Heute Nacht stürzte ich von einem Berghang in die Tiefe. Nicht, ohne mich von meiner Familie zu verabschieden: sie standen an der Kante, während ich fiel. Nein, gewunken haben sie nicht. Ich fiel mit Bedacht, erwartete den Aufschlag, schlug auf. Sterben üben. So macht mein Hirn das. Es sterben grad so viele, da lässt man sich in seiner Hilflosigkeit nachts etwas einfallen. Wie Gift aus einer fremden Wunde saugen und selbst daran eingehen. Später kommt mir eine kleine alte Frau entgegen, immer noch adrett wie ein Veilchen. Sie legt sich hin. Meine Magengeige spielt, sagt sie noch. Als ich wieder hinsehe, lächelt sie.
Auch mixe ich Menschen, die aus schwer versehrten Stadtlandschaften fliehen, mit Rudeln, die auf Müllhalden leben: Kinder. Ratten. Vögel. Schutthalden schlucken Geräusche, sie riechen aber. Mir ist vom Sterben noch übel. Ich höre den Klang leerer Wasserkanister, die auf Kies gestellt werden, und ferne Baggermotoren. Ich denke: Atom. Ein Männername. Atom Egoyan, guter Filmemacher. Selbst, während ich nur atme, denke ich: Atem. Alles ist Scherenschnitt in diesen Tagen, harte Konturen, im Inneren schwarz. Die Narzissen auf meinem Schreibtisch sind riesengroß. Wie Mutanten, denke ich. Sie riechen schwül, als sei schon Sommer.
Ein schaurig-schöner Text
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Ich liebe diesen Text!
@Eugene Faust & Ralf Gerade, weil mir das Schreiben momentan so schwer fällt: danke für den Zu-Spruch.
narzissen erfüllen für mich sämtliche tatbestände des unkrauts.
@Walhalladada zu den Narzissen. Narcissos war eine andere Form von Dionysos (Antheus). “Nachdem seine Seele gefangen war, starb der Gott und kam in Gestalt von Frühlingsblumen wieder zum Vorschein. Der hellenische Mythos, daß Narziß aus lauter Liebe für sein Spiegelbild dahinschmachtete, war eine Neudeutung der älteren Geschichtew von einem Menschenopfer an dem Frühlingstag namens Hereoantheia, ‘Heldenblühen’.” Walker, 783.
Hierhinter steht der Mythos der Frühlingskönigs. Ich mag ihn, den Frühling, als Unkraut nicht sehen. Aber vielleicht ist es wie mit den Tauben, die wir mythisch als Christus verehren, aber real lieber vergiften, weil sie die Balkone zukacken.
Eine Belehrung, derer ich recht eigentlich nicht bedurft habe, trotzdem danke ich fürs Eingehende!
Keine Belehrung. Nur eine Friedenstaube. Die Sie da “zukackt”.
@Phyllis mein kommentar war alles andere als despektierlich gemeint, aber nach wie vor gilt: jeder jeck ist anders:)
Ach lobster, dass Sie aber auch noch niemand lehren konnte, sich ein bißchen zusammenzunehmen.
Lobster, das ist aber wohl nur “punktuell” gemeint, oder ?
( sind Sie ein Rundumschläger )
ät ol dachte mir gerade, was oder wer schreit denn da im hof so abgedreht wie ich ?
gerüstbauer.
( eigentlich hab ich euch doch alle lieb, fiep )
Vielleicht riecht es wirklich gerade ein wenig streng, vielleicht aber auch nicht.
Verrate jetzt bloss nicht, Lobster, dass Ännie schon nach dem dritten J. gestern meinte, dass es nie nie niemals eine Emanzipation ( der Frau, vom Männlichen = ja auch Phallischen ) geben kann und dass sie garantiert mehr als 100 Männer “hatte”.
Wäre etwas zu putzig hier an dieser Stelle, Monsieur Lobster, eine Art Remonstration
eines möglichen hic et nunc usw..
Ein Prosit.
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@Wallhalladada Wees ick doch ; )
“Alles ist Scherenschnitt in diesen Tagen, harte Konturen, im Inneren schwarz.” Dieser Satz ist so schrecklich schön und trifft so genau das Weltgeschehen, wie wir es derzeit erleben, verzeihen Sie, Sie schildern eine Sorte Alptraum. Aber ich bin froh, dass Sie ihn gehabt und literarisch verarbeitet haben.
@Trithemius Er dauert an, werter Trithemius.