Kurzer Kameraschwenk: Fettberg.

[…]
„Emilie“ ruft Rehlein, als seine Gefährtin das Observatorium betritt, „wo warst du denn? Du hast einen Fehler gemacht mit dem Mann! Sein erster Auftritt lässt nichts Gutes ahnen. Was für ein Kretin! Er passt nicht hierher.“
Sie lässt sich in den Sessel neben ihm fallen: „Das genau ist die Absicht, wie du weißt“ erwidert sie. „Alle sieben Jahre.“
„Du hättest das unbedingt mit mir absprechen müssen!“
„Ach ja? Und wie war es das letzte Mal? Dein Doktor Brodkey? Hatte ich da etwa ein Wörtchen mitzureden?“
Er starrt sie an.
„Nein!“ beantwortet sie sich ihre Frage selbst. „Und das ist auch in Ordnung. Ich habe dir nie Vorwürfe gemacht, obwohl dein Kandidat seiner Aufgabe nicht im geringsten gewachsen war!“
„Ich weiß.“
„Alle sieben Jahre trifft einer von uns die Entscheidung, Justus! So steht es in den Statuten. Oder willst du an unseren Grundsätzen rütteln?“
Müde schüttelt er den Kopf.
„Dann lass’ den Mann seine Wirkung entfalten“ sagt Emilie scharf. „Ich habe ihn mit Bedacht ausgewählt. Wer bringt ihn in sein Quartier?“
„Jules.“
„Warum ausgerechnet der Junge?“
„Oberschwester Döpfner war pikiert. Ich kann’s ihr nicht verdenken! Er hat sie unmissverständlich spüren lassen, dass er sie für ein kleines Würstchen hält.“
„Ausgezeichnet“ sagt Emilie und stemmt sich aus dem Sessel. „Ich werde jetzt meine Runde machen.“ Sie nimmt etwas Kleines aus der Tasche ihres Kittels und beugt sich über ihn. Ohne Überraschung öffnet er den Mund und lässt es sich zwischen die Lippen stecken. Sie fährt ihm flüchtig mit der Hand über den Kopf und watschelt zur Tür. Rehlein bleibt kauend zurück.
[…]

Fettberg. Roman.
Ab Frühjahr 2012 bei >>> Kulturmaschinen, Berlin.

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