Blinde Flecken. Pfingstmontag, 13. Juni 2011

Vor einiger Zeit fiel mir auf, meine Hände sehen älter aus als der Rest von mir; seitdem creme ich sie fast manisch ein. Da mein Gehirn anscheinend Schreiben und Nägelkauen zusammengeschaltet hat, habe ich nun ständig diesen Geschmack von Handcreme im Mund. Grrr.
Der Drucker rattert, produziert mein Manuskript zum Anfassen. Ich sitze wie ausgehöhlt, die Schilder der Bahnhöfe rauschen seit Tagen einer nach dem anderen an mir vorbei, da scheint kein Ausstieg geplant aus diesem Kopf.
Der Moment aber, er wäre passend; ich muss mal raus. Diesen Geschmack loswerden. Gestern suchte ich nach einem Laden hier in K****, der Masken anbietet. Fand einen im Netz, morgen werde ich hingehen und mir ein zweites Gesicht zulegen. Ich hab’ es bereits ausgesucht, die Maske sprang mich geradezu an aus den Hunderten, die auf der Site abgebildet sind. Eine Nacht lang eine Andere sein. Die entsprechende Kleidung hängt am Bügel, ich dachte mir schon, bevor ich abreiste, dass ein solcher Moment eintreten würde. Könnte kritisch werden ohne Begleitung, doch ich werde für beide Wege ein Taxi nehmen, und dort, wo ich hinfahre, ist es sicher.
Auf dem Weg werde ich bei dem Händler halten lassen, der diese orientalischen Süßigkeiten verkauft.

Schreiben ist wirklich ein seltsames Tun. Ich meine, Fiktion schreiben. Die Parallelwelten, die eine erfindet: sie wird sie nicht mehr los. Es ist erstaunlich, wie viel Platz da oben ist für Bilder und Möglichkeiten. Einmal kartografiert, fühlt es sich wie Verrat an, diese Bereiche nicht zu durchwandern. Immer wieder. Mit Details auszustatten. Angrenzende, noch brach liegende Gebiete zu erkunden. Doch dieses multi-optionale hat seinen Preis. Für mich. Nie kehrt wirklich Ruhe ein, immer ist da dieses Zerren, das von den blinden Flecken ausgeht, die noch gefüllt werden wollen. Immer Rezeption, Rezeption. Ein Monster.
Deswegen Masken: zur zeitweiligen Reduktion der Fülle. Diesen Mund, der ständig nach innen spricht, von einem anderen schließen lassen. Die Vorstellung, eine Nacht lang nicht mehr als fünf Sätze zu sagen. Einfach nicht zeigen, wer man ist. Sondern was.

20:08
Ich liebe Sommergewitter. Meine Taube sitzt draußen sehr nass, sehr exponiert auf einem kahlen Ast, dem höchsten weit und breit. Entweder sie ist zu blöd, um weiter unten im Blattwerk Schutz zu suchen, oder sie duscht. Ihr Umriss zeichnet sich perfekt gegen den graurosa Himmel ab. Meine Fenster stehen alle weit offen; eben hat sich ein dicker Regenbogen gespannt. Die Taube singt. Sie hat jetzt ein Badezimmer in Multicolor.

5 Gedanken zu „Blinde Flecken. Pfingstmontag, 13. Juni 2011

    • Nein nein, es kann gar nicht zu viele geben, nicht für mich, und nicht von Ihnen. Ich habe vor einiger Zeit schon bei “Notizzettel” (mac-user halt) einen grünen mit einer Leseliste angelegt. Viele dieser Empfehlungen stammen aus Ihrer Hand, ob nun hier oder drüben auf den Gleisen. Und danke dafür!

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