Ich bin da.

Ich pass’ auf Dein Zimmer auf. Und auf sie.
Du hast gespürt, dass ich Deine bin. Und nie was verlangt. Leider. Ich könnte, zum Beispiel, die drei Pullover stopfen, an denen die Motten waren. Ich meine, massiv: mehr Loch als Pulli. Sagt sie. Sie will sie nicht mehr im Haus haben. Wegen der Larven.
Doch ich hab’ Dinge: die von Hand beschrifteten. Ein Kaviargefäß, beklebt mit einem Kreppstreifen.

„Glaubersalz“

In der coolen Handschrift, die Du hattest.
Ich hab’ exakt die gleichen Hände wie Du.
Manchmal denke ich, ob ich mich wohl endlich erinnere, wenn ich alt bin: daran, wie jung Du mal warst. Nicht wie jetzt. Hier stehen Fotos, auf denen Dein Übermut schon nach innen geklappt ist, ein gefaltetes Tempelchen. Mit Blattgold. In Deinem Blick, meine ich! Es ist alles in den Augen, das Kämpfen, das Abfinden. Kapitulation: das ist, wenn die Spitze gekappt wird.
Ich möchte Deinen Körper. Schlafe in Deinem Bett. Ich stehe in Deinem Zimmer und überlege, was ich noch mitnehmen könnte, ein Messer, eine Uhr, doch es ist der Duft in den Schreibtischschubladen, den ich will. Den kann ich nicht mitnehmen. Vielleicht ist er auch im Stuhl.
Vielleicht kann ich den Stuhl mitnehmen.
Den Klang Deiner Schritte vom Zimmer bis zum Bad.

Er trägt Deinen Bademantel, übrigens.
Du bist nicht weg, bist in meinen Händen, allen vieren. Diese kräftigen Hände mit prallen Adern. Vor einiger Zeit sagte jemand: „Sie sehen alt aus und gleichzeitig jung. Du hast existenzielle Hände. Ich möchte sie malen.“
Und ich dachte, dass sie doppelte Masse haben.

Ich will Deinen ganzen, Deinen Bisonkörper. Ich will meinen mächtigen Kopf ins Wasser kippen und hochkommen, ihn nach hinten werfen, das Prasseln der Wassertropfen auf meinem breiten Rücken spüren, als wärst Du es. Mein Doppel-Tier. Mein Zwilling.
Wie wonniglich ich Dich immer überschätzt habe. Liebe reicht, wusste ich. Selbst, als sie anfing zu trösten, mich offen auszulegen, als sei ich Nahrung. Kein anderer Mensch hat das wieder geschafft.
Wollte auch niemand.

Ich lache Dein Lachen, das, dem Du hinterherweintest, als es sich entfernt hatte. Ich bin so lüstern, wie Du es warst. Du Nimmersatt. Die Menschen wollen uns, hm?
Es braucht keinerlei Anstrengung, meinen Kopf in Deinen Brustkorb zu schieben, hinter die Rippen, und dort einzuschlafen.
Dann, wenn ich aufwache, kann ich immer weit hinaus sehen.

39 Gedanken zu „Ich bin da.

  1. Welch eine tiefe Liebeserklärung – – wenn das ein Kind sagt, das erwachsen wurde. Das ist ein Geschenk, – dessen Eigenart, und auch dessen Unrecht, es immer ist, daß man nichts für es getan hat. Man bekommt es oder nicht.

    Ich werde nachdenken müssen.

    • selten, dass ich einen text – egal vom wem – wirklich sehr gut formuliert ( fluffig und abwechslungsreich komponiert/formal-rhythmisiert ) finde.
      toller text, tolles feelin’.

    • @ Frau Phyllis. Interessant – und eben so bedenklich, was die Schattenseite des Bedenkenswerten ist – ist, daß Liebe ganz offenbar unabhängig entsteht von Abwesenheit, Anwesenheit, Verläßlichkeit, für jemanden da sein usw. Worüber ich nachdenke, ist, daß ich meinen Vater sehr geliebt habe, obwohl er zwischen meinem vierten und siebzehnten Lebensjahr überhaupt nicht da war – weder persönlich noch auch nur per Brief; es gab auch keine Geschenke, nicht eine einzige Nachricht zu den Geburtstagen. Das meine ich mit “Er war nicht da”. Dennoch, seit ich ihn, dann mit siebzehn, traf, liebte ich ihn sofort.
      Er hat nie auch nur einen Pfennig für seine Kinder bezahlt. Aber das spielt offensichtlich keine Rolle.
      Dagegen meine Mutter tat alles ökonomisch ihr Mögliche, um uns nicht nur durchzubringen, sondern uns einen guten Start zu ermöglichen. Sie hatte aber den Nachteil, ihrerseits, anders als mein Vater, sehr willensstark und karriereorientiert zu sein – ein Umstand, der, in den Fünfziger/Sechziger Jahren an Kälte grenzen mußte, wenn man geschieden mit zwei Kindern war und sich dennoch durchsetzen wollte. Man kann es s o herum sagen: sie hatte allein durch ihre Abwesenheit mehr Möglichkeiten als mein Vater, Fehler zu begehn. Und sie beging sie und hat, jedenfalls von mir, zu ihren Lebzeiten nicht ein Hundertstel so viel Gegenliebe bekommen, wie ihr vielleicht doch, wenn ich heute nachdenke, hätte zugestanden; von mir bekam sie nur Ablehnung. Ich bin also sehr froh, daß sich das, wenn auch erst kurz vor ihrem Tod, geändert hat. Dennoch ist meine Liebe zu meinem Vater bei allen Vorwürfen, die ich erhob und erhebe, geradezu ungebrochen.
      Das ist das, worüber ich nachdenke: daß man ein guter Vater – oder eine gute Mutter – sein will und ist, wie nur geht; es erkauft sich damit keine Liebe, schlimmer: es erzeugt die Liebe nicht. Sondern das sind Ursachen, die jenseits jeglichen Handelns und Wissens liegen – Gerüche vielleicht, Stimmfälle, mitunter ein Blick, ein Lidschlag, vielleicht auch ein Leiden. Ich weiß es nicht.

    • @ANH, Nachtrag Ich denke ja, Sie wollten A n wesenheit schreiben. Ihre Mutter hatte durch ihre Anwesenheit mehr Möglichkeiten als Ihr Vater, Fehler zu begehen. Die sie beging, wie alle Mütter. Und Väter. Falls man Verhalten überhaupt mit “Fehler” etikettieren möchte. Die Menschen (behauptet meine eigene Mutter) tun in jedem Moment genau das, was ihnen in eben diesem Moment möglich ist.
      Ich glaube, wirklich kalte Charaktere gibt es nicht so viele: die das Kaltsein als solches genießen. Solches Verhalten scheint mir eher wie eine Art Taubheit. Wie früh von den eigenen Eltern vernachlässigte und nach und nach abgestorbene Areale. Vielleicht bekommen manche sogar ein Kind, weil sie hoffen, solche tauben Stellen wiederzubeleben, wer weiß. Wenn dann kein Wunder geschieht und das Muttersein sich nur als neue Aufgabe den übrigen hinzugesellt – vielleicht kommt man dann nicht raus aus der Kühle. Die sich festigt, wenn das Kind nicht wahnsinnig einfühlsam ist und lernt, strategisch mit solch einer Kühle umzugehen. Tränen bewirken da ebensowenig, vermute ich, wie das unverstellte Herzeigen der kindlichen Bedürftigkeit.
      Ich spreche hier von Dingen, die ich nicht aus eigener Erfahrung kenne – ich gebe mich Vorstellungen hin.
      Noch etwas:
      Ich kann das bestätigen: Es ist nicht Handeln, mit dem man die Liebe erntet, die einem “zustünde”, wie Sie es nennen. In diesem Zusammenhang muss ich immer an die Geschichte vom verlorenenen Sohn denken. Der eine blieb beim Vater, liebte und war pflichtbewusst und fleißig, der andere ließ sich sein Erbteil auszahlen und ging weg. Und doch war er es, der, als er reumütig nach Hause zurückkehrte, das große Fest bekam und die Freudentränen des Vaters. Als sich der ältere Sohn darüber beschwerte, entgegnet dieser:
      „Du bist immer bei mir gewesen, was mein ist, ist dein. Freue dich über die Rückkehr deines Bruders, der tot war und wieder lebendig geworden ist.“
      Ich hab’ diese Geschichte als Kind gehasst. Ich fand, wenn man lieb ist, sollte man mehr kriegen, als wenn man nicht lieb ist. Aber wahrscheinlich war das ein Muster, das mir die Erwachsenen da bereits eingepflanzt hatten.

      Inzwischen gehe ich ja privat sehr gerne mit Menschen um, die mir egoistisch erscheinen. Menschen, die darauf achten, erstmal ihre eigenen Bedürfnisse zu stillen, bevor sie sich mit meinen beschäftigen. Im Ernst. Das fühlt sich am wenigsten manipulativ an und macht mich locker.
      Um’s mal locker zu formulieren.

    • ich denke schmutzige mädchen müssen nicht böse sachen machen.
      erster take.
      zweiter take : vergessungswürdig da erster take irgendwie entgleisste/ entkam/ entuferte/ entgrenzte –

    • da jener mädchen-kommentar hier noch steht ( also nicht gelöscht wurde ) muss ich hiermit und hoffentlich deutlich dies anfügen :
      der kommentar wurde meinerseits zu allem hier off topic gesetzt.
      ( der grund dieser bizarren laune entfiel mir )
      sorry.

    • @Lu Ich fand den schmutzige Mädchen – Kommentar unter gerade diesem Text ziemlich unpassend.
      Andererseits will ich mir die Welt nicht schönlöschen.
      Also hab’ ich sie stehenlassen.
      Ich bin keine verdammte Erzieherin, Lu.

    • ja gut, das kann ich allerdings nullkommanix nachvollziehen, da dieser kommentar für mich komplett o.t. war.

      echt.

      meine doofen anwandlungen … eine erneute entschuldigung.

      das wörtchen ‘toll’ war desweiteren nicht despektierlich in richtung tollhaus oder so gemeint.
      es sollte möglichst locker dastehen um ihr obiges textgefühl möglichst nicht zu tangieren ( in welchem verzerrungsgrad auch immer )

  2. Ein pulsierender Text ist das, liebe Phyllis, der herzfasrig Anschluss jenen gewährt, denen solch Erinnerungen und Empfindungen versagt blieben. Der Text ist heimliche Einladung, die Vergangenheit zu sortieren, sie gar neu zu erfinden und damit endlich zum Frieden zu finden.

    Am Herzen schläft sich’s gut, versuche ich mir innig vorzustellen. Eine schöne Meditation kann das werden.

    • @Kienspan Ich glaube, wir erfinden unsere Vergangenheiten sowieso ständig neu. Wir peppen manche Details auf, ziehen andere in den Dreck, glorifizieren die eine Episode und lassen die andere am langen Zügel vertrocknen. Erinnerung, glaube ich, ist die verräterischste Fiktion von allen: weil sie immer suggeriert, authentisch zu sein.
      Ich glaub’ das ja nicht. Ich glaub’, ohne ziemlich gewiefte Werkzeuge bewegen wir uns beim Erinnern in genau den gleichen Schleifen, die uns auch in der Gegenwart das originäre Denken so schwer machen.
      Ist aber jetzt erst einmal so grob hingeschrieben.

  3. Liebe Phyllis,
    das ist so schön geschrieben. Mit einer Art zärtlicher Gewalt; die Betonung des Körperlichen, das Aufbäumen, das Verkriechen …
    Mir fehlen ein bisschen die Worte, aber das macht ja nichts.

  4. In meinem lesenden Hirn ist das kein ‘toller Text’, es täte dem Geschriebenen unrecht. Es sind in Worte gefasste Gefühle, die vorgeordnet einen anderen Maßstab haben sollten, nämlich den des vollkommenen Annehmens einer Unbezähmbarkeit.

  5. Braincast Liebe Phyllis, der Text gefällt mir überaus gut, ausführlich wurde er ja bereits in den Kommentaren gewürdigt und interpretiert, wobei mir an gewissen Stellen eine merkwürdige Diktion und absurde Rechtschreibfehler auffallen.

    Üblicherweise entgleisen Doppel-S dort, wo die Rechtschreibreform in Bezug auf das ß eingegriffen hat. Also das ist meine Erfahrung.

  6. Aufmerksamkeit und Vergessen, @ semioticghost, schließen sich irgendwie aus, und kohlenhydratlastige Nahrungsmittel in Kombination mit totem Tier sind normalerweise suboptimal für die Gehirnleistung. Ernährungsumstellung? Tofu? Breitenwirksame Null-Diät?

  7. Lieber Synapse, auf welche Weise habe ich mich denn in meinem Kommentar mit Aufmerksamkeit und Vergessen beschaeftigt? Und warum meinen Sie sich mit meiner Ernaehrung oder TT’s Rechtschreibung befassen zu muessen? Ich habe nichts dagegen, ich bin nur uebberrascht.

    • Von Ernährungswissenschaft und Gehirnverknotungen Ausländer lieben dieses alte “daß” so sehr, daß sie es ohne Unterlaß zu benutzen wissen.
      Dabei ist/war es die größte Hilfe beim Lesen eines Textes, um die teilweise komplexe Sätze, die Deutsche Autoren zu liefern wissen, verstehen zu können.
      Was lesen denn Ausländer, wenn nicht die Philosophen (Ach, lire les philosophes dans le texte!)?
      Und da erweist sich das “daß” als wahres Leuchtturm im dichten Schaum der Wörter- und Satzgliederbrandung.

      Zurück zum Thema: In der tat haben Synapsen und Ernährung wohl was miteinander zu tun. Liefert zum Beispiel Zucker die Nahrung dafür, daß (ho! da war wieder ein “daß”, aller Neuerechtschreibungspolizei zum Trotz) es da oben gut funktioniert — aber auch alle mögliche Kofein-ähnliche Aufputschmittel übrigens auch. Alles eine Sache der Dosis.

      In so fern war das Kommentar von “Synapse” eher ein selbstreferenzierendes.
      Das tun solche Kommentatoren übrigens gerne.

      Solche?

      Ja, schauen Sie die Syntax, den Textaufbau, den Wortschatz, die Umstände, und der gleichen (nicht zu vergessen die latente oder gar offene Aggressivität), diese solche erkennt man sofort.

      Und ach ja, liebe Phyllis, stellen Sie sich nun vor, wir beide in eine Richtung dreschend, hi hi hi, was ein Gemetzel (diese letzte Zeile zur privaten Erheiterung)!

    • Ein Pracker! Köstlich!
      österr: “jemandem eine pracken”
      Aber mal ehrlich, eine dieser leichten Plastikfliegenklatschen tät’s doch im Grunde auch… ; )

    • @Kienspan Ein Hieb mit einer Plastikfliegenklatsche würde weh tun, der “Pracker” hingegen, da hat der Kollege Herbst (ob aus eigener Erfahrung?!?) schon recht, der Pracker also, der macht viel Lärm um relativ wenig. Und jetzt fragen Sie mich bloß nicht, woher ich das weiß ; )

    • Wie meinen, Frau Phyllis, Sie? Das mit meiner eigenen Erfahrung? Gilt diesbezüglich das Diskretionsgebot nicht?

      Ich werd es, doch nur, um Ihnen entgegenzukommen, ganz abstrakt mit der Bemerkung durchbrechen, daß auf einen weiblichen Popo (bitte zweites o betonen) sich Plastik nicht gehört.

    • @Phyllis Der “Hieb” ja, der “Klatscher” hingegen nicht (zumal gegen gierige Finger geführt), der erschreckte bloß. Was sind Sie doch alle gewalttätig. ts…

    • Diskretion, werter ANH, gehört auf der Palette meiner Tugenden zu jenen, die bislang selten in Frage gestellt wurden. Ich glaube, der letzte Vorwurf der Indiskretion wurde im Jahr 1983 an mich herangetragen.
      Was nun die Popos betrifft. Da stimme ich Ihnen zu. Wer dazu eingeladen wird, sie zu klopfen, bediene sich doch bittschön eines angemessenen Geräts.
      Gell.

    • @Kienspan Ich befinde mich momentan auf dem Land. Auf einer Liege. Auf der Holzterrasse meiner Frau Mutter. Und fühl’ mich ungefähr so gewalttätig wie das Kaninchen, das da drüben gerade vorbei hoppelt.
      Umso vergnüglicher ist es, bei Vogelzwitsch und Schwalbenfiep heimlich über Popos nachzusinnen. Mit Betonung auf dem zweiten o. Ich hab’ nämlich heute frei und darf schweifen. Da ich keinen Chef habe, der mir frei geben könnte, musste ich das kurzerhand selber beschließen.

      O! : )

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