TTag, 5. Juni 2010. Von Flegeln und warmen Steinen.

Wie still es war heute morgen, als wären alle fort. Noch liegend zog ich mein linkes Bein an die Brust, Hände um den Oberschenkel. Fühl’ was. Da ist immer noch Taubheit, die sich zum Fußrand hinunter zieht. Wie langsam der Nerv erwacht, von seinem Ärger los lässt, so gequetscht worden zu sein. Von meinem Unmut, sich überhaupt in diese Situation gebracht zu haben, will er indes nichts wissen.
Ich erhebe mich, Espressomaschine, Paulus Böhmers neues Buch auf dem Badewannenrand, ein paar Zeilen: wie man immer darin eintauchen kann, an jedem willkürlich gewählten Punkt. Mein Gefährte pflegt Bücher im Bad abzulegen, bringt mir meine Bibliothek zu Bewusstsein. Ich mag das, weil ich dazu neige, nur in die Hand zu nehmen, was sich als neue Lektüre an meinem Bett stapelt.
Schauen, ob sich Schlaflose heute Nacht geäußert haben: nein. Nur der Flegel, der kürzlich schon mal rumpanschte. Ich behielte ihn ja gerne da, wer weiß, vielleicht rappelt er sich noch, die Einladung ist jedenfalls ausgesprochen.
Nebenan bei cellini las ich eben von Thymian, der sich Steine aussucht, nah bei ihnen zu wachsen. Weil er die Wärme liebt, die sie speichern. Ich halte das ähnlich.
Gestern hab’ ich lohnarbeitstechnisch geschludert, muss das nachholen. Dann Park, Freunde, einen leichten Schwips in der Sonne, weil ein Glas zu heben ist: meine in England lebende Schwester hat Geburtstag – sei innig umarmt, semiothicghosts! Dies wird ein privater Tag.

[…]

»… eine Frau ist allein. Sitzt vor einem Spiegel.
Wie sie, vor dem Spiegel, alleine,
die Spuren an ihrem Körper bemerkt,
erfährt sie, alleine, den doppelten Verlust.
Ein Mann hat, seit seines Lebens, nur im Stehen geliebt,
als ob ihn das Lieben, anders,
auf die Seiten der Toten schlüge.
Und ein Pochen, ein Knistern, ein Rauschen,
und dahinein entwickelte sich das Gehirn
wie das Ballen in dichten Knäueln, wie das Fangen mit einer Hand
– jedes Kleinkind, das seine eigene, separate Haut entdeckt
weiß davon mehr als wir.
Wer einen Stein berührt, verändert ihn schon?
Wer das Meer berührt, macht es anders?«

[…]

Paulus Böhmer
aus: »Am Meer. An Land. Bei mir.«
Verlag Peter Engstler, 2010

23 Gedanken zu „TTag, 5. Juni 2010. Von Flegeln und warmen Steinen.

  1. …welch schönes Gedicht… Zur Wärme, die das Anorganische speichert, während das Organische verbrennt: Heute auf dem Markt legte mir der Händler das Wechselgeld in die Hand. Es hatte vorher in dem offenen Zigarrenkasten voll in der Sonne gelegen und brannte nun auf der Innenfläche: ein kurzer Schmerz auf der Haut und dann die Abstrahlung über die Nerven und Blutbahnen den Arm hinauf. Als würden die Münzen lebendig: Fährt die Sonne in sie, erhalten sie echten Mehr-Wert.

    • …back to the roots… und ich mach´ die Percussions…ach,ja…sich einschwingen, endlich, in den Sommer, leicht…und die “Coins” auf Tour im VW-Bus. Retro. —Jetzt hol´ ich meinen Hippie-Rock aus dem Schrank.

    • No problem Ich geb Ihnen den Tamburin (oder heißt es: das Tamburin?). Das machen Sie bestimmt gut. Und dazu lassen Sie die Fransen (Sie haben doch irgendwo Fransen?) schwingen…

    • Ich hab’ Fransen an Stellen, da kämen Sie nie drauf ; )

      Und n Tambourin kann ich auch schütttteln!
      Los geht’s also.
      Kann schon mal jemand den VW-Bus vorfahren?

      (Und Lobster als Pianoman muss auch mit)

    • VW-Bus und so… Wie alles sich mit einander verschränkt: Im VW-Bus schicke ich jetzt Baader, Meinhof & die Zwergwerfer auf eine Zeitreise (special guests: zwei langbeinige GermanyNextTopModel-Kandidatinnen). (Baader ist aber ziemlich sauer, dass er den weißen Mercedes und den auberginenfarbenen Porsche gegen einen VW-Bus eintauschen muss.)

      —Die Fransen…-:) und der Lobster – wo treibt er sich rum? Piano forte!

    • Baader, da wär’ ich schon mal gespannt, wie Sie den gegen die Zwergwerfer ausspielen. Oder umgekehrt. Ob sich die story so gut entwickelt, dass Sie sie später bei sich einstellen werden?
      Ich finde ja, Ihr Co-Schreiber mit der schmalen Unterlippe sollte auch noch mit rein in den Bus. Als Anhalter.

      (Der Lobster ist ein erratisches Geschöpf, perfekt für unerwartete Wendungen in der storyline : )

    • Erste Lieferung: Baader, Meinhof & die Zwergwerfer Morgen früh ist Deadline. Aber ich schaffe es nicht. Baader ist noch nicht mal zugestiegen. Die Zwergwerfer quasseln einfach zuviel.
      ER (der Co-Autor) und SIE (also mein Alter Ego) geben die Metaphysik (unreine Geister). Ist alles noch unausgegoren. Aber damit ich morgen früh nicht nackt (metaporisch) dastehe, habe ich es jetzt mal eingestellt: http://gleisbauarbeiten.blogspot.com/2010/06/baader-meinhof-die-zwergwerfer-special.html

  2. Oh ja, wer das Meer berührt, der macht es gewiss anders. Vollständiger bestimmt, denn es ist ja die Heimkehr eines Zugehörigen.
    Auch der Berührende wird verändert, er ist ab dann heimatloser sobald er das Meer wieder verlässt.

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