Out of silence

Breathe.
Strip, don’t tease. Wenn die Kühle morgens durchs Fenster kommt, knackt es im Gehäuse.
Ausdehnen,
zusammenziehen.
An den Flanken ganz dünn, fast flüssig. Trinken.
Du bist der Ort, mein Mädchen, mein schieres. Nimm mich in Gewahrsein.

»Wir sind Junkies auf dem Botenstoff-Trip«, sagt der Mann.
[Nein, wir haben keine Kinder. So aufgeregt, immer so aufgeregt gewesen.]
»Dir passiert schon nichts. Streck die Zunge heraus, mach es dir bequem.«
Er legt sein Gebiss an deinen Hals, sacht. »Ich probe nicht«, flüstert er. »Bei mir ist alles sofort richtig.«
»Bist du safe«, fragst du.
»Ich bin gesund«, sagt er. »Erinnere dich, Atmen ist wie Trinken, nur schwerer. Du musst wieder lernen, dich aufzusperren. Du bist der safe place.«

»Ich würde aber gern«, sagte der andere, die Hände im Käfig.
Du schüttelst nur den Kopf. Du siehst eurer beider Geschichte im Zeitraffer, innerhalb von Sekunden sein Gesicht, die Strahleaugen brechen, den Leib zerfallen.
»Du bist kein Joker«, sagst du. »Du bist zu schön.«
»Aber du doch auch«, verwundert er sich, »deswegen doch!“
Geh wen anders jagen. Ich bin keine Beute, ich bin ein Ort.
Safe.
Der Wagen fährt davon.
Du zahlst den Schmuck.

Du stellst dir vor, im Kloster auf die Matte gepinkelt zu haben beim Sitzen in der Stille.
Deine Muskeln wären ganz weich gewesen. Strip, don’t tease. Bleib so dicht auf dem Kissen, dass die Nässe nicht auskühlt.
Bleib so lange sitzen, bis es keine Rolle mehr spielt, ob da ein Fleck ist, wenn du aufstehst.

Die Luft ist immer noch kalt morgens; der Schrank knackt.

21 Gedanken zu „Out of silence

  1. Toller Text, aber ein paar Kleinigkeiten.

    Du bist der Ort, mein Mädchen, mein schieres. Nimm mich in Gewahrsein.Wer spricht?
    [Nein, wir haben keine Kinder. So aufgeregt, immer so aufgeregt gewesen.]
    Das ist an sich ein toller Einschub, führt hier aber zu sehr aus der Szene raus; ich würde gleich mit dem da anschließen:»Dir passiert schon nichts. Streck die Zunge heraus, mach es dir bequem.«Den Einschub dann später.»Ich probe nicht«, flüstert er.Bezieht sich das auf das vorhergegangene “sacht”?sagte der andereWieso “der andere? Es sind bislang nur zwei Menschen da.»Du bist kein Joker«Den “Joker” hier verstehe ich nicht. Außerdem: Ist ein Joker notwendigerweise häßlich?ich bin ein Ort.:ganz toll!dass deine Pisse nicht auskühltDas Wort “Pisse” ist mir hier zu hart, weil es einen ganz anderen Bedeutungshof assoziieren läßt.der Schrank knacktDas ist mir zu überbedeutend, weil ja nicht nur einfach ein Schrank knackt, sondern als Abschluß hat der Satz Metapherncharacter; als Metapher ist er aber banal, was der übrige Text eben n i c h t ist.

    • Deswegen will ich ANH’s Überlegungen auch nicht gleich übernehmen: Weil ich selbst das Hängenbleiben im Text meistens als angenehme Irritation empfinde. Ich lese ihn heute Abend noch einmal, wenn ich aus dem Atelier komme – mal sehen, wie er dann wirkt.

    • Sie sollten den Text nicht ändern, denke ich, denn ohne gekonnt eingefügte oder auch im Schreibvorgang unwillkürlich entstandene Widerhaken ist ein gelungener Kurztext im schlimmsten Fall am Ende dann nur noch Kitsch und vermittelt sich dem Leser auch nur noch unmittelbar.

    • @ANH Das weiß ich nicht nur eigentlich, das weiß ich ganz genau, sonst wäre ich bei meinem Roman schon mit der ersten Version zufrieden gewesen. Nur gehe ich bei dem Text von Miss TT davon aus, daß er präzise ist, daß die Bilder genau so erschrieben sind, wie von der Autorin gewollt, während von mir formulierte Änderungsmöglichkeiten, die mir bei jedem Text durch den Kopf gehen und auch bei diesem, diesen dann zu einem Text machten, den ich mehr selbst schreibe als selbst lese.

      Wer sagt denn, daß Kunst spontan sein kann? Ist sie natürlich nicht, selbst wenn selbstredend plötzlich etwas in einem kurzen Zeitraum entstehen kann auf Grundlage des zuvor Erarbeiteten.

    • @ANH Nein, nicht den Mund halten, bitte. Sie haben mit Ihrem ersten Kommentar zum Text eine eine neue Kamera aufgestellt, zum bewussteren Lesen animiert. Aus diesem ersten Perspektivenwechsel haben sich weitere ergeben. Das schätze ich sehr.

  2. @Schlinkert. Es geht nicht um Widerhaken, die “gezogen” werden sollen, sondern darum, präzise in Sprache und Bildern zu sein. Das sollten Sie eigentlich wissen.

    Aber ich kann natürlich auch den Mund halten in Zukunft. Hab eh genug zu tun – unter anderem genau mit dem, was ich heute früh vorsichtig hier angemerkt habe. Kunst ist n i c h t spontan. Nie.

  3. Im Ausdruck ‘Pisse’ versammeln sich Abwertung und Ekel der externalisierenden Affektregulierer. Sie gestalten ihr Wohlbefinden im Außen und normieren Verhalten und Empfinden ihrer Umgebung zu eigenen Gunsten.

    Bleib so lange sitzen, bis es keine Rolle mehr spielt, ob da ein Fleck ist, wenn du aufstehst.. Die Aufforderung der Erzählstimme richtet sich gegen exakt diese Übergriffigkeit jener Affektregulierer. Das lange Sitzenbleiben befördert die Internalisierung und damit Autonomie der eigenen Affektregulierung und trägt so zur Überwindung von Scham bei.

    Deshalb ist es sehr schade, dass sich die ‘Pisse’ samt ihrer wichtigen textlichen Funktionalität nun verflüchtigt hat.

  4. Das Knacken des Schrankes formt eine schlüssige Bildklammer (und gleichzeitig neue Instanzenebene: das Gehäuse im Gehäuse) mit einem leichten Anstrich von Ambivalenz behaftet. Mag in den Schrank hinein gesehen werden? Oder mag aus dem Schrank herausgekommen werden? (ich sehe vor mir einen Schrank mit innenliegendem Schloss – von außen nicht zu öffnen)

  5. “Ich bin keine Beute, ich bin ein Ort.”
    So, wie es dasteht, ereignet sich ein irritierender Perspektivenwechsel. Der vorstehende Dialog entwickelt sich zwischen “du” und “ihm”, doch plötzlich involviert sich die Erzählstimme mit der zitierten Aussage. Hier gelingt mir das Übereinanderblenden des “ich” mit dem “du” nicht gleich auf Anhieb (und auch später, nach längerem Nachspüren, nur recht mühsam)

  6. Strip, don’t tease. Dieses Wortspiel übersetze ich, nachdem ich den Text eine Weile (den halben Tag lang) einwirken habe lassen, zu: “Mach dich frei, spiel’ nicht bloß mit der Idee.” Es spricht Lógos zu Physis, will mir scheinen. Der Text ließe sich übrigens nebenher als eine geheimnisvolle Animus-Beschwörung lesen. Jedenfalls empfinde ich den Text als einen wirksamen Befreiungsimpuls (i.e. mich betreffend).

    • @Latrinengerücht Ich habe Ihre Eindrücke mit Neugier gelesen. Es wäre interessant, herauszufinden, an welcher Stelle Ihnen die Scham dann einen Strich durch die Rechnung machte und Sie nicht mehr hier weitersinnieren ließ: vielleicht war es ja gar nicht Scham, sondern eine schlichte Befürchtung? Zum Beispiel die, zu viel Raum zu nehmen. Sollte da etwas dran sein, kann ich Ihnen versichern, dass Sie hier so viele thoughts und afterthoughts hinterlassen können, wie Sie mögen – der Raum wächst mit!

      Zu “Strip, don’t tease”: Für mich steht das für “Entblösse/waffne Dich, aber ohne die damit einher gehende Koketterie”. Jedes Mal, wenn ich mich in die Stille begebe, ist es das, was mich besonders beeindruckt: wie es die Möglichkeit aufmacht, nackt vor sich zu stehen, ohne Außeninstanz, ohne gekonnte Selbst-Darstellung.

      Zu “Pisse”: Sie bedauern, dass ich das Wort durch “Nässe” ersetzte. Von allen Einlassungen ANH’s hat mich diese tatsächlich überzeugt: dass “Pisse” einen Bezugsrahmen öffnet, der an dieser Stelle die Kraft des bestehenden schwächt. Aber es kann durchaus sein, dass ich in der nächsten Überarbeitung noch einmal anders entscheide.

    • @Latrinengerücht Ich bin etwas hin- und hergerissen beim Lesen Ihres Kommentars. Sie haben doch schlüssige Überlegungen angestellt. Ist es da nicht völlig nebensächlich, wie “literarisch gebildet” Sie sind? Warum erscheinen Ihnen Ihre Eindrücke und Schlussfolgerungen am Ende weniger gültig als jene anderer Kommentierender? Oder meine? Versteh’ ich nicht. Sei’n Sie doch nicht so hart mit sich. Ein Text ist gut, wenn er wirkt. Über stilistische Details, Wortwahl, Perspektivenwechsel und dergleichen kann man sich streiten, muss aber nicht: Ich denke, gäbe man einen solchen Kurztext fünf verschiedenen Profi-Lektoren, würden fünf ganz unterschiedliche Überarbeitungen entstehen. Ein sechster würde vielleicht sagen, ab in die Tonne damit und ganz neu anfangen.

      Aber noch einmal zurück zur “Pisse”. Die momentane Version mit “Nässe” hält den Frieden, bleibt weiblich und indirekt (für mein Empfinden), wo “Pisse” in Zusammenhang mit Meditation etwas Mutwilliges, Offensives in den Text bringt. Besteht nun die “literarisch schärfende Intention” darin, zu schauen, welches der beiden Worte dem Text besser ansteht, oder darin, das tatsächliche Gefühl zu erfassen, das beim Schreiben zugrunde lag?
      Hm…
      Ich habe mich für Nässe entschieden, weil “Kissen” und “Pisse”, dicht aufeinanderfolgend im Satz, für mich vom Klang her nicht so überzeugend waren wie “Kissen” und “Nässe”. Außerdem ist der Text nicht auf Provokation aus: Es geht, wie Sie selbst auch erkannten, mehr um ein Bild für das Loslassenkönnen.
      So weit erst einmal. Bin verabredet. Aber ich schicke Ihnen etwas Honig für die heisere Stimme. Möge sie an Kraft gewinnen!

  7. Es gäbe noch einiges zu sagen zu Ihrem Text, Miss TT.
    Doch nun hat mich die Scham wieder in Gewahrsam genommen.
    (immerhin hat der Impuls über eine Stunde lang gewirkt ; )

    • Nicht die Stelle war’s, die mir den Strich durch die Rechnung machte, sondern die verstrichene Zeit. Sie wirkte wie ein sich mit belastender Unklarheit füllender Rucksack, welcher am Ende zu Boden drückt. Mit der von Ihnen vermuteten Befürchtung hat das nichts zu tun, schließlich schreibe ich ja anonym, nicht wahr?

      Schreibe ich tatsächlich anonym? Ich sitze im Schreiben nackt vor mir und fühle die Last meiner literarischen Unbildung, welche ich angesichts meines fortgeschrittenen Lebensalters nicht mehr loswerden kann. Aber wozu auch? Auf dass ich in einem literarischen Weblog eindrucksvoll mitparlieren kann? Ach, tausend Rosen…

      Gegen die Scham anzugehen bedeutet für mich konkret, zu klären und aufzuklaren (nicht: aufzuklären). Der Umgang mit Sprache hat in diesem Bemühen die Zentrumsposition eingenommen. Das kann ich vielleicht am Beispiel der ‘Pisse’ anschaulich darlegen:

      In der ursprünglichen Textfassung erfasste ich unterschwellig den (kulturbedingten) Kontrollauftrag an das Individuum: “Kontrollier’ dich, damit wir uns nicht fremdschämen müssen”, der mich zu den weiteren Verknüpfungen (Affektregulierung) führte und den Autonomieimpuls (“bis es keine Rolle mehr spielt, ob da ein Fleck ist”) deutlichst erspüren ließ. Nun aber steht da ‘Nässe’, die sich z.B. vom Schweiß oder Menstruationsblut durch das ‘gepinkelt’ immer noch klar abgrenzen lässt. Dass ich anhand der ‘Nässe’ in meine bewegende Assoziationskette gelangt wäre, kann ich nicht mit letzter Gewissheit ausschließen, unwahrscheinlich wär’s allemal.

      Der Grund für die Beseitigung der ‘Pisse’ liege in einem Bezugsrahmen, der sich, das Bestehende schwächend, öffne, meinten Sie, sich damit auf den “ganz anderen Bedeutungshof” beziehend. Es gehe um Präzision in Sprache und Bildern, hieß es. Welcher Bezugsrahmen bzw. Bedeutungshof gemeint war, blieb jedoch offen.

      Weshalb denn eigentlich? Muss das von der Leser:in wirklich gewusst werden? Mir fallen zur ‘Pisse’ neben dem für meine Interpretation herangezogenen aus dem Stand noch vier weitere “Bedeutungshöfe” ein: Vulgarität, Sexualität, Krankheit und Tod. Woran dachten SIE? Woran dachte ANH? (Achtung: rhetorische Frage!) Mit der klärenden Nachfrage entblößte sich die Leser:in als unkundig – nicht sehr angenehm und deshalb vorzugsweise zu vermeiden.

      Präzision in Sprache und Bildern. ‘Pisse’ ist nass, ‘Nässe’ auch. ‘Pisse’ ist der präzisere Ausdruck. In der einbettenden Textumgebung wandelte sich der Ausdruck für mich sogar zum Begriff. Im Streben nach Präzision musste der präzise Ausdruck dem Unpräzisen weichen. Dahinter steht literarisch schärfende Intention, die ich nicht verstehe, daher nicht nachvollziehen kann, ja sogar als Widerspruch in sich empfinde. Daran meine ich meine Unbildung zu erkennen. S o l c h e s erfüllt mich mit Scham, gegen die ich versuche, die kleine Stimme in mir zu kultivieren, welche sich kopfschüttelnd äußert: “Was für ein grandioser Unfug, sich dessen zu schämen”. Leider ist die Stimme seit jeher heiser.

    • Ich kann Sie beruhigen; dass ich mich selbst verstehe, ist lediglich ein geschickt gestreutes Gerücht. (Ihre Texte wirken, manche sogar sehr heftig)
      Angenehmes Wochenende Ihnen!

  8. @Norbert W. Schlinkert Spontane Kunst: Ich denke, der Gestus einer Zeichnung, wenn er spontan wirkt, kann etwas sehr charmantes haben. An einem Text hingegen muss man oft länger herumfrickeln, um ihm ein natürliches Gesicht zu geben.
    Texte, die ich hier einstelle, sind meistens ziemlich jung, d.h. ich habe sie nach dem ersten Entwurf ein, zweimal überarbeitet im Laufe des Tages. Um dann einen Qualitätssprung zu erzielen, müssen sie eigentlich einige Wochen liegen, bevor ich sie mir wieder vornehme: ich muss sozusagen mit fremdem Blick darauf schauen können.

  9. @Phyllis Ich sehe einen Text, der mir sozusagen ohne Lektoratsauftrag präsentiert wird, immer als “aktuell fertig” an und durchaus keinen Grund, ausgerechnet meine Ansichten dazu zum besten zu geben. Kann natürlich jeder halten wie’n Dachdecker.

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