“The news about Walter Berglund wasn’t picked up locally – he and Patty had moved away to Washington two years earlier and meant nothing to St. Paul now – but the urban gentry of Ramsey Hill were not so loyal to their city as to not read the New York Times.”
“Freedom”. Farrar, Straus and Giroux, 2010
ISBN 978-0-374-15846-0
(Bin erst auf der Hälfte, deswegen ohne Kommentar, aber mit genüsslichem Seufzer)
Ein phänomenaler Roman! dieser hatte mich so begeistert, wenige Zeit nach dem lesen habe ich mir ebenso begeistert auch ‘die Korrekturen’ zu Gemüte geführt. Man beachte den sozialen Wandel und Verfall der traditionellen Arbeits- und Familienverhältnisse, die emotionalen Belastungen der zur Flexibilität Zurechtgebogenen, begrenzt in den immer beschleunigteren, fragileren oder prekären Erwerbsstrukturen, die Franzen so treffend beschreibt. In diesem Roman Insbesondere auch der fast schon antagonistische Konflikt des Ideals der Freiheit, Autonomie und Emanzipation gegenüber dem amerikanischen Sklavenhalterliberalismus oder unserem Neoliberalismus.
Franzen ist toll. Neben allem, was Sie für mein Empfinden richtig anmerken, ist es seine Strenge, die mir gefällt. Dieser Skalpellblick. Der trotzdem nicht ohne Humor ist. Ich stelle mir manchmal vor, dass er beim Schreiben hin und wieder grinst. Muss ihn mal fragen, ob das stimmt.
Ich bin davon überzeugt, dass der Humor NICHT auf Franzens Konto geht, sondern in diesem Fall wirklich “im Auge des Betrachters” liegt.
Für mich ist Franzen ein sehr guter Handwerker (derzeit einer der Besten) und ein messerscharfer Beobachter dazu. Doch sein Schreiben ist chirurgischer Voyeurismus, nur auszuhalten, wenn man mehr Heiteres herausliest als Franzen hineingeschrieben hat. Mein Problem mit ihm ist, dass ich ihm unterstelle, seine Protagonisten nicht bedingungslos zu lieben. Pathologenliteratur irgendwie.
@schreiben wie atmen Sie haben recht – seitdem ich Ihren Kommentar (und weitere fünfzig Seiten) las, wird mir klar, ich ergänze eigenhändig, was mir an Franzen fehlt: das Augenzwinkern.
“Seine Protagonisten lieben” … darüber hab’ ich noch nicht viel nachgedacht, ist das so? Würde Abneigung sie nicht auch stark machen? Ich frage das theoretisch, denn ich liebe meine Protagonistinnen durchaus, und hemmungslos, besonders Ebba, die Sie ab Frühjahr 2012 kennen lernen werden.
Die Patty aus “Freedom” dagegen macht mich fuchsteufelswild. Eine vergleichbare Abwehrreaktion erlebte ich nur einmal zuvor – bei der Bess aus Lars von Triers “Breaking the waves”.
Patty ertrage ich nur, weil sie als älteres Selbst von ihrem jüngeren berichtet: die gefühlte Distanz puffert meine Aggressionen ein wenig ab.
Seine Protagonisten zu lieben erscheint mir unerlässlich. Wenn ich mir die Freiheit nehme, einen Menschen zu erfinden, um über ihn zu schreiben, gehe ich damit meiner Meinung nach auch eine Verpflichtung ein.
“Lieben” heißt für mich in diesem Zusammenhang, all seine Aspekten wahrzunehmen und wertzuschätzen. Das heißt, ich habe auch die “andere Seite” dieser Figur im Blick, die nicht gelebten oder die zurückgelassenen, scheinbar verlorenen Anteile.
Das trifft sich wiederum sehr schön mit Ihrer Darstellung Ihres Verhältnisses zu Patty: die gefühlte Distanz besteht auch innerhalb des Menschen, innerhalb jeder Figur. Distanz zwischen den Persönlichkeitsanteilen ist dem Menschen geradewegs immanent – ein naturgegebener Nukleus für eine Schizophrenie möglicherweise.
Wenn mir aber klar geworden ist, dass in meinen Protagonisten zugleich Tag und Nacht, Gut und Böse herrscht, egal wie niederträchtig, häßlich oder sympathisch sie beschrieben sind, dann liebe ich sie schon deshalb, weil sie mir (und allen anderen Menschen) darin gleichen.