätzen, dass ein wenig Wut auf die Lehrperson kreative Energien freisetzen kann, darum mocht ich eigentlich auch immer ganz gern die bigotten Seminarmarxisten, hatte man gleich viele gute Gründe nicht für Kuba zu sein.

  4. Seinesgleichen Woher wissen Sie am ersten Tag eines Kurses, dass die von der Stadt geförderte “schwierige” Schülerin weniger begabt (als Sie) ist? War sie nicht eine von Ihresgleichen, weil sie “träge” war oder weil sie “gemuckt” hat?

    • @kruller Ich schrieb “seinesgleichen” nicht zufällig in Anführungszeichen. Und es war ich, auf die die Schülerinnen das Wort “mucken” anwendeten, nicht umgekehrt. Nein, so einen Überheblichkeitsverdacht will ich nicht auf mir sitzen lassen – das bin ich nicht. Ich schreibe immer mal wieder zu der Art und Weise, wie ich meine Kurse halte. Und glaube eigentlich nicht, dass da der Eindruck entsteht, ich würde mich über jemanden erheben. Ich liebe meine Arbeit mit jungen Leuten. Dass da aber welche talentierter oder motivierter sind als andere – hm, das lässt sich nun mal nicht leugnen. Ich war als Schülerin zum Beispiel schrecklich schlecht in Mathe. Und auch träge in diesem Fach. Meine Mathelehrerin wusste es, ich wusste es. Wir hatten einfach nicht die gleichen Interessen. Und sehen Sie, so geht’s mir eben auch mit manchen Schülern, die in meinen Kursen sitzen. Es ginge an meinem und ihrem Realitätssinn vorbei, das nicht wahrzunehmen.
      Trotzdem arbeiten wir miteinander und jede(r) macht das Beste draus. Darum geht’s.

  5. Konfrontation und Verstörung Es gehört, ich weiß das, viel Kraft dazu, die Konfrontation zu suchen, statt wegzutauchen und Widerstände zu ignorieren. Respekt! Jugendliche, deren Begabungen nicht zum Vorschein kommen (können), entwickeln oft viel destruktive Kräfte (wie Erwachsene übrigens auch), direkt oder indirekt schädigen sie dadurch am meisten sich selbst. Es ist schwer, das “umzuleiten”, besonders wenn man zusätzlich mit Macht ausgestattet ist (als “Agent des Staates”, der Zugangschancen verteilt). Der Widerstand, wie diffus er sich auch äußern mag, hat ja immer auch eine Berechtigung. Man darf da nicht einfach drüber weg gehen. Es gilt der Macht zu misstrauen, wissen diese Jugendlichen aus Erfahrung, selbst wenn sie freundlich daher kommt. Das ist die alte Dialektik der Bildung zum “selbstbestimmten Menschen”. Wie man das hinkriegen kann: jemand befähigen, selbst zu denken und für sich zu entscheiden, ohne ihn an die eigenen Normen “anzupassen” (deren Agent man, bewusst und unbewusst, immer ist). Mein (Lehr-)Prinzip ist die “Verstörung” der Lernenden und der Lehrenden (also meiner selbst). Es muss ungemütlich sein (bevor es gemütlich werden darf). Ein immer währender Kampf auch gegen meine eigene Harmoniesucht.

    • @Melusine Es ist manchmal zum Haare raufen, nur so punktuell an Entwicklungsprozessen beteiligt zu sein. Ich sehe keine Schülerin länger als eine Woche: wie viel Widerstand lässt sich da üben, von beiden Seiten? Wie viel Verstörung? Was Sie schreiben, klingt so einleuchtend. Selbstermächtigung ermöglichen, anstatt Macht auszuüben. Nur … ich habe – im Gegensatz zu Ihnen – gar keine. Macht. Ich vergebe keine Noten und verteile keine Ja’s oder Nein’s. Wenn ich das Wort Coach nicht so unangenehm fände, würde ich sagen, ich bin ein Schreibcoach. Hans hat es “Scout” genannt, aber das klingt auch noch nicht ganz so, wie es sich für mich anfühlt, das Trainieren.
      Die Schüler müssen mir vertrauen, wenn sie von mir lernen wollen. Sich entscheiden, das zu tun. Sonst schöpfen weder sie noch ich unsere Möglichkeiten aus. Um sie das sehen zu lassen, kann Konfrontation zu Anfang ganz hilfreich sein – aber für die kurze Zeit, die wir miteinander haben, ist Humor und Zutrauen besser als Kampf. Mitlachen. Heute haben sie mich ausgelacht, weil ich mein Strickjäckchen falsch herum trug. War aber Absicht : )

    • “mit macht ausgestattet” – ich war ab spätestens der neunten klasse gym schulverweigerer, mir ging der autoritäre stil an der schule auf den keks.
      der brüller war dann in der 13. als ich für schulschwänzen eine woche unterrichtsaussschluss bekam.
      also macht hatte keine(r) da über mich vom lehrer:innenensemble über die jahre.
      ich hatte zwar keine probleme mich körperlich zu behaupten aber mir ging der latente militarismus seitens der lehrerschaft vor allem auf den zeiger.
      sone wörter wie “kriegen” oder “kampf” ziehen mich immer noch runter.
      ( oder so was mit sub – so unterweisen, unterrrichten, unterdrücken und so – obwohl mir nicht ganz klar wie so ein voranmontiertes “unter” unter einbeziehung z.b. des unterredens eindeutig sein kann usw. )
      ” kampf gegen meine eigene harmoniesucht” – naja, k(r)ampf gegen das diktatorische interesse, seine eigenen normen übertragen zu wollen oder so, wa mel ?
      das spricht nicht für diese eigenen normen ( also ich hab da leider keinen persönlichen normenkanon anzubieten, aber hätte ich das, hätte ich keine skrupel, die irgendwie zu vermitteln – cool sein, vor allem, was immer das heisst, naja – ruhig bleiben können oder so wahrscheinlich )
      auf alle fälle könnte ich nicht mit schwierigen kindern arbeiten, also wenn ihr das drauf habt so habt ihr bei mir auf alle fälle nen mega ( den vollen ) respekt

    • ps. naja eine gewisse emotional-intellektuell-spirituelle macht hatten da schon ein paar leutchen über mich ( auch lehrer:innen ) – aber eben keinen einfluss auf meine leistungsbereitschaft ( naja im sport und der musik war ich gut, was solls )
      nur so zur konkretion über den machtbegriff eben.
      sorry

    • @lobster Macht ist wirklich sperrig, so als Begriff. Beim Lehren sowieso. Aber nur eine Gruppe Steine würde n i c h t versuchen, Einfluss zu nehmen auf den jeweils anderen: man bewegt sich miteinander. Es gibt strenge Lehrer, die sehr geschätzt werden, und nachgiebige, die sehr beliebt sind, und alle Varianten dazwischen. Ich glaub’, das Zauberwort ist “stimmig”. Schüler erkennen ziemlich schnell, ob jemand mit sich selbst deckungsgleich ist.

    • der so gut wie danach, volles rohr.

      musste nach dem agit teil jetzt noch sein sorry, sagt mir so was wie ne für mich wohl noch partizipierbare norm, irgendwie auf verdacht, naja, belichte den kram nicht im detail.
      sorry.

    • dual sein subversiv sein, treu sein, beleidigt sein.
      nenn’s wie du willst
      und ich bin anscheinend noch zu haben oder was?
      mach mal spacken an die pfanne, lobster, hey ?!
      und geh einen auf vertraut, konventionell, obligat und chat du noir, süsser.
      lass dich mustern und geh vorbei, gans einfach so, wie ne gans, du dumme dumme und nochmals dumme gans.
      geh!!!!!

    • Norm und Macht @Lobster Jede/r setzt Normen, ob er /sie sich das bewusst macht oder nicht. Das kann eben auch die Gegnerschaft zur “Normal-Norm” sein. Und bewusst/unbewusst beeinflusst man andere dadurch. Es ist eben auch “normativ” Anarchie zu wollen, dann wäre man ja sehr enttäuscht, wenn sich Ordnungshüter entwickeln…Und Macht: Es ist einer der größten Fehler, finde ich, wenn man sich einbildet, im herrschaftsfreien Raum zu leben. Macht haben nicht Personen (als solche können sie höchstens Autorität haben), Macht ist gekoppelt an eine Funktion. Wer eine Funktion übernimmt, ist Träger der mit ihr verbundenen Macht. Sich darüber wegzulügen und innerhalb des Systems gemütlich auf Kameradschaft und FriedeFreudeEierkuchen zu machen, halte ich für komplett verlogen. Den Widersprüchen muss sich stellen, wer im “System” bleibt. Wer das nicht will, muss rausgehen. Ich jedenfalls verachte Leute, die sich für Widerstandskämpfer halten, aber auf A14-Stellen hocken.

      @Phyllis Vertrauen herzustellen innerhalb von Systemen (also nicht in der Ausnahmesituation) ist schwierig. Ohne geht es allerdings auch nicht. Es geht, indem man sich und die eigene Situation transparent macht (und damit angreifbar). Und: indem man sich nicht anbiedert, sondern die Unterschiede verdeutlicht. Wenn ich mit “schwierigen” (d.h. auch kriminellen oder gewaltbereiten) Jugendlichen arbeite, kleide ich mich z.B. betont “damenhaft”. Ich versuche zu signalisieren: Ich bin anders als ihr, aber ich interessiere mich für Euch. Und zu zeigen: Ihr habt ´ne Vorstellung davon, wie so Leute wie ich sind, aber vielleicht bin ich ganz anders – Leute wie ich haben Vorstellungen davon, wie solche wie ihr seid, aber vielleicht seid ihr ganz anders.

    • @Melusine Witzig: auch ich kleide mich immer sehr sorgfältig, wenn ich zum Seminar fahre. Ein einfaches äußeres Mittel, um den jungen Leuten und meinem Anspruch an mich selbst Respekt zu erweisen. Umso überraschender ist es dann, wenn so eine Dame nicht starr ist, nicht ängstlich, nicht vollziehend. Ich kann mir gut vorstellen inzwischen, wie Sie wirken in Ihren beruflichen Kontexten, Melusine.
      Und bin froh, dass sich auch hier ein Gespräch entsponnen hat zu diesen Fragen, früher sprach ich darüber immer nur mit ein, zwei Kollegen, das ist zu wenig. Dann las ich gelegentlich beim Teacher und dachte, wäre gut, wenn Diskussionen zu Lehr- und Autoritätsfragestellungen auch anderswo Raum hätten, mit vielleicht anderen Vorzeichen.

    • @Norm & Macht Die Ausstrahlung natürlicher Autorität, welche von einer verständig gereiften Persönlichkeit ausgeht, ist nicht substituierbar, denke ich. Keine aus formalen Quellen/Funktionen abgeleitete Macht kann Glaubwürdigkeit, Zugänglichkeit oder gar Vertrauen bewirken. Diese Phantasien der Lernenden sind aber notwendig für die Vermittler:innen – ich vermeide bewusst den Begriff Lehrer – um in Berührungsnähe zu kommen. Am intensivsten und dauerhaftesten wird gelernt durch “Verinnerung” oder “Verankerung”, also weit über den Wissenserwerb hinausgehend. Ich wage, Melusine in diese Richtung zu verstehen, wenn sie von “Verstörung” spricht. Aufscheuchen, verwirbeln, in Bewegung bringen, Unruhe erzeugen, damit sich das neu Vermittelte im Vorgang des “Sich Setzens” homogen in das bereits Vorhandene einfügen kann. Das ist eine eigene Kunst, möchte ich meinen.
      Eine weitere Kunst ist die individuelle Berührung, das Erzeugen höchstpersönlicher Betroffenheit im Lernenden – namentlich die gefühlte Antwort auf seine unbequeme Frage: “warum gerade ich?”. Was in diesem Zustand an Neuem in den Menschen hinein gelangt, hat auch sehr hohe Überlebenschancen. Aber es wird doch um eine Nuance anders in die Persönlichkeit der Lernenden eingebaut.
      Der langen Rede kurzer Sinn: wirksame Vermittler:innen schaffen es im fruchtbaren Prozess, Lernende vergessen zu lassen, wer die Macht hat. Damit ist der Raum erfolgreich “entmilitarisiert” und bereitet für Begegnung und Erfahrung. Darum geht es doch im Grunde: Entwicklung erfahren, auf beiden Seiten des Katheders.
      (just my 2 cents, sorry für die Einmischung : )

    • @Melusine Im Widerstand erkenne ich die subjektive Notwendigkeit, ein bröseliges Selbstwertgefühl zu verteidigen. In Ihrer Arbeit mit “belasteten” jungen Menschen haben Sie eine Menge Erfahrung gesammelt und wissen, was es heißt, soziale Barrieren überwinden zu helfen – sagt mir meine Vorstellungskraft.

    • @Phyllis Jetzt kann ich auch benennen, was mich an Ihrem Text so subkutan erfasst hat: Es ist Ihre Beobachtung “…vor allem aber, sie hatte mir verziehen.” Einem Menschen für dieses Regung Raum geben, ihr Platz verschaffen, seine Verletzlichkeit anerkennen und mit der Heilung gleichzeitig für seine Stärkung sorgen – das ist groß.

    • @Hans Merci für den Ausdruck “bröseliges Selbstwertgefühl”! : ) Wie ein Teig, dem Flüssigkeit fehlt. Und Hefe. Ich kenn’ dieses Bröseln übrigens selbst ziemlich gut aus meiner Teeniezeit. Und es ist auch immer noch da, nur eben als ein altes, vertrautes Ding, das sich mit wachsender Lebenserfahrung nicht mehr so breit macht; man handelt eben trotzdem.
      Für junge Leute gibt’s keine alten Gefühle, die man liebevoll und mit einer gewissen Toleranz vor dem inneren Auge wendet, um dann weiterzumachen: alles ist ihnen akut, vieles Hindernis. Junge Leute können nicht sentimental sein, einfach deshalb, weil sie jung sind. Das macht es so spannend, mit ihnen zu arbeiten.
      Und jetzt selbstverordnete Sprechpause auch für mich, meine Augen sind erholungsbedürftig, ich glaub’, ich mach’ sie mal zu : )

    • @ mel naja, melusine, warum soll sich jemand auf a14 nicht für einen menschen des widerstands halten, leben wir in optimalen, also in nicht mehr optimierbaren verhältnissen?
      ich finde es schon höchst überdenkenswert, sich in einem system, welches eben nicht allen eine garantie auf erarbeitbares glück geben will, sich zum handlanger von eingliederungsprozessen zu machen – man verändert dabei ja nicht das system im kern sondern man betreibt unterwürfig kosmetik.
      ( hofentlich versteht keiner diesen gedanken )
      diesen widerspruch hielte ich als ein durchwegs logisch definiert sein wollender mensch nicht aus.
      wilhelm meister, so sehr ich das eben schätze, ist eben logisch nicht vermittelbar in den laufenden verhältnissen und so wird eben im bildungssektor vieles zur lüge.
      und das verstehen eben gefühlsmässig auch analphabeten, aber eben kaum politiker,
      dass das gefühl so eine grosse rolle spielt im menschlichen (selbst)wahrnehmungshaushalt “durch die bank”.
      ich lehne auch ehrenamtlichkeit ab, jede leistung sollte bezahlt sein im kapitalismus.
      ich will nicht in einem polarisierten system leben aus idealisten und materialisten.
      entweder so oder so, beides zusammen geht gegen gute gefühle.
      ansonsten kann ich einsame künstler-typen nicht mehr ab.
      und künstlergruppen mit einer betonung auf kumpelschaft – ist das nicht wenigstens äquivalent zu sportvereinen ?
      die gesellschaft braucht sich doch nicht zu wundern, wenn sie sich selbst als entsolidarisiert wahrnehmen muss jenseits von freizeitvereinsmeierei oder lobbyismen und da spielt wohl auch die individuelle kreativität jenseits von absprachen ( oder kollektiver verschaltung rein ) – nun was ist aber das www ?
      etwas unkollektives ?
      wer diese widersprüchlicheiten nicht will “muss rausgehen” – ein wenig sehr autoritär formuliert und ich weiss auch gar nicht was du damit eigentlich meinst.
      vielleicht dass ich hierzu widerspreche, vielleicht über das funktionelle eines jederzeit ja möglichen band-kollektivs, sind alle beteiligten dazu kreativ in der lage aber auch motiviert.

    • ps man will z.b. als einsamer künstler zu keiner gruppe gehören und doch schreibt man drüber – zumindest über verschränkt seiende biografien, biografische momente.
      schon der lindeste widerspruch in meinen augen.
      de fakto hat aber jeder den ich kenne seine freundschaften, oder seine feste beziehung ( partnerschaft ) – tja – wo ist da noch absolute individualität möglich ?
      der einzelne will dann womöglich auch noch formend auf seine umgebung übergreifen
      und prägen oder etwas durchsetzen – hört womöglich orchestrale werke ( durch das kollektiv eingespielt ) aber hat etwas gegen gruppenzwänge.
      hm.
      berührungsängste und profilierungssucht dafür steht für mich der einsame künstler.
      höchst langweilig.

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