Farah Days Tagebuch, 45

Dienstag, 25. Oktober 2016

“Veränderung geschieht, wenn jemand wird, was er ist, nicht wenn er versucht, etwas zu werden, das er nicht ist.”
Arnold R. Beisser

Doch wie erfahre ich, was ich bin, was sind die Worte, die Werkzeuge, die Zeichen und Bilderfluten des Ist?
Wie geht Vergegenwärtigung?
Aus welchen Quellen speist sich Schreiben, das Unmittelbarkeit herstellt? Kann es das geben, überhaupt? Ein Jetztschreiben müsste wohl sehr viel mehr mit dem Unbewussten verbunden sein als mit dem Bewussten. Da dieses doch fortwährend nur rekapituliert. Das vermeintliche Bewusstsein praktiziert ein Wiedereinfangen und ins-Wort-setzen von Wahrnehmungsprozessen, deren ursprünglicher Impuls immer bereits in der Vergangenheit liegt, während man nach Worten dafür sucht.

Und dann, vor zwei Wochen, tauchte dieser Mann auf. Fast aus dem Nichts. Er ist noch hinter der Mauer, doch einer wie er bleibt das nicht lange.
„Ich werde Sie Brando nennen“, sage ich in mein leeres Zimmer hinein.
Seine Ausschweifungen stehen ihm ins Gesicht geschrieben. Bestens gekleidet. Groß.
Reck’ Dich, wenn Du kannst, sagt der Blick aus dem hellgrauen Augenpaar. Ich weiß nicht, was meiner erwidert. Vielleicht einfach nur:
Ich bin hier.
(Einmal geübt, schon gekonnt)

Ich verweigere die Verkontextualisierung. Will eine Weile lang in neuen Situationen nicht mehr „Ich bin, wie…“ sagen, und dann
immer flugs
zur Verdeutlichung nach einem Vergleich suchen.
Sondern einfach „Ich bin“ sagen.
Denn Vergleiche sind gut gegen die Angst vor dem großen, nassen Namenlosen, doch sie wirken wie diese orangenen Schwimmflügelchen von früher: verhindern das Eintauchen.
Inzwischen bin ich entwachsen. Doch die Angst vor dem Unwägbaren ist nicht kleiner geworden, auch wenn man meine Schwimmflügel nicht mehr mit bloßem Auge sehen kann.

Aussagen zu treffen bedeutet, die jeweils aktuelle mit allen anderen in Bezug zu setzen, die ich gerade im Bewusstsein habe: ihren Kontext herzustellen. Die Aussagen miteinander zu vergleichen, ihre Wechselwirkungen zu registrieren. Das alles recht schnell und – zumindest im Gespräch – reflexhaft.
(flugs)
Das ist normal. Wir sind in einer Gesprächskultur des NichtNachklingen-Lassens, haben gelernt, uns zu unterbrechen in der Wahrnehmung dessen, was wir wollen.

„Wir unterbrechen uns. Und einander.“ (– Das mal nachklingen lassen. Was bewirken Unterbrechungen?)
Und im Gespräch mit einem Gegenüber extreme Achtsamkeit praktizieren, auf kleinste körperliche Regungen achten, auch nachfragen:
„ – Was war das gerade? Und was ist Deine Frage dabei? Was ist das B e d ü r f n i s ?“
Ich bin Therapeutin, längst. Und Künstlerin. Schreiben als Bindeglied zwischen den Welten.

„Mein frühes Werk ist die Angst zu fallen. Später wurde daraus die Kunst, zu fallen. Wie man fällt, ohne sich zu verletzen. Noch später – die Kunst, auszuharren.“
Sagte Louise Bourgeois einmal. Meine Seelenverwandte.

Das Pendel von äußerer Wahrnehmung zum inneren Erleben praktizieren.
Die Grundübung dazu: einfach mit geschlossenen Augen in gesammelter Haltung auf einem Stuhl sitzen. Mindestens zehn Minuten, wenn möglich länger.
Wenn ich anfange, das, was ist, anzuerkennen, stellt sich Veränderung ein. Nicht aus der Geste des Verändernwollens.
Vielleicht ist es auch, wenn ich den Tuschepinsel zum Blatt führe, die Sehnsucht nach Expression, nicht jene nach Modifikation. Ich will ausdrücken, was ist. Nicht etwas verändern, das bereits gewesen ist.
gewesen ist
(- Wie unheimlich Sprache werden kann!)

Als Brando sich erhebt, werden Luftmassen verdrängt. Ich horche, doch sein Atem geht ruhig, er muss sich nicht wuchten. Er erinnert mich an jemanden, den ich mal erfunden habe.
Oder war es LeBlanc, der ihn erfunden hat? Schwer zu sagen: Unsere Welten sind im Wechselspiel. Unberechenbar. Wer abwägt, bleibt außen vor. Meistens sind das die anderen.
– Machen wir noch eine Runde?, fragt Brando.
Er lässt mich weiterträumen, nimmt einfach nur meine Hand und führt mich zum Wagen.

Jetzt.
Ich mache mich wahr. Es ist ganz einfach, wenn man nicht unterbrochen wird.

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