Disziplinierung

Ist der Mangel an Inspiration auch immer ein Mangel an Disziplin, wie Alban Nikolai Herbst heute in seinem Arbeitsjournal schreibt?
Und heißt das im Umkehrschluss, dass mit genügender Disziplin die Inspiration schon eintreffen wird?
Ich denke immer wieder darüber nach, was es ist, das diese Durchlässigkeit in der Wahrnehmung bewirkt, die ich brauche, um eigene Gedanken zu entwickeln, eigene Bilder. Entsteht selbstständiges, originäres Denken aus „zusammenreissen“? Braucht es ein Setting? Kontinuität? Wenn ja, wie viel davon?

Ich glaube, Disziplin ist nicht Voraussetzung, sondern Verwaltung der schöpferischen Impulse. Wie die entstehen, hat nur bedingt damit zu tun, dass man sich „im Griff hat“ – was Disziplin ja immer auch heißt.
Bei mir selbst mache ich immer wieder die Erfahrung, dass sie zum Selbstzweck wird. Ganz banal, um Existenzangst zu kontrollieren, sich das Schlittern vom Leib zu halten. Um überhaupt zu kontrollieren… aus Angst vor Entgrenzung. Wer seine eigene Struktur aufzubauen, sein eigener Maßstab zu sein versucht, begibt sich in eine diffuse Zone, die gestaltet werden will. Eine Heidenarbeit, ohne Disziplin nicht zu schaffen. Trotzdem kommt mir oft der Verdacht, dass ich in meiner Bemühung um Kontrolle eine Unfähigkeit zu überdecken versuche: Die, mich zu vergegenwärtigen. In der Zeit zu sein. Ein Empfinden für mein JETZT zu entwickeln, aus dem heraus die interessantesten Ideen entspringen. Meine Befürchtung ist, dass mir die eigene Disziplin, die ja immer auch eine Projektion in die Zukunft darstellt, das Gespür für die Nadelspitze der Gegenwart verwischt.
Lust auf Jetzt habe ich schon. Aushalten kann ich es oft nicht. Weil man sich dabei isoliert von den anderen, die immer irgendwelchen Vorhaben nachgehen, ob eigenen oder fremdbestimmten.
Ich glaube, es geht um Durchlässigkeit. Wie schaffe ich eine rezeptive Situation? Wie ist das eigene Verhalten zu formalisieren, um sie herzustellen? Ergebnisse, die man erzielt, weil man sich geplagt hat, nimmt man ja in der Regel ernster als Ideen, die so angehupft kommen und gleich fertig sind…
Warum eigentlich?

3 Gedanken zu „Disziplinierung

    • stimmt. Und was dann? EINFALL ist nicht immer die Vorstufe zu IDEE, sondern ein eigenständiges Genre, das sich auch ab-bilden darf, ohne Anspruch auf weiterführende Relevanz.
      Wenn ich Minutenzeichnungen mache, wollen die tatsächlich nicht mehr sein als das: Ein Ein-Fall – etwas, das einmal aufschlägt, um gleich wieder von etwas neuem ersetzt zu werden.
      Texte dagegen – erstaunlich, wie verantwortlich man sich ihnen gegenüber fühlt, man will, dass sie bestehen
      Ist mir manchmal unheimlich

  1. Madame Disziplin Madame Disziplin ist wendig und passt sich meinen Bewegungen immer schön an. Ich stelle weich gepolsterte Körbchen auf, in jedem Zimmer eines (“schau doch mal, was für ein gutes Plätzchen”), ich verabschiede mich vorzeitig aus freundlicher Runde, um nach Hause zu gehen und sie zu füttern, umsonst. Kaum sitz ich am Schreibtisch, kommt diese fette alte Halskrause, drückt ihre schwitzigen Kilos in meinen Nacken und fängt an zu vibrieren, als habe es nie eine Vereinbarung gegeben. Leben und leben lassen interessiert sie nicht, sie will alles und scheiß auf die Konsequenzen. Gesund ist das nicht.
    Ich kenne sie schon lang. Früher, als ich jünger war, wog sie weniger.
    Manchmal konnte ich nur gegen grelles Licht ihre Umrisse erkennen, so schmal war sie. Doch von jedem Kilo Fleisch, das auf meinen Knochen wächst, hat sie sich mindestens ein Viertel geschnappt. Sie wiegt jetzt mehr als zwanzig Kilo, das ist ganz schon viel für eine schlichte Disziplin. Nach einer Stunde mit ihr bekomme ich Krämpfe und Verspannungen im Nacken. Dann kommt es so weit, daß ich anfange, mit ihr zu diskutieren.
    “Steig von mir runter.“
    “Kannst du nicht einfach so tun, als wäre ich nicht da?“
    “Dann hör’ auf, deine Krallen an mir zu wetzen und steig runter, verdammt.“
    “Wo soll ich denn hin?“
    “Weiß ich nicht. Laß dir was einfallen.“
    “Du bist doch diejenige, die sich was einfallen lassen muß!“ schnappt sie.
    “Kann aber nicht, solange du mir auf dem Buckel hockst.“
    “Ohne mich machst du erst recht nichts.“
    “Na und? Dann brauche ich ja auch nicht. Vielleicht fällt mir dann ja mal wieder was ein…“
    “Die Leute interessieren sich nicht für das, was du machst, wenn sie merken, daß ich nicht dabei war“, flüstert sie, „die wollen mich spüren. Mich. Die wollen, daß ich dich treibe.“
    “Woher willst du das wissen?“
    “Schau dich doch einfach mal um. Siehst du irgendjemand, der sich dafür interessiert, was sein könnte? Hm? Was sein muß, darauf kommt’s an. Ohne mich bist du ein Furz.“
    “Wie soll ich denn rauskriegen, was sein muß?“
    Ich bin irritiert.
    “Laß mich einfach wieder rauf“ schmeichelt sie. “Und iss noch ein bißchen! Komm’, iss noch ein bißchen. Je breiter du wirst, desto mehr Platz hab’ ich auf dir. Ich werd’ schon noch einen anständigen Wirt aus dir machen.“
    Die Schrift verschwimmt mir vor Augen. Ich hab’ Fell in der Nase, ihr heißer Atem an meinem Ohr. Madame macht einen Krüppel aus mir.

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