Paradies: Hoffnung

Das Diät-Camp aus der >>> Paradies-Trilogie konnte ich mir nicht entgehen lassen.
(Kalt ist’s am Schreibtisch; muss mich erst einmal warmtippen. Die Filmbeschreibung schnell irgendwoher übernehmen? Hm. Nein.)

Die Story: Melanie, dreizehn, ausgewiesen pummelig, soll im Camp Gewicht verlieren, ebenso ein Dutzend anderer Teenager. Drei Erwachsene sind zuständig für den Erfolg des kargen Unternehmens: Ein Arzt, ein Trainer, eine farblose Frau im zartrosa Jogginganzug. „If you’re happy and you know it, clap your fat“ singt sie den fast-noch-Kindern draußen im Hof vor, während die sich lustlos auf Hintern und Bauch klatschen. Der Trainer, ruppig, setzt auf Klischee-Disziplin der antiquierten Sorte. Bleibt noch der Arzt, in den sich Melanie verliebt. Den sie „rumkriegen“ will, ermutigt von ihrer neuen Freundin, deren Name mir gerade entfallen ist, die aber im Gegensatz zu ihr schon Erfahrung hat – „damit“. Die ihr auch das kurze Kleidchen ausleiht.
So.
Als ginge es um eine Lolita-Geschichte. Stimmt aber nicht, obwohl diese schweren Teens mit der prall unterspeckten, glatten Haut fast alle etwas Anziehendes, Anrührendes haben. Einige ihrer Art sitzen immer in meinen Workshops; ich stelle mir jedes Mal vor, wie wohl die Eltern sind. (Hat sich Seidl auch gefragt – der erste Film seiner Trilogie, „Paradies – Liebe“ behandelt ein Kapitel aus der Lebensgeschichte von Melanies Mutter, die Tante, die das Mädchen ins Camp bringt, ist Protagonistin in „Paradies – Glaube“)
Keine Lolita-Geschichte.
Sondern:
Melanie. Man ist ganz nah. In den engen Vierer-Zimmern mit den Hochbetten. Im Flur, auf dessen Boden sich die Mädchen nach einer nächtlichen Fressorgie, ertappt, zur Strafe bäuchlings hinlegen müssen. Im Arztzimmer, wo der Arzt an Melanies hoffnungsvollen Maskara-Augen kleben bleibt wie die Fliege am Honigtopf. In dem Moment, wenn die Kamera beim nächtlichen Flaschendrehen zum ersten Mal auf die Brüstchen des dicken Jungen schwenkt. (Ah, die Jungen kommen definitiv zu kurz in diesem Film, bleiben blass)
Die Szene im Wald (erinnert ein bisschen an Lars von Trier, ohne dessen Auftrumpfen), in der der Arzt die volltrunken schlaffe Melanie zunächst aus dem Auto, dann auf eine Lichtung schleift, um sie anschließend von oben bis unten zu beschnuppern, nein, einzusaugen. Die Unmöglichkeit seines gar nicht so heimlichen Begehrens, das im Film keinen Zauber gewinnt, weil er ein kleines Licht ist, der Arzt, ebenso wie die anderen Erwachsenen. Sie „schnallen“ nichts; sie haben null Ideen, nur Methoden, wollen nur Naheliegendes.
Auch von den Jugendlichen (allesamt offenbar Proletarierkinder – warum eigentlich?) erfährt man außer den altersgemäßen Flausen nicht viel, den Gesprächen, die sich anscheinend fast wie von selbst ergaben am Set. Und eben dieses Strotzen, das den Alten längst vergangen ist. Hoffnung, natürlich, Selbstbehauptung, bei allem desolaten Tapsen. Schnell aufkeimende, innige Zutraulichkeit.
Warum der Film stark ist? Er spitzt kaum zu, ist nicht selbstgefällig, ist überraschend zärtlich in seinem Blick auf die vermeintlich optimierungsbedürftigen Teens. No Kitsch, please. Ich hab’ richtig Lust, Ulrich Seidl meinen Roman „Fettberg“ zu schicken, von dem ich mir immer gewünscht habe, es möge ein Film daraus –
Aber bis dahin schauen Sie sich doch „Paradies: Hoffnung“ an.

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6 Gedanken zu „Paradies: Hoffnung

  1. das dünne paradies? ich “fettberg” fand ja schon Ihren roman richtig toll, weil ich ja selbst nicht abnehmen kann (http://www.schwungkunst.de/wordpress/?p=3087). sondern dick wie nie vor mich hin wuchte und dichte. nun aber auch noch diese kleine eloge auf unser aller dickIcht “pradadies: hoffnung”. da bin ich ja ganz dick dabei und hin und weg und dürr nicht. gerade auch ob Ihrer einfühlsamen zeichnung eines weibes, das mir die hoffnung gibt auf doch noch paradies 😉 Immer Ihr ögyr

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