Hübsche Hoden. Sonntag, 10. April 2011.

Falls ich je sterbe und die Menschen, die mich lieben auch, darf mich der Rest der Menschheit vergessen. Ich muss keine Spuren hinterlassen, keine Nachkommen, kein Werk. („Jackpot!“)
Vor Jahren schon schloß ich die Birke vor meinem Fenster ins Herz, und eine Platane im elterlichen Garten, unter der liegt eine Handvoll Vater. Wenn die Platane ihre Bällchen produziert, mittels derer sie sich fortpflanzt, denke ich jedes Jahr: „Hübsche Hoden.“ Vater wäre entzückt. Ich fand’s schon immer zwiespältig, an Fleisch gebunden zu sein, ein unmerklich rottendes Heim. (Genießen Sie es! Bringen Sie es zum Duften!) Bäume durchlaufen den Zyklus jedes Jahr, Fleisch nur einmal. Mein Körper ist im Sommer angelangt, doch, was Bäume können, jedes Jahr neu aufwachen, kann er nicht, und mein linkes Bein? Nach dem Schneiden halb taub. Die menschliche Wirbelsäule ist kein Stamm, dennoch, jemand schnitzte mir seine Initialen in die Rinde. Beschweren geht nicht, bei wem auch, anderen geht’s so viel schlechter, nicht wahr. Wir haben den freien Willen – nein, der freie Wille hat uns: wir sind ihm aufgesessen. Wehe, wenn er doch nur ein Thekentrick ist.
Wir, als geistig, gesellschaftlich, orthopädisch Privilegierte, sollen nicht klagen, solange Freidenker und -innen Leib und Leben riskieren: woanders. Nur, das Relativieren greift auch zu kurz. „Legitimes Leid schlägt illegitimes“? Wer das Leid (oder die Freude) Anderer er-messen will, liegt oft daneben. Wir verfeuern unsere Blüten und hadern, wenn die Rauchsignale nicht gewürdigt werden, wir streben danach, anderen ein Begriff zu sein, künftigen Generationen. Bei mir kommt das an siebter Stelle, frühestens: Mein Talent findet jetzt statt, nicht im Weltkulturerbe. (Oder doch? Wird mich herzlich wenig interessieren, wenn ich Dünger für die Platane bin)
Stattdessen? Masterplan gibt’s nicht: Niemand steht am Ende Ihres Weges und kontrolliert Ihre Erledigt-Liste, bevor sie rein dürfen. Sie dürfen auf jeden Fall rein. Also? Weitermachen. Am besten, immer ein bißchen verschwenderischer, als man sich’s zutraut. „Darf ich Sie umarmen?“ rief ein Mädchen vor einigen Tagen nach dem Schreiben, „ich auch, ich auch“ schrien die anderen, die kamen dann alle gleichzeitig. Bevor sie in dem Loch verschwanden, das zur U-Bahn führt, hörte ich, wie die Frechste zu den anderen sagte: „Werdet erwachsen.“ Soll heißen: Macht euch nichts vor, Mädels, die Realität ist nicht so rosig, wie sie sich für ein paar Tage oder Wochen mit dieser Frau anfühlt.
Weitermachen. Und der Sehnsucht nach dem gemeinsamen Nenner nicht zuviel Raum geben, denn der tendiert dazu, immer so klein zu sein. Der Herdentrieb ist wirklich übel, aus dem entsteht weder Werk noch Verschwendung.

Sorry wegen des irreführenden Titels, übrigens. Alle, denen zum Sonntag ein Beitrag mit etwas mehr Sex gerade recht gekommen wäre, bitte die Zunge raus strecken. Für die Oblate ; )

21 Gedanken zu „Hübsche Hoden. Sonntag, 10. April 2011.

    • @saxana (Ich hab’ den doppelten gelöscht, kein Problem. Keine Ahnung, welchem Spamfilter Sie da ursprünglich erlegen sind – ich war’s jedenfalls nicht : )

      Die gezeichnete Uhr ist nicht von mir, im Gegesatz zu allem übrigen, was Ihnen hier auf TT an Zeichnungen begegnet. Klicken Sie einfach mal drauf, dann kommen Sie auf die clocklink-Website und können sich selbst eine runterladen.

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