Farah Days Tagebuch, 29

Montag, 9. Februar 2015

Berühre die Erde und beginne neu stand auf dem schmalen Papierstreifen.
Ob die anderen die gleiche Aufforderung erhalten hatten? Der Raum, bis auf mich, hatte sich bereits geleert. Ich ballte die Faust um den Zettel, erhob mich, stand vor ihr, ein wenig größer als sie. Und besser in Form.
“Denken Sie nicht einmal daran”, sagte Jouba lächelnd, “ich praktiziere nicht mehr auf diese Weise.”
Sie nahm meine rechte Hand in ihre beiden, umschloss sie.
“Wenn Sie das können, kämpfe ich mit Ihnen. Falls Sie dann noch möchten.”
“Wenn ich was kann?”
Sie trat einen Schritt zurück: “Öffnen Sie sie.”
Einen Moment lang blickten wir gemeinsam auf den zusammengeknäulten Papierstreifen auf meiner Handfläche.
“Lassen Sie ihn los”, sagte sie, “und erschrecken Sie nicht, bitte.”
Ich tat wie geheißen. Das Papierchen glitt mir wie ein Stein aus den Fingern. Mit einem Knall schlug es auf dem Parkett auf.
“Können Sie einen Satz schreiben, der so fallen kann? Dann dürfen Sie zurückkommen.”
“Ich glaub’ schon.”
“Wir werden sehen. Und jetzt hinaus mit Ihnen.”

Ich habe Jouba und die anderen nie wiedergesehen. Mit leeren Händen? Ich hätte mich geschämt.

6 Gedanken zu „Farah Days Tagebuch, 29

  1. Inspirierender Impuls! […]
    Dann traf ich Abujo. Er hörte zu und lächelte:
    “Dichter sind Zauberer, Philosophen verraten deren Tricks.”
    “Hm?”
    “Magie. Die dieses Satzes ist erzählte Magie, die sich
    entfaltet, wenn (wo und wie) sie ankommt.”
    “Beim Leser?”
    Dass es sich um einen Papierstreifen handle, der wie ein Stein aufs Parkett knallt, sei Magie, meinte Abujo.
    Dass ein Satz wie “Berühre die Erde und beginne neu” dies bewirkt haben solle, der Wunsch eines Dichters.
    “Einer Dichterin …”
    “Man kanns auch konkretisieren, ohne hinzu zu gewinnen.”
    Offen sei, ob jener Satz dem Papier gälte oder dem/der Lesenden. Dass das Papier selbst schwer fiel,
    lasse auf Magie schließen, die Papier beschwere. Der Satz an sich verfüge über keine eigene Schwere, sonst
    wäre die bereits vor dem Schließen der Faust aufgefallen. Das Umschließen der Faust mit beiden Händen
    habe entweder dem Satz Schwere verliehen, dem Papier mit dem Satz darauf (oder ohne ihn), oder aber
    die Hüterin des Satzes empfänglich für Schwere.
    “Doch letztendlich knallte der Zettel aufs Parkett, er knallte!”
    “Dichter misstrauen der Magie ihrer Worte und trachten nach Bestätigung, die sie selbst erfüllen, über etwas,
    dass sie fügen. Der Geschichte hinzu-, dem Satz zu-.”
    “Und die Magie?”
    “Welchen Boden berührte der Zettel, welchen der Satz?”
    Das Parkett der eine, der andere … das Papier?
    “Fruchtbaren.”
    “Magie ist nicht mehr als Saat, die aufgeht?”
    ” … und beginne neu!”

    :)!

    • Das erinnert mich ein bisschen an die so genannten Mosaik-Romane, die in den 80ern aufkamen… mehrere Autor:innen schrieben gemeinsam am gleichen Skript. So eine Art Rollenspielen in Romanform; man ließ eine oder mehrere Figuren in einer vorab verabredeten Welt interagieren. Hab die Dinger verschlungen damals.

      Danke, Ludwig, für Ihr einfühlsames Impulsstück! : )

  2. Ich war ein Satz, hingeworfen in blei’rner Tinte, von fremder Hand, durchgeknallt.
    Das schwarze Seidenpapier, es hielt den Mund, nicht mich, und platzte.
    Zerborsten auf glattem Stein, zerstreut in sinnverlor’ne Buchstaben.

    Erinn’re dich nicht, mahnt der Marmor und wölbt sich zur Schale.
    Buchstaben versammeln sich in der Mitte lachend zu Bachstuben.
    Ich lausche dem Rauschen da draußen.
    Dort, wo silb’rige Sätze zu Schwingen sich spreizen.

    Was bedeutete ich?, frage ich den Marmor.
    Wozu musst Du wissen?, murmelt der.
    Deine Sprache war’s nicht.

    Je suis ma phrase et j’ai besoin d’une cédille.

    Merci, chère Madame Phyllis.
    Ω

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