Aus: “Pattern Recognition” William Gibson 2003

»Natürlich«, sagte er, »haben wir keine Ahnung, wer oder was die Zukunft bevölkern wird. So gesehen haben wir keine Zukunft. Nicht in dem Sinn, wie unsere Großeltern eine hatten oder jedenfalls zu haben glaubten. Eine vorstellbare Zukunft der eigenen Kultur war ein Luxus vergangener Zeiten, als das ›Jetzt‹ noch stabiler und dauerhafter war. Für uns hingegen kann sich alles so jäh und grundsätzlich ändern, daß eine Zukunft wie die unserer Großeltern nicht mehr möglich ist, weil sie nicht genügend ›Jetzt‹ als Grundlage hat. Wir haben keine Zukunft, weil unsere Gegenwart so flüchtig ist … Wir haben nur das Risikomanagement. Den Spin des momentanen Szenarios. Mustererkennung.«

Ist das so?
Nun, zumindest ist es ein großartiges Buch. Wenn ich heute nicht so faul wäre, würde ich sogar schreiben, warum..

5 Gedanken zu „Aus: “Pattern Recognition” William Gibson 2003

  1. Schreib mal warum, wenn du mal einen regeren Tag hast… mich würds sehr interessieren. Hab den neuen Gibson grad gelesen und finde das auch dieses Buch wieder so gibsonmässig ist. Was aber ist das Geheimnis? Sags!

    • Gute Frage. Ich denke darüber nach. Lese gerade “Spook Country”. Schon auf den ersten Seiten hat sich bei mir wieder diese Freude eingestellt, die mich immer überkommt, wenn ich mich in Gibsons Welt begebe.
      Ich glaube, es liegt unter anderem daran, dass er Codes etabliert in der Art, wie er Menschen und Umstände beschreibt. Er gibt Hinweise auf ungewöhnliche Geistesverfassungen, Wahrnehmungsmuster, Konstellationen, die als Hinweise genauso originär und überraschend sind wie die Figuren, mit denen er seine Welten bevölkert. Er trumpft nicht mit seinem Durchblick auf, wie es mir von anderen Autoren vertraut ist. (Ich glaube, er fühlt sich in seinen eigenen Geheimnissen wohl; er ist nicht so eitel, seine Macht als Autor, sie jederzeit aufdecken zu können, ständig demonstrieren zu müssen)
      Dynamik ist ihm wurscht, glaube ich. Wichtiger ist ihm das Selbstverständnis, mit dem sich seine Erfindungen parallel zur so genannten Realität ansiedeln: Weder als Utopie, noch als Science-Fiction-Konstrukt, sondern als Blick auf eine neue Matrix hinter den Oberflächen, die nach und nach sichtbar wird.

      Das nur als erster Versuch. Später mehr.

  2. Nee, ist nicht so … … denn wir haben alle die Zukunft, die wir in uns selbst entstehen lassen können – mal zuversichtlich, mal verzweifelt, mal gleichgültig. aber in unseren Leben haben wir alle dieselbe Menge >Jetzt< mit der wir arbeiten (müssen) und hoffen (dürfen).

    Und wie sicher waren denn die Zukunftsvorstellungen der Großeltern? Zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise und der Kriege, oder die derer Großeltern zu Zeiten der Paulskirchenrevolution und der Weberaufstände oder die derer Großeltern am Vorabend der französischen Revolution, die ganz Europa erschütterte, oder die derer Großeltern zu Zeiten …

    Hektisch und unsicher sind immer die eigenen Lebenszeiten, >Früher< ist demgegenüber immer langsam, beschaulich, sicher. Das liegt aber nur daran, dass früher eine Pauschalisierung von Jahrzehnten ist, die denjenigen, die sie durchlebten, viel weniger pauschal und gleichförmig vorkamen …

    Gute Nacht,
    Frank

    • An deinem Argument ist was dran. Aber so einfach, die Vergangenheit als “ruhiger und beschaulicher” als die Gegenwart zu vermuten, macht es sich, glaube ich, heutzutage sowieso niemand. Wir sind uns doch alle bewusst, dass ständig Umwälzungen stattfinden im Realitätsgefüge, auch brutale, und das nicht erst seit vorgestern.
      Der Unterschied ist schlicht die Menge an gleichzeitiger Information, mit der wir es inzwischen zu tun haben. Die Verfügbarkeit von Wissen um die Vorgänge, die gleichzeitig um uns herum, auf diesem Planeten, stattfinden: Eine riesige Datenmenge, die weit schneller anwächst, als wir jemals absorbieren, geschweige denn uns eine Meinung dazu bilden können.
      Damit stellen sich zwei grundsätzliche Probleme: Erstens, wie gehe ich mit einem permanenten Overload an Information um, wie wähle ich aus, sortiere, was speichere ich unter welchen Prioritäten und was wird gelöscht.
      Zweitens, der Fokus. Welche Ballungszentren der Dringlichkeit bilde ich angesichts dieser Informations-Entgrenzung in meinem Bewusstsein aus, und nach welchen Regeln manifestiere ich meine Handlungsabsichten in der Zukunft? (Es geht schließlich nicht mehr darum, einen Krieg zu gewinnen, oder Landesgrenzen und Nationalitätsgefühl zu sichern)
      Wie entsteht meine Projektion, wenn die Zukunft sich in ihren Möglichkeiten wie ein rasender Fächer auffaltet, der die Vergangenheit und deren Motive beengt und winzig klein erscheinen lässt?
      Ich glaube gerne, dass die Unsicherheit, wie du schreibst, früher schon genauso präsent war wie heute. Wir sind alle keine Hellseher und waren es auch nie. Doch wir haben es heute, allein schon über das Internet, mit einer Transparenz und Gleichzeitigkeit zu tun, die sich unsere Vorfahren in ihren Lebensentscheidungen sicherlich nicht hätten träumen lassen.

    • Du hast Recht mit dem Overload, aber nur bedingt … … wie ich finde, denn der ist nicht unbedingt erst vor zwanzig Jahren entstanden und er betrifft auch bei weitem nicht alle Menschen. Denn wer leidet am information overload wirklich? Ich denke, die sich bewusst auf diese plötzlich so weit gewordene Informationswelt einlassen. Das sind wahrscheinlich gar nicht so viele. Eine Mehrheit, so vermute ich, macht es sich in bestimmten kleinen Lebensecken gemütlich und fühlt sich darin recht gut orientiert. Zukunftsunsicherheit dürften die dann wohl eher auf Grund der alten (Existenz-)Ängste haben: was wird wirtschaftlich aus mir, aus meinen Kindern, werden die Terroristen mich wegbomben, geht die Welt im Klimawandel unter?

      Die sich der plötzlich Weite der Welt aussetzen … hmm … ob die nicht auch gerade ganz sichere Grundvorstellungen über die Zukunft haben? Die wissen natürlich nicht, ob sie nächstes Jahr in Singapur, Melbourne oder Vancouver jobben … aber sie sind sich wahrscheinlich recht gewiss, dass die Zukunft offen, ereignisreich und persönlich erfolgreich sein wird. (Ob das natürlich stimmt …)

      Damit wären sie aber auch nicht anders, als viele alte Eliten, die auch selbstbewusst und offensiv in ihre Zukünfte gingen. Und die manchmal auch in unheimlich weiten Wissenswelten lebten. ich beschäftige mich gerade mit der Romantik … und diese Tiecks, Schellings, Fichtes, Schlegels, Novalis´, Hölderlins und wie sie alle hießen – die hatten auch zig Zeitschriften zu verfolgen, hunderte von Büchern zu lesen und Studien in Theologie, Jurisprudenz, Philosophie, Literatur, Sprachen und Naturwissenschaften zu absolvieren, um mitreden zu können (glaubten sie zumindest). So viel langsamer war das Geistesleben und -erleben damals nicht, glaube ich.

      Irgendwie bleiben wir doch immer die gleichen … schön? … schade?

      Frank

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