In meinem Hinterhof steht eine Birke, ein Gedicht von einem Baum, wenn auch ziemlich schepp. („Schief“ für meine Leser aus dem Norden, tschuldigung, aber sie ist eine durch und durch hessische Birke)
Ihr Stamm wird gestützt von einem in der Mauer verankerten Seil, sonst würde sie mir glatt mit ausgebreiteten Armen ins Zimmer wachsen.
Madames Laub ist, wie sich’s gehört, inzwischen gelb geworden. Sie wirft es in Schüben ab, ich seh’ nie eines direkt fallen, doch nachts füllt sie den feinmaschigen Korb meines Fahrrades, das unter ihr angepflockt ist, mit Blättern und kleinen Zweigen. Nett.
Kann sein, ich hab’ einen religiösen Zug: Ich will immer Absicht erkennen, selbst dort, wo keine ist, schnell bereit zu glauben, dass Dingen und Vorgängen ein eigener Wille… aber was rede ich. Es ist schlichtweg Magie, nach der ich Ausschau halte, besonders im Herbst, wo sich Vegetation und Tiere in die Passivität zurückziehen. Träumen sie? erkundigt sich das Kind. Unsereins fragt das nicht mehr, wir packen die muffig riechende Winterkleidung aus, stellen Wasser auf die Heizung und benutzen mehr Weichspüler.
Ich suche nach Zeichen. Zauberformeln (oh Gott, jetzt hab ich’s gesagt), die Türen in Zusammenhängen sichtbar machen, biegsame, handwarme Schlüssel, mittels derer man sie aufschließen kann. Wie oft schon habe ich auf die Dominanz so genannter „harter“ Tatsachen geschimpft und dafür plädiert, fiktiver Energie mehr Ansehen zu verleihen: Nicht nur abends im Sessel, wenn man sich in die Phantasiewelt eines Autors begibt, sondern im täglichen Leben.
Erfindungen, Rituale, Aufladungen: Sie finden ja durchaus statt, aber auf durchweg niedrigem fiktiven Niveau, so wie das Belegen von Gegenständen mit magischer Bedeutung: Ein Kaffeebecher, der in einer Zeit der Höhenflüge benutzt wurde und somit das Potenzial weiterer Erfolge in sich trägt, ein geheimnisvolles Seitensprung-Kleid, das erwischt werden verhindert, ein Schreibheft von der Sorte, in die damals auch schon Hemingway hineinschrieb. Oft erkennt man seine Rituale noch nicht einmal als solche. Und wenn, geniert man sich ein wenig ob ihrer Banalität.
Wir haben die Produkte der Phantasie im Alltag schon lange entmachtet und zu Konsumkonfetti geschreddert. Jeder kleine Windstoß aus der Welt vermeintlicher Tatsachen treibt sie auseinander. (Was ist nur aus der guten alten Einbildung geworden? Sie führt ein jämmerliches, geschmähtes Dasein als Attribut derer, die mit dem Leben nicht zurechtkommen. Vielleicht müsste man sie neu erfinden)
In meine Seminare hab’ ich eine Aufgabe eingebaut, in der die Teilnehmer sich eine vertrackte Situation aus ihrem gegenwärtigen Leben vor Augen halten sollen. Dann, ohne Logik, Konvention oder Rücksichtnahme auf andere, fordere ich sie auf, sich den ihnen genehmen Ausgang dieser Situation vorzustellen. Im dritten Schritt erfinden und formulieren sie das Ritual, mittels dessen sie die Situation zu ihren eigenen Gunsten wenden. Die Leute lieben diese Aufgabe. Solange sie schön an ihrem Platz bleibt 😉
Rituale -sind- magie. Schon das Aufsagen eines Spruches kann Magie sein. Ich verteidige die alltaegliche Kulthandlung, wieauchimmer sie sich auszusprechen geneigt ist.
Ein Taschendruide, nicht größer als mein Daumen, wäre nett. Ich würde ihn morgens auf meinen Schreibtisch setzen. Der ist groß genug – wir würden uns überhaupt nicht in die Quere kommen.
Während ich schriebe, würde er seine verschiedenen Pülverchen auspacken, ein Kesselchen aufstellen und seine Zeremonien vorbereiten, ohne sich groß um mich und mein Tippen zu kümmern. Nur gelegentlich würde er mir eine rituelle Anweisung in Form farbiger Körnchen auf dem Mousepad anordnen, die meine Mouse dann wie ein Staubsauger einsaugen und direkt über meine Fingerspitzen zu mir durchstellen würde.
O je, die kindlichen Phantasien… und das am Montag Morgen 🙂