Schnipsel erzählen

Aus welchen Gründen auch immer: Mein Schreibvermögen hatte sich in letzter Zeit mal wieder davongeschlichen und lag gemütlich zusammengerollt irgendwo in der Ecke eines Schweigezimmers.
Es gibt diverse Schweigezimmer in mir. Dort wird viel gedacht, das sich von anderen nicht anfassen, begreifen lassen will. In ihnen herrscht pure Gegenwart. Nichts wird ausformuliert, geschweige denn bewahrt oder mit anderen geteilt. In meinen Schweigezimmern ist die Welt nicht größer als ich, sondern ich bin größer als die Welt. Und verdammt viel stiller.
Das ist weder gut noch schlecht. Es ist einfach so.
Dann, nach einer Weile, entrollen sich die Vermögen wieder, verlassen ihre Refugien und gesellen sich zurück zu der Gruppe von Eigenschaften, die mich ausmachen: zumindest in den Augen der Anderen.

Die Frau, die vor ein paar Tagen bei mir zum Textcoaching war. Einzelstunde. Sehr sympathische Erscheinung, kam mit sechs von Hand vollgeschriebenen Büchern, setzte sich und ihre Bücher an meinen mit Tuscheflecken übersäten Tisch. Warum so viele?, dachte ich anfangs, ein einzelnes Exemplar hätte als Ausgangspunkt für unser Gespräch durchaus genügt. Die Frau wollte aber zeigen, was sie hat, was da ist, womit wir arbeiten können. Sie wollte unseren Ausgangspunkt be-greifbar machen.
Ich verstand das bereits im Verlauf der ersten halben Stunde. Wir sprachen dann noch lange. Bevor sie ging, sagte sie: »Ich bin jetzt erschöpft. Aber auch sehr zufrieden, dass ich mich so vertrauensvoll erlebt habe. Ich habe das vorher noch nie gemacht, so privat über mein Schreiben gesprochen.«
Die Freude, solches bewirken und begleiten zu können, hat in all den Jahren nichts an Intensität verloren. Mein Vermögen, anderen Kraft zu geben, hängt nicht von meiner Tagesform ab: Es aktiviert sich, sobald es gebraucht wird.

Dazu ein Eindruck, den ich im Gespräch mir einem Arzt gewann, mit dem mich eine zarte Freundschaft verbindet: seit meinem ersten Termin bei ihm, nach dem wir uns zu unserem ersten Glas Wein verabredeten.
Der Arzt, vor ein paar Tagen, erzählte mir von seinem Unvermögen, sich alleine unter Menschen zu begeben: er brauche immer eine Begleiterin. Das war kein Flirtversuch, sondern Fakt. »Vor einiger Zeit ging ich aus dem Haus«, erzählte er, »mit der festen Absicht, eine Vernissage zu besuchen. Ich kam bis zur Eingangstür der Galerie. Dann kehrte ich wieder um.«
»Du bist ja schlimmer als ich«, lachte ich. »Kein Wunder, dass du unsere Verabredungen so oft in letzter Minute absagst.«
Er ist ein verdammt guter Therapeut. Ein Heiler. Auf sich selbst kann er diese Künste aber nur bedingt anwenden; das verbindet uns auf seltsame Weise. Er muss sich nie entschuldigen, wenn er mir ein Treffen absagt, muss keine Ausrede erfinden.

Fragmente erzählen: damit will ich mir mein Schreiben zurückerobern. Mal sehen, wohin das führt.

8 Gedanken zu „Schnipsel erzählen

  1. Schon diese schönen Fragmente zu lesen hat gerade eine Art Coaching-Effekt auf mich, danke dafür. Besonders die Arztgeschichte ist sehr sympathisch. Und das Schreiben (ersetze andere ‘geistige Dinge’ / ‘Innenwelten’) sich zurückerobern, genau. Mal sehen, ob es wieder hinaufführt. Heute hol ich mir erst mal einen neuen Monitor für den neuen Schreibtisch: “…der Eingang ist im Hof innen, auf der Südseite ist ein Bauernhof. Sie können mich auch gerne duzen.” (ebay Kleinanzeigen). Umzug einigermaßen durch, jetzt dringend Innenräume!

    Schad’, dass Frankfurt so weit ist, sonst täte ich Ihnen gern öfter mal absagen!
    S.

    • Herrjeh, Speed, Sie sind aber ganz schön früh auf den Beinen, es ist doch Samstag! Aber wenn ich so schau’ bei Ihnen drüben, dann lohnt sich’s auch. Bin immer wieder fasziniert von der Beharrlichkeit, mit der Sie Ihre wechselnden Wohnräume durchgestalten. Allein diese Kletterwände immer!

      Hat das neue Domizil auch einen Alkoven für Feliden?

      Lächelnd,
      P.

    • @durchgestalten Find’st du deine Küche doof,
      fahr sie auf den Wertstoffhof!

      Alkoven, Feliden, selbstverständlich. Gibt’s dann auch Fotos, aber erst wenn der Goldstuck an der Wand ist 🙂

    • Alkoven fuer Feliden will ich bitte auch sehen! Ich kann mir Ihre aeussere Welt ganz wunderbar vorstellen, weil ich Ihre Innere, die ich nur aus Kommentaren kenne, sehr gerne mag.

    • Der schwarzweiße Felide liegt gerade zusammengerollt halb auf/halb neben mir auf dem dunkelroten Teppich des Alkovens. Lichtbild fest zugesagt, aber momentan unmöglich, da ich ihn sonst wecken würde. Auch das eingeschlafene Bein auszustrecken ist momentan nicht möglich.

      (lächelt, ob Ihres Kommentars)

  2. Ich will auch Schweigezimmer Mir liegt die Idee eines Schweigezimmers. Und auch die eines Nicht-Zuhoeren-muessen Zimmers. Ich habe dieses Wochenende eine erstaunlich lange Zeit im Bett verbracht, ohne Presse, bin ja nicht Yoko.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.