“Ehrgeiz”
Ursprünglich von Ehre und Geiz. Die mittelalterliche Bedeutung von Geiz ist aber Gier – Ehrgeiz bedeutete damals also nach Ehre gieren und nicht etwa mit Ehre geizen.
Ein zwiespältiger Begriff. Deswegen ersetzen wir ihn inzwischen gerne mit dem englischen Ambition, das klingt weniger verkrampft. (Von Ambition “getrieben” würde man nie sagen, auch nicht von Ambition “zerfressen”)
Ich sprach in den letzten Tagen mit zwei Künstlern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, außer in einem Punkt: Beide arbeiten radikal und kontinuierlich an ihrem Werk. Spezialisten in Sachen Ehrgeiz, könnte man meinen.
Der Erste versicherte mir, je mehr Druck auf ihm laste, desto leistungsfähiger würde er: Sein Ehrgeiz, ja Stolz, bestünde darin, niemals überfordert zu sein.
“Was ist Dein Antrieb?” fragte ich.
“Ich will Spuren hinterlassen. Ich will, dass mein Werk mich überdauert” erwiderte er. Die klassische Künstlerantwort: Ausweichend, aber solide.
Der zweite drückte sich anders aus: “Ich will ein Leben führen, das mich glücklich macht” sagte er. “Ich male, weil Malen das Einzige ist, was mich wirklich packt. Ich will den Flow.”
“Hm?”
“Diesen Zustand, der meinen schöpferischen Prozess begleitet” sagte er.
“Ist der dir wichtiger als das, was hinterher mit Deinen Arbeiten passiert?”
“Ja.”
Diffuse Aussagen. Man muss Stunden reden mit Künstlern, um zur Quelle ihrer Ambition vorzudringen – am Anfang versuchen sie immer, einen mit den bekannten Brocken abzufertigen: Sich in die Geschichte einschreiben, schöpferische Potenz, “nicht anders können” – die ganze Palette. Mach ich auch nicht anders, wenn ich gefragt werde.
Aber eines kann ich sagen: Die Idee, in meinen Werken fortzubestehen, wenn mein Körper mal nicht mehr da ist, motiviert mich kein Stück. Auch der klassische Ehrgeiz, sich schillernd aus einer Masse herauszulösen, ist mir eher fremd.
Ich mochte die Idee von Ehrgeiz noch nie. Obwohl ich ganz sicher Ambitionen habe. Nicht zu knapp sogar. Vielleicht ist es dieser angekoppelte Wettbewerbsgedanke, der mich so abstößt – der gesellschaftliche Kontext liegt mir einfach nicht. Die permanente Rede von “Leistungsbereitschaft” lässt mich schon fast automatisch auf Abwehr schalten: Zu laut dröhnt da die Instrumentalisierung mit.
Ich wollte mich nie um etwas bewerben. Ich wollte nicht gezwungen sein, Hindernisse aus dem Feld zu räumen, um meines eigenen Vorteils willen, schon gar keine menschlichen. Ich wollte auch nicht ständig Bereitschaft signalisieren, den Erwartungen anderer zu genügen. Ich habe ein geradezu unstillbares Bedürfnis nach Freiräumen.
Natürlich bleibt eine Künstlerkarriere auch nicht verschont von Zwängen, ganz im Gegenteil, wir kämpfen uns, wie alle anderen Arbeitenden auch, an den Vorgaben ab, die nun einmal “zum System gehören”.
Dennoch gibt es so etwas wie eine künstlerische Haltung. Sie ist keine Konfektionsware; man kann sie nicht kaufen, nicht erben und nicht leihen – jedenfalls nicht auf Dauer. Als ich beschloss, Künstlerin werden zu wollen, nein, eher eine zu sein, war es wegen dieser Projektion: Dass man als Künstler seine eigenen Regeln aufstellen dürfe. Sogar muss. Dass es möglich sein könnte, mit dieser speziellen Wahrnehmung (die man vor sich her trüge wie einen Schild) ein eigenes Revier aufzumachen.
Na ja. Damals war ich dreizehn.
Was geblieben ist: Die Haltung hinter einem künstlerischen Werk interessiert mich im Grunde nachhaltiger als das Ergebnis.
Ich hab’ eine ganze Menge geschaffen in den vergangenen Jahren – doch das, was ich nicht geschaffen habe, überwiegt bei weitem. Tausende verworfener, versickerter Ideen, Zeichnungen, Bilder, Texte. Ginge ich in der Beurteilung meiner Schaffenskraft nur von Ergebnissen aus, würde meine Bilanz eher ungünstig ausfallen: Sie würde verhagelt von allem, was unsichtbar geblieben ist.
Meine Ambition richtet sich aber mehr darauf, einen unverwechselbaren Blick zu praktizieren: Als Ausdruck einer Haltung, die auch außerhalb der künstlerischen Produktion wirksam wird. In den Zusammenhängen, in denen ich Lohnarbeit verrichte. Während ich durch den Park trabe. In meinen Beziehungen. Beim kochen, saufen, schweigen, denken, vögeln, bei einfach allem. Und: Ich will die Kontexte, in denen ich handle, durch meine Präsenz verändern. Mich in sie einschreiben. Alles, was ich bin – und kann – zielt auf diesen Moment ab, in dem Vermischung stattfindet.
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen: Ja, es ist die Haltung. Und es sind die freien Räume, selbstgeschaffene ‘Privilegien’, ein großes Glück! Außerdem ist ja selbst das eigene Werk nur geliehen, so kommt es mir oft vor. Das ist ein ganz gutes Gefühl. Man dient da einer Sache, von der man seltsam überzeugt ist, daß sie aus irgendeinem Grund wichtig ist.
(Und über ggf. ein Stipendium kann und darf man sich dann aber trotzdem freuen, wenn man das will…)
@Schneck08 Nachdem ich das Paris-Stipendium bekommen hatte, hab ich nie wieder eine Bewerbung geschrieben. Gut, dass Sie mich daran erinnern: Ich will es mal wieder angehen. (Wenn ich die Bewerberei nur nicht so verabscheuen würde!)
Die Zeit, die Zeit … Die Grenze, die Grenze … In dem Text dieser Woche finde ich den Nachklang von dem Vorhergehenden.
Wo fängt eine Aussage an? Wo fängt ein (Kunst)-werk an? Wo es endet wissen wir: Beim definitiven Ausgeschriebenen, beim gesagtem (da etwas radikaler) und beim “fertigen” Werk, das ist auch das, was gesehen, begutachtet, besprochen wird. Da ist der Fokus im Öffentlichen.
Aber aber, so geht es nicht. So kann es nicht gehen.
Was wäre ein Gedanke ohne die Vorarbeit im Gehirn? Wieviele Gespräche und Lektüre sind notwendig gewesen, bevor eine Aussage ihren Weg in das große Buch der Aphorismen finden konnte? Wieviel zerknüllte Papierfetzen, peinliche Tipperei oder dummes Geschwätz? Wie oft disputiert, Meinung gewechselt, Schicht für Schicht die Wahrnehmung befreit? Tief vergrabenes Wissen, was eine genau so plötzliche wie geniale Eingebung frei Haus liefert, auf dem silbernen Tablett, versteht sich.
Beim Pianist? Jede Dissonanz, jedes Verhauen in den Tasten Monate vorher ist schon Teil der genialen Improvisation.
Wir müßen nicht sofort alles Wissen und erklären und schaffen.
Du redest um den heißen Brei herum? Na, dann brauchst du Zeit, um deine Gedanken weiter zu spinnen. Oder vielleicht heute anders rum, du merkst, ich bin noch nicht bereit, dich auf dein Gedankengang zu folgen. Unmerkliche Zeichen korrekt interpretiert, die richtige Wahrnehmung, gelungene Kommunikation, Feingefühl …
Morgen ist noch ein Tag, in zwei Wochen führen wir das Gespräch fort, deine Zeichnung vom letzten Jahr gelingt dir jetzt spielend, sie ist schlüssig, dabei hast du sie nur wiedergesehen und dachtest ohne Ernst und Eile, “oh, ich könnte es noch mal versuchen. das war eigentlich eine gute Idee”, nur bis du jetzt weiter …
Wir vergessen so oft die Komponente “Zeit” und die Stratten, die wir unmerklich anlegen, fruchtbarer Boden.
Boden?
Eigentlich gibt es z.B. die “Pflanze” an sich alleine gar nicht, die gibt es nur, wenn Boden, Licht, Feuchtigkeit und Zeit miteinander spielen konnten …
Nicht wundern, dieser Text hat auch kein Ende