Ent-erdet. Sonntag, 13. März 2011

Manchmal ist das Außen so übermächtig, dass das tägliche Apfelbäumchen die Wurzeln einrollt und sich weigert, gepflanzt zu werden. Seit Tagen geht mir das so. Ich schreibe drei Sätze und lösche zehn, die sieben noch unformulierten gleich mit. Von den nächsten drei lösche ich zwanzig – wenn ich so weiter mache, werde ich unsichtbar. Nun, es ist nicht das erste Mal, dass ich derart ins Schlingern gerate: immer dann, wenn mir die Außenperspektive zu massiv ins Gemüt drängt, die Membran zu durchlässig wird.
Ich weiß, wie ich da wieder herauskomme. Und bitte um etwas Geduld, geschätzte Leser:innen.

19:20
Ich lese hier und da: immer wieder unterbrochen von Überlegungen, warum jetzt dieses und kein anderes katastrophales Ereignis mir so die Gleise zerschmettert.
Vielleicht, weil meine Familie schon immer eine Anti-AkW Familie war, auch meine Großmutter mischte da kräftig mit, die bei uns im Hause lebte. Als Teenager war ich’s dann leid und zog mich aus der Farbe Grün zurück. Und erinnere mich noch gut, mit welch schlechtem Gewissen ich als Studentin meine erste Rolle Küchenpapier kaufte – so etwas umweltschädigendes hatte es im Elternhaus nicht gegeben. Auch laufendes Wasser war verpönt. Und Verpackungen. Heutzutage ist das ganze vermeintliche Biozeug in Plastik verpackt – meine Oma, würde sie noch leben, sie würde es den Supermarktsleitern vor die Füße werfen.

18 Gedanken zu „Ent-erdet. Sonntag, 13. März 2011

    • @Weberin Angesichts dessen, was an Krisen und Katastrophen außerhalb dieses meines Schreibtischs passiert, ist Angemessenheit ein gefährliches Wort – ein Anspruch, dem ich weder schreibend noch zeichnend gerecht werden kann, weder mit meinen Themen, noch mit meinen Möglichkeiten der Einflußnahme. Es passieren ständig weltweit fürchterliche Dinge, die meinen privaten Kosmos sehr selbstbezüglich erscheinen lassen. Jede Minute stirbt ein Kind an irgendwas, Aids, Hunger, was weiß ich. Wird eine Frau vergewaltigt. Stirbt eine Tierart aus, bricht ein Ökosystem zusammen. So viele Schweigeminuten hat ein Tag gar nicht, wie man bräuchte, um sich all dessen gewahr zu sein.
      Und ich gehöre zu jenen, die fernes Unglück oft ausblenden (müssen), um für die tägliche Arbeit Kraft zu haben. Das Bewusstsein dieser Gleichzeitigkeit ist kein Zustand, in dem ich mich konzentrieren, geschweige denn einen guten Satz formulieren kann.

    • @Sturznest Es ist schon verdammt viel gerufen worden in der Sache. Wäre der Willen der Bevölkerung ausschlaggebend, die Dinger, zumindest bei uns, wären längst vom Netz. Aber die Frage ist eine ganz andere.

    • Man muss sich aber auch selbst bewusst werden, was man für saubere Energie schon jetzt tun kann, letztlich entscheiden auch wir, wenn wir in die Gemüsekiste greifen, den Stromanbieter wählen, und wenn man die Wahl hat, sprich, ein paar Euro dafür über, dann muss man keinen Atomstrom beziehen, und wo kein Bezieher von Atomstrom, da kein Anbieter, der dran verdienen könnte und so ein Ding betreiben, oder ist das zu einfach?

    • @Sowieso. 1) Es gibt keine saubere Energie. Energie wird immer aus Prozessen gewonnen, die Folgen haben. Selbst die lange Zeit so beschwärmten Windkraftwerke haben enorme ökologische Folgen, um von der Verbrennung fossiler Brennstoffe, nämlich Kohle, einmal ganz zu schweigen.
      2) Die von Ihnen vorgeschlagene Privatlösung ist, menschlich betrachtet, selbstverständlich einerseits richtig, aber löst andererseits nicht das Problem, weil die hauptsächliche Energienutzung nicht direkter Bedarf jedes einzelnen Menschen ist, sondern weit größere Energiemengen gehen in die Industrie, die Infrastruktur, die Krankenhäuser usw. Es würde bei der Nutzung sog. sauberen Stromes also insgesamt zu enormen Umkalkulationen kommen, die schließlich das Leben nicht nur um den vergleichsweise geringen Betrag teurer machten, der etwa ökologische Produkte von “normal” produzierten Lebensmitteln unterscheidet. Ich bin mir nicht sicher, ob allein die große Menge der Hartz-IV-Empfänger derartige Reduktionen ihrer ohnedies schon knappen Lebensumstände zu tragen bereit wäre oder sogar sein könnte.
      3) Ein allein-nationaler Ausstieg aus der Atomwirtschaft hätte, wenn nicht andere Staaten folgten, für den Export, dann gleich für die Börsen und damit etwa für einen Großteil der Altersversorgung extreme Folgen; möglicherweise könnte ökonomisch in keiner Weise mehr Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt gehalten werden, was die Volkswirtschaft in große Klemme brächte. Es ist ein bißchen wie, alleine einen Waffensperrvertrag zu unterzeichnen, während um einen herum die meisten anderen Staaten aufrüsten, unter denen auch einige sind, die sehr wohl im Auge haben, von ihren Arsenalen Gebrauch zu machen.
      Lösbar wird das Problemfeld nicht, bevor wir nicht eine funktionierende UNO haben, deren Direktiven dann auch international… nein: global gefolgt wird, sprich: eine gewählte Weltregierung, die der Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive, Jurisprudenz und – wichtig! – politische Unabhängigkeit der Geldwirtschaft nach Art der ehemaligen, von Kohl dann zerstörten Bundesbank – untersteht.

    • Ich weiß nicht so recht, natürlich ja, die Wirtschaft, die Krankenhäuser, die Städte, ja ja ja, und doch, nö nö nö, Atomkraftwerke sind ja eigentlich veraltete Technologie, Brasilien speist fast alles aus Wasserkraft, Itaipú, klar, Umsiedlungen, all das, sauber ist das nicht, aber die Folgen wohl weit weniger lebensbedrohlich für Generationen nach uns. Ich weiß nicht, ich hab in der Nähe eine Giftmülldeponie gelebt und demonstriert, ich kann und will nicht glauben, dass es heißt, gibt keine Alternativen, dafür gibt es Menschen, dafür gibt es Unis, genau dafür, dass man immer weiter sucht und nicht aufsteckt und sagt, so, das ist das Ende der Fahnenstange, dabei muss man nun bleiben, ich bin überzeugt davon, dass man nicht durch jedes Klo Trinkwasser spülen muss, wie ich auch davon überzeugt bin, dass es eines Tages Solarzellen gibt, die weniger Schaden für die Umwelt anrichten und in der Wüste vielleicht auch nicht hübsch aussehen, aber letztlich niemanden verstrahlen. Und Windräder sind sicher auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss, eines Tages wird man die Energien, die jetzt einen Tsunami antreiben und Unglück über besiedeltes Gebiet bringen vielleicht selbst nutzen können, Erdinnenwärme, man fördert Öl aus den Tiefen, warum nicht die Hitze der Vulkane nutzen? Menschen konnten lange nicht fliegen, aber sie haben vor gar nicht langer Zeit versucht, sich was auszudenken, wie es wohl gehen könnte, und ich glaube, genau das bringt uns auch wieder weg von den Geistern, die wir gerufen haben. Ich hoffe es. Nicht immer sagen, geht nicht, und Human Nature ist nun mal so, aber es gibt nun mal den runden Kopf, damit das Denken die Richtung wechseln kann, auch wenn es sich dann immer noch dreht, Ihr Sohn wird Ihnen das noch zeigen und sie werden mit froh drum sein, bin ich überzeugt von. Vermutlich wird der auch noch ein monogamer Mittelständler bei dem sie mal auf der Terrasse schaukeln und sich die Pfeife stopfen;-). Eigentlich sind sie doch eh auch ein Teilhippie, geben Sie s doch zu.

    • @Sowieso. Hm, also ein Teilhippie bin ich sicherlich nicht, weniger, weil ich nicht “Teil” wäre, das kann sicher nicht bestritten werden, daß ich’s bin – aber “Hippie”? Nein. Schon aus ästhetischen Gründen, schon aus meiner Neigung zum Luxus – eigentlicher weniger meiner eigenen, ich lebe ja nun wirklich einfacher als die meisten derer, die sich den Hippies zugehörig fühlen, mich interessiert auch meine Altersversorgung nicht, ich habe außer der KSK nicht eine einzige Versicherung, weil ich sowas für überflüssig halte, jedenfalls für überflüssig genug, um zu deren Finanzierung nicht Lebens- und Arbeitszeit, was bei mir dasselbe ist, zu opfern; ich fahre nur mit dem Fahrrad und nutze sonst die Bahn, und wenn ich rauche, was ich bekanntlich viel tu, dann ausschließlich naturbelassene Tabake; weil ich zu den Raubtieren gehöre, esse ich auch Fleisch, nicht übermäßig viel, aber eben doch, und auch Pflanzen esse ich, von denen einige, sofern sie über Wahrnehmung verfügen, ganz sicher nicht einverstanden sind mit ihrer Verwendung. Usw. Also eigentlich weniger wegen meiner eigenen Neigung als mehr wegen der des Frauentypos’, der mich erregt, was dann wieder heißt, daß meine Fantasie angeheizt wird, die in die Bücher führt.
      Doch zur Sache selbst. Ich kann schlichtweg nicht beurteilen, wie sicher etwas ist oder nicht; ich kann vor allem die Energie-Alternativen nicht beurteilen. Dazu kommt, daß ich bezüglich der Atomkraftwerke restlos angstfrei bin. Ich empfinde unseren Straßenverkehr als signifkant riskanter, und die Opferzahlen geben mir recht. Nun empfinde ich Risiken obendrein als reizvoll, mir ist das sog. Sicherheitsdenken vollkommen fremd, ja ich stehe ihm feindlich gegenüber – wobei ich sehr wohl weiß, daß dies eine luxuriöse Haltung ist – mein wirklicher, eigentlicher Luxus -, zu der Menschen, die tatsächlich in Not leben – und nicht ein einziger in den westlichen Gesellschaften gehört dazu, auch ein Obdachloser nicht -, eine ganz andere Meinung haben und haben müssen.
      Das Entscheidende ist aber, daß ich es erstaunlich finde, wie wenige von denen, die so heftig gegen die zivile Nutzung der Atomkraft demonstrieren und nach alternativen Energieformen rufen, dafür tun, daß es solche Energieformen geben wird. Wie viele von all denen, denen es angeblich auf die Sicherheit und die “Umwelt” ankommt, werden denn bitte Physiker, Chemiker? Wenn es tatsächlich so dräut, müßten wir einen Boom hart arbeitender, ja leidenschaftlicher, besessener Narurwissenschaftler haben, sei es in der praktischen, sei es auch in der theoretischen Naturwissenschaft. Und dazu einen ungeheuren Schwung von Ingenieuren, ja zumindest von Erfindern. Und wenigstens hielten wir unsere Kinder dazu an und legten ihnen den Grund dafür, Physiker, Chemiker, Ingenieure zu werden und Ärzte, Pharmakologen und und und.
      Daß ich selbst es nicht wurde (etwas, das ich, seit ich etwa dreißig bin, immer wieder bedauert habe), findet zumindest eine kleine Berechtigung darin, daß ich die Ängste der Demonstranten nicht teile; ich habe so ein inneres Insch’allah, das es mir aber umgekehrt ermöglicht hat, die mir viel wichtigere poetische Arbeit voranzutreiben, und zwar im genauen Blick auf die möglichen ökonomischen Katastrophen, die das, vor allem auch im Alter und im Fall einer schweren Krankheit, für mich bedeuten kann. Ich bin überzeugt davon, daß wir, wenn wir einigermaßen wohlgeraten sind, im Leben genau das tun, was uns das Wichtigste ist. Einige werden Komponisten, andere werden Dichter, wieder andere Ärzte und eben Physiker… und dann gibt es den Großteil derer, die eben das werden, was ihnen nach ihren Möglichkeiten die größte Möglichkeit bietet, ihre Konsumlust zu befriedigen: sie wollen gutes Geld verdienen, das sie dann ausgeben können. Die “Sache selbst”, mit der sie es tun oder zu tun hoffen, rückt ins zweite, vielleicht sogar achtzehnte Glied.

    • @ANH Ich denke “angewandte Naturwissenschaft” ist der bessere Begriff, denn Naturwissenschaft ist, Grenzfälle einmal außer Acht gelassen, immer praktisch, weil empirisch (experimentell) gearbeitet wird und immer theoretisch, weil Hypothesen getestet und Theorien gebildet werden.

      Die meisten Menschen (Physiker, Chemiker,…) etc. tun m.E. meist das was ihnen unter den gegebenen Umständen das Liebste ist (und sehr oft ist so, dass sich das Liebste gar nicht so einfach festmachen lässt).

      Man wird heute nicht einfach Naturwissenschaftler, sondern muss sich einem sehr harten Wettbewerb aussetzen, der oft zu Lasten persönlicher Bindungen, u.a. geht, das sollte man berücksichtigen, außerdem hat nicht jeder die Qualifikation dafür (z.B. Arbeit die in Pedanterie ausarten kann). Das impliziert, dass sich die betreffenden Personen, nur den Themen widmen (können), die sie persönlich faszinieren und nicht jenen, die vielleicht aus gesellschaftlicher Sicht notwendig wären.

  1. @Angemessenheit Es gibt keine “angemessenen” Gefühle. Wenn Gefühle extrem oder diffus sind (beispielsweise im Angesicht weit entfernt stattfindender Katastrophen, die eine sehr abstrakte Form des Mitleidens auslösen und denen gegenüber auch nur sehr abstrakte Formen der Hilfe möglich sind, wenn überhaupt), ist es schwer, bisweilen unmöglich, ihnen Ausdruck zu verleihen.

    Was man versuchen kann: Verstehen. Was geschieht? Welche Ursachen hat es? Welche Folgen sind zu erwarten? Sich kundig machen. Gefühle nicht ausblenden. Auch verstehen lernen: Wie verhalte ich mich warum dazu? Gibt es dabei Verpflichtungen, an die ich mich gebunden fühle?

    Ich werde an den bundesweiten Mahnwachen für einen Ausstieg aus der Atomkraft morgen Abend teilnehmen. Das wird mir nicht angenehm sein, weil das Demonstrieren in Gruppen immer Unwohlsein, Nicht-Identität, Fluchtreflexe verursacht. Die werde ich unterdrücken. Diesmal. Morgen. Nicht weil ich es angemessen finde, sondern weil ich es richtig finde.

    • @MelusineB Menschenmengen und Parolen sind mir so unangenehm, dass daemonstrieren für mich die passendere Formulierung ist. Trotzdem werde auch ich mittun. Die Fragen aber bleiben, und das Diffuse, von dem Sie sprechen. Eigentlich möchte ich am liebsten einfach mit dem weitermachen, was meine Arbeit sowieso ist: innerhalb meiner Möglichkeiten und meines sehr, sehr subjektiven Verständnisses an Wachstumsprozessen mitwirken. Meinen eigenen und denen meiner Schüler:innen. Sobald ich diesen Maßstab verlasse, hab ich das Gefühl, allzu leicht auf die jeweiligen Interessen derer hereinzufallen, die über das nächst breitere Wissen verfügen: ich werde manipulierbar und banal. Und das ist etwas, was aus einer Demo schnell eine Daemo machen kann.

  2. Diejenigen, die hier gerne lesen, vielleicht weil es ihnen wertvoll erscheint oder etwas Anderes bedeutet, werden ein paar Tage ohne Texte auskommen: Sie lesen ja nicht, weil hier irgendetwas steht oder stehen soll.

    [Ich würde einfach das Gegenteil tun, nämlich nichts. Wenn etwas da ist, macht es sich ohnehin bemerkbar*.]

    ——

    *bitte nicht als Ratschlag missverstehen

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