Ich glaube an Vielfalt und Nächstenliebe. Ist kompliziert. Stimmt. Muss man aber irgendwie hinkriegen, sonst haben wir schlichtweg keine Werte Grundlage, die es wert wäre, verteidigt zu werden. Das Hinkriegen finge vielleicht damit an, dass man überall seinen Namen sagte und drunterschriebe. Die Flüchtigen müssen das auch ständig bei uns, nur erfahren wir deren Namen nicht – jedenfalls nicht vom Schreibtisch aus. Dazu müsste man aufstehen und Begegnungen suchen. Auch nicht einfach, doch im Vergleich zu dem, was die Flüchtigen gerade durchmachen und noch vor sich haben, im Grunde ein Kinderspiel.
Die erste Entscheidung wäre also sich zu fragen, ob man sich in dieser wechselseitigen Anonymität “richtig” fühlt oder nicht. Falls nicht, wäre es in den kommenden Wochen und Monaten vielleicht an der Zeit, vom Schreibtisch aufzustehen und Berührungspunkte zu finden. Ein paar Namen und Geschichten zu erfahren. Den eigenen zu sagen. Damit ist noch niemand satt oder geborgen, aber es wäre dennoch eine Handlung. Ich weiß nur eins: Solange wir unsere Namen nicht mit ins Geschehen werfen, schreiben immer andere in unserem. Dann stimmt die Zeichnung. Und das wäre schlimm.
Und wahrscheinlich trage ich damit Eulen nach Athen bei Ihnen, geneigte Leser:innen.
Touchée, Mme! Es geht genau hierum – auch. Nur in aktuter Notsituation (etwa der Drohung durch die Existenz gefährdende Repressalien) kann die Verwendung von Anonymen dringend geraten sein, also aus, gewissermaßen, politischen Widerstandsgründen. Wer selbst verfolgt wird, wird anderen Verfolgten weniger helfen können. Dies ist in unserer gegenwärtigen Situation aber nicht der Fall, sondern da ist eben Gesicht erfordert.