“Das Fatale an Romanen”, sagte John Rivers, “ist, daß sie zuviel Sinn ergeben. Die Wirklichkeit ergibt nie einen Sinn.”
“The genius and the goddess”, Chatto and Windus, 1955
(zugetragen von shhhhh)
“Das Fatale an Romanen”, sagte John Rivers, “ist, daß sie zuviel Sinn ergeben. Die Wirklichkeit ergibt nie einen Sinn.”
“The genius and the goddess”, Chatto and Windus, 1955
(zugetragen von shhhhh)
Ich kenne nur den ersten Satz dieses Romans, und in Kenntnis dieser Formulierung möchte ich sagen: Mit Verlaub, Mr Rivers, Sie haben Unrecht!
Was Sie hier beklagen, ist in keiner Weise fatal. Es ist vielmehr großartig. Ergäben Roman und Leben gleichermaßen viel oder wenig Sinn, bräuchte man das eine oder das andere nicht, weder als Korrektur des momentanen, noch als Ideal eines kommenden Zustandes. Gerade dass das eine mehr Sinn produziert als das andere ist das Geschenk. Nur durch diese Differenz macht Lesen überhaupt Sinn. Und einzig durch diese Differenz macht auch das Leben einen Sinn, denn der Sinn ist diese Differenz!
Außerdem, Mr Rivers: Der Sinn ergibt sich nicht wie der Bankräuber der Polizei (oder umgekehrt). Man muss ihn vielmehr herstellen. Das ist Arbeit. Und zwar eine, die nur in genauer Abstimmung von Polizisten und Bankräubern stattfinden kann.
Schließlich: Ein ergebener Sinn ist ungefähr so erotisch wie ein Eunuch. Der Sinn des Sinns ist nicht seine Ergebenheit, sondern sein Widerstand.
(So, ich lese jetzt weiter im Niebelschütz, „Kinder der Finsternis“. Auch darin findet sich ein Anfangssatz der in die Kategorie hierher gehört. Den soll lieber der Alban einstellen, von dem habe ich den Hinweis auf diesen Schriftsteller.)
Aléa
Der große, ach was, der größte Realist deutscher Zunge, Martin Mosebach, schreibt in seinem Essay ‘Wer einen Roman schreibt – sollte der wissen, was ein Roman ist?’ das folgende:
“Das Bestreben, die Welt mit den Mitteln der Erfindung zu zeigen, wie sie ist, scheint dem Naturalismus und dem Realismus gemeinsam, aber der Naturalismus hat hier offenbar einen Vorsprung. Er sammelt bei seinen Recherchen unerschrocken alle Phänomene der Wirklichkeit, er blendet kein Wahrnehmungsorgan aus und weigert sich, den Ekel, die Scham, den Takt, die Rücksicht als Grenzen seines Tuns zu akzeptieren. Er befürchtet, daß all dies von dem Interesse geleitet sein könnte, die geschilderten Verhältnisse irgendwie zu beschönigen, und daß solche Beschönigungs-Absichten ein Zeugnis unwürdiger Ängste oder gar des handfesten Betrugs seien. Und diese Befürchtung trifft ja allzu oft ins Schwarze.”
http://www.sinn-und-form.de/?tabelle=leseprobe&titel_id=4299
Ist natürlich fürchterlich aus dem Zusammenhang gerissen, doch der Gedanke, die Welt neu zu erfinden, um sie so abzubilden, wie sie wirklich ist, der hat so was Realistisches, finde ich, dem kann man sich gar nicht entziehen … oder?
Die Welt neu erfinden Ich applaudiere da Judith Kuckart:
»Erfinden ist nicht lügen. Erfinden heißt, mit der Wirklichkeit so umgehen, dass sie einem abenteuerlich gut tut.«
Da gehe ich aber unbedingt d’accord und nun spazieren!
Ay’e, Ay’e, Ma’m Torik! – Wolf v. Niebelschütz / Die Kinder der Finsternis
[Wolf v. Niebelschütz, Die Kinder der Finsternis, Roman, 1959.]
Und weil ich schon mal dabéi bin:
[Wolf v. Niebelschütz, Der blaue Kammerherr, Galanter Roman in vier Bänden, 1949.]
Ach, man Alban! Es ist noch nicht lange her, da war ich die schöne und gescheite Aléa. Zwischendurch war ich sogar für einige Minuten frivol! Jetzt bin ich nur noch Ma’m Torik. Aber ich nehm es so hin, vielleicht hat die neue Rolle auch Vorteile.
Ich hatte es falsch in Erinnerung, der erste Satz ist sehr kurz. Ich stelle den folgenden noch dazu: „Es lag ein Bischof tot in einer Mur am Zederngebirge fünf Stunden schon unter strömenden Wolkenbrüchen. Die Mur war hinabgemalmt mit ihm und seinem Karren und seinen Maultieren und seiner Geliebten, unter ihm fort, über ihn hin als schmettere das Erdreich ihn in den Schlund der Hölle, kurz vor Anbruch der Nacht.“