hat das ewige Licht vor dem Foto meines Vaters weiter gebrannt. Ich hatte vergessen, es auszupusten – normalerweise tue ich das, bevor ich schlafen gehe. Ich träume wildes Zeug in diesen Wochen, seitdem er tot ist, die Erfahrung, ihn zu verlieren, hat mein Inneres aufschäumen lassen. Tagsüber regiert die Vernunft, doch mein Unterbewusstsein geht eigene Wege; es wirft mir die Brocken hin, nachts.
Manchmal habe ich das Gefühl, wenn ich mich nur weit genug strecke, die Vorstellung dessen, was ist, bis in seine feinsten Verästelungen in Besitz nehme, spüre ich ihn an den Rändern des Wahrnehmbaren. Sein Tod. Mein Leben. Nur ein paar Atemzüge voneinander entfernt.
Er hat mich immer angezogen, mein Vater. Warum nicht auch jetzt, durch alle Dimensionen hindurch? Existenz endet nicht. Es ist ja nicht er, der verschwunden ist, nur sein Körper hat sich verbraucht. Nichts und niemand geht mit dem Verlust der körperlichen Substanz verloren: Er ist nun wieder dort, wo alles ineinander fließt.
Wir schlüpfen in Fleisch und verlassen es wieder.
Das, was unsere körperliche Erscheinungsform, unsere Gestalt, an Möglichkeiten bietet, ist limitiert: Wie oft glaube ich zu spüren, wie groß der Raum des Wahrnehmbaren sein könnte, wenn der Geist nicht an die Begrenzungen des Körpers, des Gehirns, der neuronalen Pfade gebunden wäre, die sich in seiner Substanz ausprägen. In den Zeiten vor der Geburt und nach dem Tod, in denen wir keinen Körper innehaben, gibt es diese Beschränkungen nicht.
Im Verhältnis dazu sind die achzig oder hundert Jahre Leben in Gestalt ziemlich kurz. Aber das wunderbare, originäre, manifestierende kann man nur als Mensch erledigen. Eben, weil wir uns dann innerhalb der spezifischen Grenzen bewegen, die diese Form mit sich bringt. Wo keine Grenzen mehr sind, kann kein Widerstand entstehen, wo nicht gerungen wird, gibt es keine Entwicklung, kein Wachsen: Als körperlose Energie kann man noch nicht einmal eine Tür aufmachen. Geschweige denn Bücher schreiben, Raumschiffe bauen, Sex haben oder einen Witz erzählen. Das Fleisch limitiert uns; eben darin liegt seine Stärke.
Entwicklungen sind nicht mehr nötig, wenn die Seele zurückkehrt und sich wieder mit allem verbindet – für immer oder bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie wieder – vielleicht zusammen mit anderen Seelen – in eine begrenzte Gestalt schlüpft, um zu leben in der fleischlichen Begrenzung.
Manchmal können wir diese Einheit spüren und in Kontakt treten zu dem, was IST hinter unserem Körper, wenn wir in uns hineinhören und in die “Leere” – oder die Fülle? – gehen.
Hier wird jedes Ringen um Entwicklung überflüssig, weil alles schon da IST und wir die Perfektion sind, nach der wir im täglichen Leben streben.
Der Tod eines geliebten Menschens macht uns dies bewusst, gibt uns die Chance, unser Leben genauer anzuschauen, unsere Verletzlichkeit und Endlichkeit anzusehen. Wir alle bleiben immer Teil des Ganzen und sind mit allem verbunden und ob es eine Rolle spielt, was und ob wir in unserem Leben etwas “erreicht” haben oder nicht, das könnten wir im Grunde erst nach unserem Tod erkennen, sofern wir dann in der Lage sind, etwas nach unseren menschlichen Maßstäben zu erkennen.
Wir Menschen beeinflussen uns Menschen und das, was uns umgibt. Doch inwieweit dieses “Entwicklung” tatsächlich eine Auswirkung hat auf das, was IST, wage ich zu bezweifeln. In dem, was IST, ist alles enthalten, auch das, was wir Entwicklung nennen.
Dein Vater ist am Ende der Hängematte durch die Wand entschlüpft in die Einheit. Niemand von uns weiß, wann wir unsere Hängematte verlassen werden, noch woher wir in sie geschlüpft sind. Er hat seine Erfüllung gefunden.